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Digital In Arbeit

Verkabelte Recherche?

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Die Installierung einer zentralen Datenbank steht in Österreich zur Diskussion. Erste Erfahrungen am „elektronischen Arbeitsplatz“ dämpfen aber so manche Euphorie.

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Die Installierung einer zentralen Datenbank steht in Österreich zur Diskussion. Erste Erfahrungen am „elektronischen Arbeitsplatz“ dämpfen aber so manche Euphorie.

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Arbeit am Bildschirm ist auch für Journalisten keine Seltenheit mehr und hat den traditionellen ,.Freiberuf“ neu geprägt: Das Systemhafte an den neuen Technologien ist, daß der Computer im Mittelpunkt steht.

Mit dem Anschluß an eine Mediendatenbank wird aber in einen zentralen Bereich des Journalismus eingegriffen: eine nach technischem Ermessen perfekte und aktuelle Recherche soll damit möglich werden. Erfolgt damit ein weiterer Schritt vom Tagesschriftsteller zum bloß technischen Redakteur?

„Natürlich sind in der Konfrontation mit der Technik menschli-

che Barrieren zu überwinden“, räumt Otto Simmler, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Informationstechnologie, ein. , JDoch wird man bald die Vorteile der neuen Informationstechnologien zu schätzen wissen“, so Simmler optimistisch.

Das drohende Bild des Archivjournalisten, der via Bildschirm zu weltweit gespeicherten Informationen gelangt, wird zumindest vom erfreulichen Ausblick auf die Möglichkeit schneller und profunder Hintergrundberichterstattung gemildert.

Ebenso könnte eine zentrale Datenbank durch die Speicherung von Zeitungsinhalten bestehende Medienarchive teüweise ersetzen, und darüber hinaus können Kundenarchive für nicht publizierte Informationen geschaffen werden.

Uber die österreichische Variante einer solchen Datenbank zerbricht man sich zur Zeit in der Geschäftsführung der Austria Presse Agentur (APA), am Wiener Publizistik Institut und am Ludwig-Boltzmann-Institut für Informationstechnologie den Kopf. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis sämtliche Inter-essenskollisionen beseitigt sind. In Form einer für ein Jahr einbe- räumten Feldstudie wird auf die finanziellen Träger des Unternehmens, die APA-Genossenschafter, eingegangen werden. Ein Antrag wurde jedenfalls bereits beim Wissenschaftsministerium gestellt.

Die Vorinvestitionen für dieses zukunftsträchtige Projekt sollen den APA-Genossenschaftern auf verschiedene Weise schmackhaft gemacht werden:

Außer der Installierung von Kundenarchiven sollen die aktuell durchlaufenden Tagesmeldungen nach Themen zusammengefaßt und befristet gespeichert werden. Die Informationen sollen so aufbereitet sein, daß sie Journalisten erlauben, tiefer in ihr Thema vorzudringen und einen rascheren Zugriff gewährleisten.

Zukunftsperspektiven eröffnen sich nicht nur dem Journalismus, sondern auch der Situation Österreichs im internationalen Datenverkehr.

„Österreich bewegt sich im internationalen Vergleich irgendwo auf dem Niveau von Griechenland oder Albanien“ kritisiert Informationstechnologe Simmler die Lage der Nation. „Das österreichische Wissen“, so Simmler weiter, „ist in der Welt nicht prä-

senk“ Daten von grenzüberschreitendem Interesse, wie beispielsweise Forschungsergebnisse oder Umweltschutzdaten sind nirgends abfragbar, weil sie nicht gespeichert sind.

Österreich hat nun die Chance, sich im internationalen Geschäft mit der Information einen Platz zu sichern. Darüber hinaus verfügt die APA über einen Wettbewerbsvorsprung, der auf einem Abkommen mit dem Ostblock-Wirtschaftsbündnis Comecon beruht:

Danach ist Wien berechtigt, als erstes Nachrichten aus dem Ostblock zu empfangen und dann in die übrige westliche Welt weiterzuleiten. Somit könnte die APA ein Netz für Wirtschaftsdaten aus dem Osten betreiben, so wie die skandinavische Firma Sharp eines mit westlichen Wirtschaftsinformationen unterhält.

