Die (v)erkaufte Wahrheit

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Natürlich sind die Zeitungen unabhängig. Dennoch schadet es nicht, ein Auge auf die Interessen zu haben, welche Verleger und Journalisten umtreibt.

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Natürlich sind die Zeitungen unabhängig. Dennoch schadet es nicht, ein Auge auf die Interessen zu haben, welche Verleger und Journalisten umtreibt.

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Printmedien werden nicht nur, aber vermehrt nach kommerziellen Gesichtspunkten hergestellt. Gewinnabsichten dominieren über Qualitätsansprüchen. In welchem Spannungsfeld stehen Journalisten dabei? Blickschärfung ist notwendig, um die zu entdecken, was hinter manchen Beiträgen und zwischen den Zeilen steht: Ein Leitfaden für kritische Leser.

Auf zwei Märkten Printmedien sind marktwirtschaftliche Produkte ganz besonderer Art: Verlage, die solche Druckwerke herstellen, operieren nämlich gleich auf zwei Märkten: Einmal verkaufen sie Information, Unterhaltung und dergleichen an Leser und Leserinnen. Gleichzeitig verkaufen sie Werbung und Anzeigen - an Unternehmen genauso wie an Parteien und etwa Ministerien. Laut Schätzungen ergeben sich die Erlöse bei Österreichs Tageszeitungen zu mehr als 50 Prozent aus dem Anzeigengeschäft, deutlich weniger Einnahmen stammen aus dem Vertrieb, also vom Kauf der Zeitungen selbst.

Der eine Markt hat viel mit dem anderen zu tun. Je höher der Absatz des Mediums bei seinen Leserinnen und Lesern, desto interessanter ist er für die Werbewirtschaft, je höher die Bindung der derselben an das Medium, desto besser für die werbende Wirtschaft. Je mehr Werbeeinnahmen, umso günstiger kann das Produkt an die Leserschaft abgegeben werden und so weiter.

Im Allgemeinen muss man bei kommerziellen Medien von einer Gewinnabsicht ausgehen. Daher werden die Verleger danach trachten, Absatz und Werbeeinnahmen so optimal zu steuern, dass das Ertragsziel für sie stimmt. Nicht also die viel beschworene Informationsfunktion, Vermittlungs- und Kritikfunktion oder auch die Kontrollfunktion innerhalb des Staates sind typisch für kommerzielle Medien, sondern deren Gewinnabsicht.

Zahlreiche Leser und Leserinnen fragen qualitativ hochwertige Informationen, Analysen und Hintergrundinformationen nach - manche Printmedien trachten auch danach, diesen Wünschen zu entsprechen. Bei sogenannten Qualitätsmedien sind es die Redaktionen, die ein Interesse haben, ihren Leserinnen und Lesern entsprechende Qualität zu liefern.

Nicht selten berühren diese Interessen aber die der Anzeigenabteilungen, für die Qualität per se kein Wert ist. Viele Printmedien - Boulevard-Medien - haben offensichtlich keinerlei Interesse an Qualität, manchen gelingt es, so zu tun, als hätten sie ein solches.

Marketing total Neben dem Anzeigen-Marketing, das darauf abzielt, möglichst viele Einnahmen aus Anzeigenerlösen zu erwirtschaften, fordern Marketing-Experten auch das Mitwirken der Redaktionen am Marketing eines Mediums ein: Das sogenannte Redaktions-Marketing. Auch die Redakteure sollen ihr Beitrag dazu leisten, dass sich das Produkt bei den Leserinnen und Lesern absetzt.

Es stellt sich also die Frage: Was und wie soll geschrieben werden, damit das Produkt seinen Absatz bei den Lesern findet? Rein theoretisch scheint diese Form des Marketing vereinbar mit den hehren Vorstellungen von Qualität und demokratischer Kontrolle. Beginnt allerdings eine Redaktion im Sinne des Marketing zu denken, stellt sich die Frage der redaktionellen Arbeit nach anderen, das heißt, nach absatzorientierten Gesichtspunkten.

Ein Ergebnis dieser absatzgeleiteten Redaktionsüberlegungen kann sein, die Redaktionsarbeit stärker nach dem speziellen Interesse bestimmter Zielgruppen auszurichten. Tatsächlich produzieren Zeitungen immer mehr Beilagen zu bestimmten Themen wie Alter, Schule, Internet und dergleichen, mit der ganz bestimmte Zielgruppen im Sinne des Marketing angesprochen werden. Die Leser werden ganz konkret als Konsumenten adressiert. In den Theoriebüchern liest sich die Sache einfach: Alle sollen mitwirken am Marketing, auch die Redaktionen. Der Markt wird segmentiert, es gibt keine universelle Zeitung mehr, sondern Produkte, die auf die verschiedensten Lebensstile ausgerichtet sind. Sonderseiten und Beilagen sollen das "Zielgruppen-Manko" beheben.

