Gute alte Zeitung auf neuen Wegen

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Das Internet-Zeitalter hat die klassische Zeitung keineswegs obsolet gemacht. Allerdings verändern die Neuen Medien die alten Printprodukte nachhaltig. Das Furche-Dossier geht einigen Entwicklungen nach; es beleuchtet aber auch das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und redaktioneller Unabhängigkeit. Ein Qualitätsmedium - so der "Praktiker" Gerfried Sperl im Gespräch ist dann stark, wenn es auch wirtschaftlich stark ist.

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Das Internet-Zeitalter hat die klassische Zeitung keineswegs obsolet gemacht. Allerdings verändern die Neuen Medien die alten Printprodukte nachhaltig. Das Furche-Dossier geht einigen Entwicklungen nach; es beleuchtet aber auch das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und redaktioneller Unabhängigkeit. Ein Qualitätsmedium - so der "Praktiker" Gerfried Sperl im Gespräch ist dann stark, wenn es auch wirtschaftlich stark ist.

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Im digitalen Zeitalter geht auch die gute alte Tageszeitung neue Wege, um die Leser bei Laune zu halten. Dabei profiliert sie sich einmal mehr als Hintergrundmedium, das mit seinen elektronischen Ablegern immer stärker zusammenwächst.

Der kleine Braune steht am Kaffeehaustisch, das Glaserl Wasser gehört selbstredend dazu und auch die druckfrische Zeitung darf nicht fehlen. Was hierzulande zur Identität des kulturellen Lebens zählt, erfährt im digitalen Zeitalter mehr und mehr eine Veränderung. Die Zeitung, so sind sich die Experten einig, muss in Konkurrenz zu den Neuen Medien, verstärkt um Leserbindung bemüht sein.

So lassen sich einige Trends für die Zeitung der Zukunft absehen. Längst ist jede Zeitung, die etwas auf sich hält, mit einer eigenen Website im Internet vertreten. Schon seit dem Aufkommen des Fernsehens begreift sich die Zeitung nicht mehr als Informations- sondern als Hintergrundmedium. Ausführliche Interviews, Reportagen, Kommentare, alles journalistische Stilformen, die in der hektischen TV-Welt kaum Platz finden, in der Zeitung aber schon.

Durch das Internet läuft das gedruckte Medium Gefahr, seine Stellung als Hintergrundmedium zu verlieren. Deshalb engagieren sich die meisten Zeitungen im Internet, um dort ihre Inhalte noch ausführlicher und interaktiver - mit Bildern, Videos und Tönen - zu präsentieren.

Wolfgang Bretschko, Geschäftsführer der "Kleinen Zeitung" in Graz, kommt im Branchenblatt "Der österreichische Journalist" schnell auf den springenden Punkt: "Eine Entwicklung, die meines Erachtens von den klassischen Tageszeitungen viel zuwenig Beachtung erhält, verbirgt sich hinter dem Schlagwort ,Content is free' (Der Inhalt ist gratis)."

Warum zahlen?

In der Tat stellt sich die Frage, weshalb die Leser für Inhalte bezahlen sollen, wenn es diese im Internet und demnächst auch in den U-Bahnen als Gratiszeitung kostenlos gibt. (In Deutschland und der Schweiz tobt ein regelrechter Krieg um Gratis-Tageszeitungen, die in den U-Bahnen verteilt werden. In Wien soll es ab Herbst 2000 ein derartiges Medienprodukt geben.)

Auch Fernsehen und Radio sind in der Regel gratis, zumal nun die Gebühren für öffentlich-rechtliche Sender in Diskussion stehen. Der rasante Preisverfall bei der Ware "Information" ist nicht zu stoppen. "Die Zeitungen und Magazine gehören zu den letzten Festungen, die es schaffen, für Inhalte Geld vom Endverbraucher zu verlangen und zu erhalten", meint Bretschko.

Je mobiler man auf das Internet und damit auf Gratis-Nachrichten zugreifen kann, desto mehr sieht sich die klassische Tageszeitung in Bedrängnis.

Dass heute das Surfen im Internet übers Handy kein Problem mehr ist, macht diese "Bedrohung" nur schlimmer: Wenn im Jahr 2002 der neue Mobilfunkstandard UMTS den bisherigen GSM-Funk ersetzen soll, können Inhalte mit viel größerer Geschwindigkeit übers Handy übertragen werden, als dies heute der Fall ist. Das Resultat: Mobile, tragbare Internet-Surfstationen, auf denen die neuesten Nachrichten inklusive Bild, Ton und Video auf Knopfdruck abgerufen werden können, und zwar kabellos von überall.

Schon heute bieten viele Internet-Seiten von den großen Tageszeitungen etliche Zusatz-Angebote für die Leser: So kann man zum Beispiel in den Archiven der Zeitungen stöbern, bei vielen Anbietern sogar gratis. Eine umfangreiche Recherche wird so auf Knopfdruck möglich. Max Dasch, Präsident des "Verbandes Österreichischer Zeitungen" (VÖZ), sieht im Gespräch keine schwarzen Wolken am Zeitungshimmel: "Die Entwicklung am Online-Sektor ist rasant, aber es kommt darauf an, was sich die Zeitungen einfallen lassen, um ihre Stellung zu halten."

