Gebrochene Heldenmythen

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Die beiden spektakulärsten Szenen aus "Aufbruch zum Mond", der dramatischen Aufarbeitung von Neil Armstrongs Weg auf den Erdtrabanten, muten diametral verschieden an. Die erste sperrt zusammen mit den Astronauten in die klaustrophobische Enge der Gemini-8. So unmittelbar wie möglich, quasi hilflos will sie der infernalischen Gewalt eines Raketenstarts ausliefern, dem Dröhnen, dem Rütteln, dem besorgniserregenden Ächzen der Raumkapsel. Die zweite, kurz vor dem berühmten ersten Schritt, ist im Gegensatz dazu ein Moment, in dem man eine Stecknadel auf den Boden fallen hören könnte. Auf unheimliche Weise bringt er alles zum Verstummen, vor allem seine Zuschauer - eine Erinnerung daran, wie mächtig die Kinoerfahrung ist, wenn sie ausnahmsweise zur vollen Entfaltung kommt. Mit dieser weiteren Talentprobe eröffnete Hollywoods aktuelles Wunderkind Damien Chazelle ("La La Land") die Filmfestspiele von Venedig. Bereits damals wurde er dafür als Oscar-Kandidat gehandelt - und wenig später von der amerikanischen Rechten verteufelt, weil er die US-Fahne am Erdtrabanten vernachlässigt hatte.

Für Traditionalisten eine Heulsuse

In seiner Gewichtung, in seinen veränderten Perspektiven ist "Aufbruch zum Mond" eine andere, modernere Interpretation, die in manchen Punkten mit dem Darstellungskanon bricht, der nun beinahe fünf Jahrzehnte lang etabliert wurde. Es wird nicht "Der Stoff, aus dem die Helden sind" gefeiert, sind Sorge und Tränen nicht reserviert für die Angehörigen. Für Traditionalisten ist dieser Neil Armstrong eine Heulsuse, nachhaltig erschüttert vom Tod seiner zweijährigen Tochter, ist Buzz Aldrin ein taktloser Nörgler, der sich nicht viele Freunde macht, und Armstrongs Frau Janet weniger tapfere Hausfrau als gleichwertige Partnerin. In diesem Bruch mit Heldenmythen, mit Geschlechterbildern steckt mehr Gegenwart als Vergangenheit - ein Risiko. Hier macht es sich jedenfalls voll bezahlt.

Aufbruch zum Mond (First Man) USA 2018. Regie: Damien Chazelle. Mit Ryan Gosling, Claire Foy, Jason Clarke. Universal. 141 Min.

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