So können ältere Menschen, Kinder und Jugendliche gesondert angesprochen werden. Auf dem Wege des redaktionellen Marketings droht jedoch eine ständig größer werdende Kommerzialisierung und damit einmal mehr, dass Journalisten - entgegen dem alten Verständnis - immer weniger ihre Funktion als Watchdogs ("Wachhunde") in der Gesellschaft ausüben können.

Bestimmte Printmedien (etwa auf dem Magazinsektor) lassen den Redaktionen überhaupt nur mehr wenig Spielraum für Qualität: Vorrangiges Ziel ist die Attraktivität für die Werbewirtschaft und ein animierendes Produkt, das gerne gekauft wird. Zielgruppenorientiert wird auch hier vorgegangen: Lifestyle ist angesagt, eine bunte Mischung aus Modewelt, Wirtschaft, High-Society und Politik kann das Resultat sein. Immer geht es um den Absatz.

Die Redaktion bietet das "redaktionelle Umfeld" für die Werbewirtschaft und für die Lifestyle-Konsumentinnen und -Konsumenten. Hier ist ganz klar, wer den Ton angibt: Nicht die Redaktion, sondern das Marketing.

Oftmals unterscheiden sich Aufmachung des redaktionellen Teiles und Werbeeinschaltungen in Stil und Layout kaum von einander.

Sechs Fragen an Leser Dort, wo Redaktionen noch versuchen, einen Beitrag zur Qualität zu leisten, stellt sich meist die Frage nach dem redaktionellen Marketing auf sehr pragmatische Art, wie folgende Beispiele und die daraus resultierenden Fragen zeigen: * Vor dem 26. Oktober erscheint eine Beilage zum Thema Bundesheer, gespickt mit Werbung der Rüstungsindustrie.

Wie, so dürfen sich Leserin und Leser fragen, kann eine Redaktion diese Beilage unabhängig und kritisch gestalten?

* Eine lokale Stadtzeitung hat als Hauptwerbekundschaft die Regierung eben dieser Stadt. Wundern Sie sich daher nicht über eine mehrseitige Sonderbeilage zur städtischen Müllentsorgung.

Kann die kritische Funktion gegenüber der Stadtregierung da noch ausgeübt werden?

* Vielfach werden in Zeitungen auch Themen aufgegriffen, die bei den Leserinnen und Lesern hoch im Kurs stehen, und für die sich Financiers finden: zum Beispiel das Thema Familie.

Wie unabhängig ist der Journalismus in einem Qualitätsmedium, wenn dort eine Sonderserie von einer Firma gesponsert wird, die der Meinung ist, dass sie von dieser Art des "Social Sponsoring" für Ihr Image profitieren kann?

* Nicht nur sind Printmedien bemüht, an die Werbegelder der Wirtschaft oder von öffentlichen Stellen zu kommen. Zum 50-jährigen Jubiläum der Menschenrechte 1998 beispielsweise plante ein österreichisches Qualitätsmedium eine Sonderbeilage, in der sich Menschenrechtsorganisationen entgeltlich darstellen sollten. Was sie vermutlich aus Mangel an Mitteln nicht taten.

Warum erschien als Resultat der vergeblichen Anzeigenbemühungen zu diesem Jubiläum inhaltlich fast gar nichts? Ist das Thema Menschenrechte nur in dem Maße interessant, wie es Einnahmen bringt?

* Public Relations gehen oft Hand in Hand mit Werbeaufträgen: Man erinnere sich nur an die Werbekampagne zum EU-Beitritt.

Mit Millionenaufwand wurde die Meinung der Bürgerinnen und Bürger zu beeinflussen versucht ...

* Oftmals entsprechen bezahlte Einschaltungen in ihrer Gestaltung ganz dem Layout aller anderen redaktionell gestalteten Seiten. Erst auf den zweiten Blick entlarven sich diese Beiträge als Werbung.

Ist das die Informationen, die Sie sich, sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser von Ihrer Zeitung erwarten?

Will man bei den Bürgerinnen und Bürgern also ein Thema besonders hervorstreichen, so die Devise, muss man dafür in den Medien auch etwas bezahlen. Organisationen, die sich sozialen Themen widmen, bekommen von PR-Spezialisten auch immer wieder den Rat, mehr Geld für Werbung und Werbekampagnen auszugeben, um besser "in die Medien zu kommen". Herkömmliche Instrumente der Public-Relations gelten als nicht mehr ausreichend in einer kommerzialisierten Medienlandschaft.

Der Autor ist im Bereich Öffentlichkeitsarbeit/Marketing der Katholischen Sozialakademie Österreichs sowie im Rahmen alternativer, nicht-kommerzieller Medien tätig.

Nächste Wochelesen Sie im Dossier: Marathonund Politik * Von Marathon nach Wien * Martin Bartenstein und Josef Cap zum Mythos Marathon * Warum laufen Politiker? Wem laufen sie nach? Vor wem laufen sie davon?

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