Kosmische Pizzas für einen guten Zweck
Die Betreiber der Internationale Raumstation ISS sind in Geldnöten. Nun buhlen sie um die Gunst der Werbewirtschaft.
Die Betreiber der Internationale Raumstation ISS sind in Geldnöten. Nun buhlen sie um die Gunst der Werbewirtschaft.
Dennis Tito hat leicht lachen: obwohl von leichter Raumkrankheit geplagt und um geschätzte 20 Millionen Dollar (23,4 Millionen Euro/322 Millionen Schilling) erleichtert, hat sich der amerikanische Multimillionär einen Lebenstraum erfüllt - und nebenbei Geschichte geschrieben: Als ersten zahlenden Weltraumtouristen hatte ihn das russische Raumfahrtunternehmen Energija Anfang Mai in einer Sojus-Rakete auf die internationale Raumstation ISS befördert. Eine knappe Woche lang ging der 60-jährige Tito auf galaktische Foto-Safari - sehr zum Unbehagen von NASA-Chef Daniel Goldin: Während dieses Aufenthalts sei die ISS-Besatzung weitgehend damit beschäftigt gewesen, "Babysitter für Herrn Tito zu spielen und sicherzustellen, dass nichts schief geht".
Auch nach der sicheren Landung der Sojus-Kapsel im kasachischen Weltraumbahnof Baikonur herrscht zwischen der NASA und der russischen Raumfahrtbehörde Rosawiakosmos dicke Luft. Denn das touristische Exempel bleibt vermutlich kein Einzelfall. So hat der ehemalige US-Präsident Bill Clinton sein Interesse bekundet, in der ISS 400 Kilometer über der Erde dahinzujagen; auch Titanic-Regisseur James Cameron träumt spätestens 2003 von einer filmischen Exkursion in den schwerelosen Raum. Weitere All-Reisen seien schon demnächst geplant, stellt Energija-Chef Juri Semjkonow in Aussicht, während Rosawiakosmos kalmierend eingreift und gemeinsam mit der NASA Regeln für nicht-professionelle Kosmonauten festlegen will.
Wann immer man sich auf eine gemeinsame Vorgangsweise einigt: Die kommerzielle Nutzung des Weltraums schreitet unaufhaltsam voran. Ob zahlungskräftige Touristen oder findige Firmen wie die US-Restaurantkette Pizza Hut, die dem ISS-Kommandanten Juri Usatschew und seinen amerikanischen Kollegen James Voss und Susan Helms als teuren Werbegag Pizzafladen in den Orbit schickte: bei den Betreibern der Raumstation stoßen kommerzielle Nutzer auf offene Ohren. Auf einer Konferenz in Berlin wollen die fünf beteiligten Raumfahrtbehörden NASA, Rosawiakosmos, NASDA (Japan), die kanadische CSA sowie die europäische ESA dieser Tage der Wirtschaft ihr industrielles Verwendungsspektrum präsentieren. Werbung tut Not, weiß Jochen Graf von der ESA: "Wir haben alle enorme Budgetprobleme. Die ESA ist etwa mit 8,3 Prozent Nutzungsrecht bei der ISS beteiligt, doch 30 Prozent der Mittel sind nicht gedeckt." Für das Entwicklungsprogramm muss die ESA 2,6 Milliarden Euros beisteuern - allein 40 Prozent davon stammen aus Deutschland, 28 Prozent aus Frankreich. "Wir schicken aber keine Schecks in die USA", stellt Graf fest. Abgerechnet wird in einer gemeinsamen Währung: in transportierten Kilogramm. So wird die Raumstation zu einem "riesigen Tausch-Programm". Das ESA-Mitglied Österreich ist am freiwilligen Projekt ISS nicht beteiligt, doch liefern österreichische Firmen (Magna International Developments Austria, Plansee und die Austrian Research Centers Seibersdorf) entscheidende Teile für jenen Raumgleiter, der den Astronauten in ihrer galaktischen Heimstatt zur Verfügung stehen soll. Vier Millionen Euro wurden vom Infrastrukturministerium für die Entwicklung der Seitenruder des so genannten "Crew Return Vehicle" (CRV) zur Verfügung gestellt. Als Lohn wird Österreich Experimentierzeit auf der ISS gutgeschrieben. Hauptsponsor des CRV ist allerdings die - von Geldsorgen geplagte - NASA. Und so kursieren Gerüchte, wonach der Raumgleiter dem amerikanischen Sparstift zum Opfer fallen könnte.
Die Pläne der europäischen Raumfahrtbehörede sind freilich (noch) ambitioniert: als eines von sechs ISS-Labormodulen soll das interdisziplinäre "Columbus"-Labor (siehe Bild links unten) ab 2004 jährlich 500 Experimente aus den Bereichen Materialwissenschaft, Medizin und Biologie ermöglichen. Ein Meilenstein, war doch bisher die Forschung im Weltraumlabor "Spacelab", das in der Ladebucht der amerikanischen Raumfähre mitgeführt wurde, zeitlich begrenzt. Ein weiterer Beitrag der ESA zur Raumstation ist das Versorgungsfahrzeug ATV (Automated Transfer Vehicle), das ab 2004 nach einem Start mit der Ariane-5-Rakete in Kourou/Französisch-Guayana die ISS mit Treibstoff, Bord- und Experimentiergerät versorgen soll. Auch das elektronische "Gehirn" der Wohn- und Steuereinheit Zvezda, die von den Russen gebaut und im Juli 2000 installiert wurde, ist das Produkt europäischer Forschungsleistung.
Bis die ISS jedoch ab 2006 fünfzehn Jahre lang mit 27.000 km/h und riesigen Solar-Generatoren durch den Weltraum fegt, bedarf es einiger Anstrengung. In 72 Flügen werden amerikanische Raumfähren und russische Proton-Raketen die Einzelteile ins All befördern. Nötig sind neben technischem Know-How vor allem Finanzspritzen. Eine Preisliste für kommerzielle Nutzer der ISS hat die ESA bereits ausgearbeitet. Weltraumreklame ist angesagt - doch nicht um jeden Preis: Ein ethisches Komitee soll Regeln aufstellen, wofür im Orbit geworben werden darf und was dem Image schadet. Einen "Fall Tito" dürfe es jedenfalls nicht mehr geben, erklärt Jochen Graf. "Da kommt ein dahergelaufener Milliardär und zeigt der Welt, wie er die Regierungen in den Sack steckt."