Dasch meint jedenfalls, dass das Medium nach wie vor aufgrund der etablierten Stilformen Kommentar, Hintergrund, Reportage und Analyse die Konkurrenz nicht zu fürchten braucht. Auch die demnächst erscheinenden Gratis-U-Bahn-Zeitungen seien gefahrlos: "Wer die Finanzierung dieser Projekte kennt, weiß, dass dahinter keine Gefahr für fundiert recherchierte Inhalte steht."

Lokale Inhalte Die wahre Kompetenz der Zeitung sieht Dasch im Lokaljournalismus: "Die Menschen interessieren sich sehr für das, was in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert. Die Klein- und Kleinstblätter erfüllen so eine wichtige Funktion, die das weltweite Massenmedium Internet nicht bieten kann: lokale Inhalte sind nur in einem gewissen Gebiet interessant und daher kaum Internet- oder fernsehtauglich."

Der Kommunikationswissenschafter Wolfgang Riepl hatte schon 1913 festgestellt, dass kein neues Medium jemals ein altes abgelöst hat. Bisher hat Riepl recht behalten. Das Kino ist durch das Aufkommen des Fernsehens nicht gestorben, und die Zeitung hat den Internet-Boom bislang auch gut überstanden. Vielmehr teilen neue Medien den klassischen neue Aufgaben zu. Die Kinoleinwand wurde in den fünfziger Jahren eben breiter, die Zeitung setzt vermehrt auf Kommentare und fundiertes Hintergrundwissen.

Derweil hat die klassische Zeitung dem Online-Markt jedenfalls noch einiges entgegenzusetzen: Da wäre zum einen einmal die Marke einer Zeitung. Viele Tageszeitungen erscheinen seit Jahrzehnten und bestimmen wesentlich das Geschehen in ihrem Erscheinungsgebiet. Man denke an "Weltmarken" wie die "New York Times", die "Neue Zürcher Zeitung" oder die "Frankfurter Allgemeine".

Wolfgang Bretschko: "Markentechnik, Markenbewusstsein und eine klare Markenführung werden in den Vordergrund treten. Das Produkt selbst, die Zeitung, muss in ihrer eindeutigen Markengestalt - Layout, Struktur, redaktioneller Stil - tagtägliche Bestätigung liefern, die Verlässlichkeit und die Intensität der Serviceleistungen werden zur Pflicht."

Zum anderen ist das über Jahre aufgebaute Vertrauen der Leser in ihre Redaktion eine große Stärke der Zeitung. Zudem bereitet die verkaufte Zeitung ihre Inhalte qualifiziert auf und kommentiert das Zeitgeschehen umfassend.

Nicht zuletzt ist für viele Leser das Gefühl, "etwas in der Hand zu haben", nicht zu vernachlässigen. Denn Internet-Seiten bleiben virtuell, das Lesen größerer Textmengen am Bildschirm ist nach wie vor mühsam.

Zeitung, digital Doch auch dafür hat man bereits Lösungen parat: Der letzte Schrei in Sachen Lesevergnügen ist die sogenannte elektronische Zeitung. Die besteht aus elektronischem Papier und wird mit elektronischer Tinte beschrieben.

Das Patent heißt ePaper und besteht aus zwei dünnen Folien, zwischen denen winzige schwarzweiße Kügelchen in einer öligen Flüssigkeit schwimmen. Je nach angelegter Spannung werden sie gedreht und zeigen entweder weißen Hintergrund oder schwarze Schrift.

Der Inhalt der Zeitung kann täglich aktualisiert werden, die Folien sind feuchtigkeitsabweisend und abwaschbar. Ein weiteres Patent beschäftigt sich mit einer anderen recyclierbaren Zeitung. Dieses "Blatt" besteht aus zwei bis sechs Seiten und hat einen stabilen Rahmen, wie im Kaffeehaus.

Der Rahmen fungiert zusätzlich als Navigator: über Tasten kann man Inhalte durchlaufen lassen oder vergrößern, um sie besser lesen zu können. Der Inhalt kommt entweder als Website, über E-Mail oder kann auch ganz einfach über das Handy übertragen werden.

In fünf Jahren sollen die Patente serienreif sein. VÖZ-Präsident Max Dasch: "Wenn die Qualität der Bild-Auflösung stimmt, ist das eine echte Alternative zur gedruckten Zeitung."

Ob die neue digitale Zeitung allerdings das bedruckte, raschelnde Zeitungspapier ablöst, ist ungewiss. Fehlt doch zum Aroma des kleinen Braunen gänzlich der Geruch frischer Druckerschwärze. Und das kann es ja wohl nicht sein.

DER LETZTE SCHREI Die elektronische Zeitung - zum Aufladen, Lesen, Blättern und Falten Vor einigen Monaten wurde der von IBM entwickelte Prototyp der "elektronischen Zeitung" für sein Design ausgezeichnet. Die elektronische Zeitung kann zusammengerollt und fortgetragen werden (Bild links) wie ihr Pendant aus Papier. Will man sie lesen, schließt man sie ans Internet an und lädt Texte, Bilder und Grafiken in den Speicher. Von dort wird der Inhalt auf 16 Glasfaser-Papier-Seiten projiziert, in denen eine "elektronische Tinte" eingeschlossen ist (Bild oben). Diese ist eine Chemikalie, deren Moleküle durch elektrische Ladung schwarz oder weiß erscheinen. Wenn man alle Seiten gelesen hat, lädt man die nächsten 16 Seiten aus dem Speicher. ofri

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