In Anbetracht der Größe unseres Landes ist eine zentral organisierte Datenbank sicherlich am rentabelsten, da — wie Beispiele im Ausland gezeigt haben — eine eigene Datenbank für kleine Unternehmen wirtschaftlich nicht haltbar ist. Außerdem ist die nötige Vielfalt der Quellen nicht gegeben, die einen wesentlichen Bestandteil des Journalismus und somit einer funktionierenden Demokratie bildet.

Eine Entscheidung über die endgültige Realisierung der geplanten Datenbank ist nicht vor 1988 zu erwarten—es bleibt nur zu wünschen, daß technisches Fortschrittsdenken und unternehmenstaktische Überlegungen Raum genug lassen für die Anliegen des Journalismus — und der Journalisten.

Einigkeit scheint bei den Journalisten über die Erleichterung der Recherchenarbeit durch eine

Datenbank zu herrschen. Heinrich P. Strieden, freier Journalist und stolzer Besitzer eines Heimcomputers, schwört auf das Arbeiten am Computer und verspricht sich von einem elektronischen Supergedächtnis ein noch schnelleres und intensiveres Arbeiten: „Vor allem was Auslandsberichterstattung oder Biographien betrifft sowie bei jeder Art von Hintergrundberichterstattung ist die Zeitersparnis enorm. Diesen Freiraum kann dann jeder nutzen, wie er will: entweder zu einer Mehrproduktion an Stories oder um mehr über ein Thema nachzudenken oder ganz einfach als Freizeit.“

Die logische Voraussetzung für den Anschluß an ein elektronisches Archiv ist die Umstellung der Redaktion auf Computer. Neben der „Tiroler Tageszeitung“ und der „Südost Tagespost“ verfügt die .Presse“ über die modernste Redaktion Österreichs.

„Presse“-Redakteur Peter Marios hat sich ein halbes Jahr intensiv mit dem neuen System auseinandergesetzt: „Wir haben die Vorteile der elektronischen Texterfassung kennengelernt, müssen aber auch Nachteile eingestehen.“

Die technische Einschulung sei — so Martos — das geringste Problem gewesen, und so würde sicherlich die Bedienung des Archivs, das Auffinden der gewünschten Information über Suchbäume, keine größeren Schwierigkeiten bereiten.

Ärger als angenommen hat sich jedoch das Problem der psychologischen Umstellung herausgestellt: „Diese Phase dauert etwa zwei Jahre, und das beste Mittel, sie zu überwinden, ist, sich mit der neuen Technologie auseinanderzusetzen. Nur wenn ich den Vorgang begreife, den ich mit dem Knopfdruck auslöse, kann ich die Maschine auch beherrschen“, erläutert Martos.

Trotz einer Mehrbelastung der Redakteure durch Layout, Satz und Korrektur steigt mit der Perfektionierung eines solchen Systems die Zeitersparnis, so auch mit einem computerisierten Archiv: das anfallende Material könnte umfassender abgelegt werden, und ein aktueller Informationsstand wäre gewährleistet.

Dennoch äußert Martos Bedenken: „Es ist jetzt schon oft schwierig, den Uberblick zu bewahren, wenn man kein Papier für Notizen in der Hand hat. Dann kann man sich vorstellen, wie sich das erst bei 20 oder 50 Meldungen zu einem

Thema gestaltet, wenn die Infor- ✓ mationen nicht mehr über Fernschreiber, sondern über Bildschirm in die Redaktion gelan-gen.

Ein Direkteingriff der APA in die Zeitungen würde außerdem zu einer Nivellierung des Inhalts führen. Denselben Effekt könnte eine für alle Journalisten gemeinsame Informationsquelle haben, die so umfassend ist, daß Zusatzrecherchen überflüssig werden. Durch einen solchen gleichen Wissensstand würde ein guter Teil an Individualität journalistischer Arbeit und deren Produkt verlorengehen: „Die einzelnen Zeitungen sind dann nicht mehr deutlich genug voneinander abgrenzbar, was weder die Medienunternehmer im Sinn eines gesunden Konkurrenzkampfes gutheißen können, noch ist es demokratietheoretisch vertretbar“, befürchtet der „Presse“-Redak-teur.

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