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Digital In Arbeit

Die Welt wird Dorf

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Beim Europäischen Forum Alpbach 1986 widmete sich ein Arbeitskreis dem Thema „Neue Medien und nationale Identität“. Dieser Beitrag faßt die Ergebnisse zusammen.

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Beim Europäischen Forum Alpbach 1986 widmete sich ein Arbeitskreis dem Thema „Neue Medien und nationale Identität“. Dieser Beitrag faßt die Ergebnisse zusammen.

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Wenn wir hören, daß wir gegenüber dem Jahr 2000 erst 15 Prozent der Anwendungsbereiche durch Mikroelektronik erschlossen haben, dann können wir uns leicht vorstellen, wieviel Kommunikation wir benötigen werden, um uns gegenseitig zu verständigen. Diese Verständigung, dieses Verständlichmachen, dieses Erreichen einer gleichen Ebene zum Austausch von Wissen und Erfahrung ist ja letzten Endes das Ziel der Kommunikation. In diesem Bereich werden sich Dinge abspielen, die unser Leben wirklich entscheidend verändern werden ...

Das Bedeutende an der Elektronik, an den neuen Medien ist, daß

die Ortsgebundenheit entfällt, daß die Übertragung über weite Strecken so gut wie gar nichts kostet, daß Kommunikation damit grenzüberschreitend wird. Damit stehen natürlich einem „nationalen Overflow“ überhaupt keine Schranken und Hürden mehr im Wege. „Nationale Identität“ ist jedenfalls keine Ausrede, sich internationalen Entwicklungen zu verschließen.

Ganz im Gegenteil: Wenn wir uns unsere nationale Identität (was immer sie auch sein mag) bewahren wollen, dann müssen wir uns nicht nur internationalisieren, sondern wir müssen uns international integrieren. Das ist unsere Uberlebenschance.

Doch nun zum Begriff „nationale Identität“. Daß wir es dabei ei-' gentlich mit keinem sehr relevanten Thema zu tun haben, ist den Teilnehmern an diesem Arbeitskreis klargeworden, als wir unseren Seminarraum in der dritten Klasse der Volksschule in Alpbach betreten hatten. Die Volksschule in Alpbach liegt zwar in Osterreich, aber was haben wir statt des üblichen Bildes des Bundespräsidenten gesehen? Ein Bild von Andreas Hofer.

Auch der Begriff „nationalstaatliche“ Identität hat uns nicht weitergeführt... eher noch der Gedanke der Identität eines Kulturraums, der sich durch Sprache und Tradition ergibt.

So sind wir schließlich zu einer unserer Meinung nach wesentlicheren, gültigeren und weiterführenden Definition gekommen: zum Begriff der „regionalen Identität“ beziehungsweise dem Bedürfnis nach regionaler Identität.

Auf der Spur nach der regionalen Identität haben wir zwei wichtige „Mega“-Trends wiederentdeckt:

• den Trend zur Individualisierung (und Regionalisierung ist sicher eine Form der Individualisierung)

• und den Trend zur multiplen Option (zum „Sowohl-als-Auch“ anstelle des „Entweder-Oder“).

Weil es das Bedürfnis nach Individualisierung und weil es das Bedürfnis nach regionaler Identität gibt, verstärkt gerade die globale Kommunikation den Wunsch nach regionalem Selbstverständnis. So ist auch der Satz „Die Welt wird zum Dorf... das Dorf wird zur Welt“ zu verstehen.

Damit kommen wir zu einer weiteren wichtigen Schlußfolgerung: Wir meinen, daß die Entwicklung der Medien primär von der Erfüllung der individuellen Bedürfnisse abhängt.

Wir glauben schon, daß im Prinzip technisch alles machbar ist... in einer ungeheuren Vielfalt, in einem ungeheuer vielfältigen Angebot. Die Kernfrage ist aber, wer braucht das alles, wer konsumiert das alles, wer finanziert das alles?

Die Antwort kann eigentlich nur im Bereich der Bedürfnisse und der Möglichkeiten liegen; und wir sind zur Ansicht gekommen, daß sich nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch die gesetzlichen Bedingungen den Bedürfnissen anpassen müssen und nicht umgekehrt.

Auch beim Medium Fernsehen müssen wir davon ausgehen, daß die Entwicklung des Mediums von der Erfüllung individueller Bedürfnisse abhängt. Heißt das aber dann, daß nur produziert werden soll, was konsumiert wird?

Stichworte wie „Infratestis-mus“, „Reichweite“, „Quantität“, „Schwarzwaldklinik“ oder „Dy-nasty“ drängen sich auf, und es drängen sich auch die Stichworte für die möglichen Gegenzüge auf: Soll unter dem Vorwand der Erhaltung von Qualität, kulturellem Niveau (was immer man darunter verstehen mag) der Bürger zwangsbeglückt werden, und soll er diese Zwangsbeglückung selbst und ungefragt bezahlen?

Auch hier müssen wir annehmen, daß ein wichtiger MegaTrend, die multiple Option, die Zukunft des Mediums bestimmen wird: TV-Pilzkulturen nach dem (teilweise schon überwundenen) italienischen Muster sind vermutlich ebensowenig die einzige Antwort wie die blinde Verteidigung der Monopole.

Die Alternative „gebührenpflichtiges, öffentlich-rechtlich organisiertes Fernsehen = Qualität“ gegenüber „freies, durch Werbung finanziertes Fernsehen = junk-food“ gilt nicht: Zumindest für den deutschsprachigen Raum sehen wir neben dem öffentlich-rechtlichen Gebühren-Fernsehen (mit einem durchaus wettbewerbsorientierten Programm) zwei bis drei große private Programm-Anbieter (die durchaus auch Qualität anbieten).

Der Trend zur Individualisierung wird dabei ohnedies dem „Infratestismus“, dem ausschließlich quantitativ orientierten Angebotsdenken entgegenarbeiten.

Schließlich darf man auch den Aspekt des Marketing nicht außer acht lassen, denn Fernsehen kann — so oder so—ohne Werbung nicht finanziert werden. Es gibt keinen ernsthaften Beweis, daß Werbung im Fernsehen in nennenswerten Größenordnungen abgelehnt wird...

Selbst wenn die Medientechnologie Tendenzen des „Global Marketing“ (weltweite Vermarktung) der multinationalen Werbung fördert, wird der alte Grundsatz „all business is local“ (.jedes Geschäft ist ortsgebunden“) Gültigkeit behalten. Den Werbungstreibenden wird daher die Bedeutung regionaler Werbe- und Mediastrategien und die Notwendigkeit, individuelle und regionale Bedürfnisse zu befriedigen, immer stärker bewußt werden.

Damit sind wir aber zum Schluß wieder beim „ideologischen“ Ausgangspunkt des Resümees angelangt: Die Vielfalt der Möglichkeiten und Angebote, die multiplen Optionen und die individuellen, regionalen Bedürfnisse werden sicher unsere Gesellschaft, unser Leben, unsere regionale und unsere persönliche Identität ändern—ganz nach unseren Wünschen, ganz nach unseren Möglichkeiten.

Die Zukunft der „Neuen Medien“ wird daher von uns entschieden: Und nur von uns... als Me-dien-„Konsumenten“.

Der Autor ist Medienberater und geschäftsführender Partner der Media 1.

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