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Die Welt als Dorf braucht auch Moral

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Die neue Welt der Massenkommunikation hat die Erde zum globalen Dorf gemacht. Brauchen wir eine neue Moral dafür? Reicht die alte? Wenn ja: Auch für die Relation zur 3. Welt?

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Die neue Welt der Massenkommunikation hat die Erde zum globalen Dorf gemacht. Brauchen wir eine neue Moral dafür? Reicht die alte? Wenn ja: Auch für die Relation zur 3. Welt?

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„Die Massenmedien von morgen schaffen keine Massenkommunikation mehr." Aus dieser Feststellung, die der österreichische Kommunikationswissenschafter Eugen Semrau (Universität Wien) bei einem Symposion der University of Minnesota (USA) traf, ergeben sich weitreichende Konsequenzen.

Die Behauptung selbst ist vor allem mit der Uberfülle des Informationsangebotes zu erklären. Solange es nur zwei oder drei Fernsehprogramme zur Auswahl gibt, ist der soziale Druck groß, sich das rassigere davon anzusehen: Wer am nächsten Tag in der Schule, im Büro, am Fließband oder im Bus nicht mitreden kann, wird zum Außenseiter.

Tatsache ist außerdem, daß Meinungsbildung in Etappen zustande kommt. Das Gespräch über ein Medienereignis entscheidet darüber, ob die vielen, die in ihrem Urteil über einen politischen Auftritt, aber auch einen (selbstverständlich weltbildprägenden) Film noch unschlüssig sind, letztlich zustimmend oder ablehnend reagieren.

Bei einer großen Auswahl kommt eine solch einheitliche Meinungsbildung nicht mehr zustande. Schon heute ist das vielfach der Fall. Im Ballungsraum der beiden Zwillingsstädte Min-neapolis und St. Paul, wo auch die University of Minnesota (49.000 Studenten) beheimatet ist, stehen bereits 32 Radio- und sieben Fernsehstationen zur Verfügung — für nur vier Millionen Konsumenten. Und alle machen sie Gewinne.

Das heißt konkret: Keine Station hat kostspielige Auflagen, auch zu bilden und Minderheitenprogramme zu produzieren wie etwa die Monopolgesellschaften Europas.

Uber deren Vorzüge sprach ORF-Generalsekretär Peter Rädel bei dem erwähnten Symposion, das unter dem Generalthema „Österreich, die USA und weltweite Kommunikation" stand und vom Center f or Austrian Stu-dies an der University of Minnesota, der größten der USA, vom 16. bis 19. Mai veranstaltet wurde.

Lustig über Europas Rundfunksystem machte sich Paul Heinerscheid von einer der örtlichen TV-Stationen: „Wir erzielen Gewinne, weil wir produzieren, was die Leute haben wollen. Das setzt voraus, das kein Programm unter 20 Prozent Einschaltquote hat—also keine Oper, die es in dieser Gegend auf nicht mehr als sieben bis zehn Prozent bringt. Erzieht die Leute einmal zum Operngenuß — dann kriegen sie diesen auch von uns geliefert."

Selbst Monopolgegner Fritz Molden fand, daß ihm angesichts solcher Konsequenz die europäischen Verhältnisse doch noch lieber seien. Freilich werden die europäischen, auch die österreichischen, Verhältnisse in Kürze auch bald andere sein.

Derzeit sind neun Prozent der Haushalte (250.000 Österreicher) via Kabel an deutsche und schweizerische TV-Programme angeschlossen, in Wien (demnächst 100.000) auch an den englischen „Sky Channel" des Medienzaren Rupert Murdoch. In wenigen Jahren wird das Satellitenfernsehen das Angebot vervielfachen. Das Wiener Kabelnetz hat 18 Kanäle verfügbar.

Haben wir schon eine neue Ethik, die groß genug ist für die Größe künftiger Weltkommunikation? Darüber wurde in Minnesota heiß diskutiert. Warum sollte man nicht die Auffassung vertreten, daß die alte genügte, wenn sie nur eingehalten würde? Zeitgemäß interpretiert mußten die Zehn Gebote immer schon werden.

Der Journalist braucht kein neues Gebot an Stelle des alten: „Du sollst nicht lügen!" Er muß nur wissen, wie viele Möglichkeiten des Lügens ihm die (alte und neue) Kommunikationstechnik verschafft: Lügen durch einseitige Nachrichtenauswahl, schlampige Recherche, immer rücksichtsloser werdende Vermischung von Nachricht und Kommentar (was als prominenter Mit-diskutant auch Länderbank-Generaldirektor Franz Vranitzky rügte), Lügen durch Auslassung, durch Meuchelfotos, irreführende Uberschriften, Zwang zu Personalisierung, Skandalisierung und Anekdotisierung komplizierter Probleme, und hundert andere Mediensünden mehr.

Das Problem ist nicht, daß sich die Medienzunft der Welt nicht auf einen Ethikkodex für journalistisches Verhalten einigen kann. Die Unmöglichkeit eines solchen zu begründen, nahm einen Großteil der Zeit amerikanischer Vortragender in Anspruch. 1 Wichtiger wäre, einfach zuzugeben, daß der (in Amerika wie in Österreich) wachsende Zorn über journalistisches Fehlverhalten begründet ist und nicht nur auf Mißverständnissen beruht, sondern echte Verhaltensänderungen auch der Journalisten (ganz ohne Kodex) notwendig machte.

Das gut besonders auch im Hinblick auf Kommunikation mit Gesellschaften, die auf anderen Werten als den unseren basieren. Publizistikprofessor John C. Merrill wollte einen Grundsatz dafür so formulieren: „Nur mit jenen Informationen austauschen, die das selbst wünschen, und nur über Themen gemeinsamen Interesses."

Praktisch hieße dies: Österreich dürfte keine „unerwünschten" Informationen über den Eisernen Vorhang gelangen lassen — während der Kommunismus uns mit Propaganda überschüttet. An solche Konsequenzen denkt ein ferner Theoretiker nicht.

Daß aber nach dieser Maxime Amerika uns mit „Dallas" und „Dynasty" überschwemmen darf, weil wir's gern sehen, ist klar. Für annähernd gleich entwickelte Völker sollte das Prinzip der Wahlfreiheit auch unbestritten und uneingeschränkt gelten.

Die Ethik-Frage ist: Hat der Westen (wir wie die Amerikaner) das Recht, via TV-Satelliten die Steinzeitmenschen von Papua-Neuguinea ihrer kulturellen Identität zu berauben, sie geistig zu entwurzeln und mit den Segnungen unserer Lebensweise zu übergießen?

Das ist eine weiterreichende Problematik, als sie in der jahrelangen Abwehrschlacht des Westens gegen diverse UNESCO-Pläne zugegeben worden ist.

Journalistikprofessor Robert Lindsay (U. of Minnesota) schlug die Schaffung eines gemeinsamen austroamerikanischen Instituts zur Beratung konkreter Pilotprojekte für sinnvolle und gewünschte Kommunikationshilfe an die Dritte Welt vor. Austrian-Center-Direktor William E. Wright, der verdienstvolle Organisator dieser Begegnung, ist auch dafür, das ernsthaft zu diskutieren, auch wenn es naturgemäß Bedenken gibt. Aber warum etwas nicht geht, dazu fallen einem Österreicher ja immer hundert Bedenken ein.

Die Erde als globales Dorf erfordert jedenfalls auch eine moralische Anstrengung. Österreich muß von festen ideellen Ufern aus seine Brücken bauen.

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