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Von München nach Wien

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Die erste Begegnung mit der Presse Österreichs, nein Wiens, könnte nicht direkter und schneller sein, und sie wiederholt sich bei der Einfahrt in die Stadt an jeder größeren Straßenkreuzung: Junge dunkelhaarige und dunkelhäutige Burschen versuchen, unter Einsatz ihres Lebens „Kurier" und „Kronenzeitung" an den Autofahrer zu bringen. Gesund kann dieser Job inmitten der Autoabgase nicht sein, aber offensichtlich ist er nötig. Weil die Autoinsassen so wild auf die Zeitungen sind oder weil die beiden Blätter anders gar nicht an die Frau und den Mann zu bringen wären?

Nach einigen Tagen Lektüre weiß ich mir selbst darauf noch keine rechte Antwort. Einerseits: daß Österreich mit der „Kronenzeitung", setzt man Auflage und Bevölkerungszahl zueinander in Relation, sozusagen die größte Zeitung der Welt hervorgebracht hat, muß etwas mit journalistischer Qualität zu tun haben. Andererseits: daß Wien nicht in der Lage ist, eine hochauflagige, seriöse Tageszeitung zu tragen, sagen wir vom Typ „Süddeutsche

Zeitung" oder „Frankfurter Rundschau", das bedarf der Erklärung.

„Die Presse" kann angesichts ihrer vergleichsweise niedrigen Auflage und ihres — mich erstaunenden — geringen Anzeigenaufkommens ja nur ein Zuschußgeschäft sein. Gibt es also für Qualitätsblätter dieses Typs in Wien kein Publikum? Und dies in einer Stadt, in der jeden Abend Tausende in die Theater, Konzerte und sonstigen, höchst anspruchsvollen Kulturveranstaltungen strömen!

Reicht angesichts der gepfefferten Eintrittspreise dann der Schilling nicht mehr für ein Zeitungsabonnement? Ich weiß jedenfalls, daß ich das beim morgendlichen Kaffee vermissen werde: diese mir aus München so vertraute Mischung von politischer Tageszeitung und Lokalblatt, von Kulturberichterstattung und umfassendem Inseratenteil. Was wird mir nun hier beim Einleben helfen?

Apropos „Einleben": Vor vielen Jahren haben wir in München während des Baues einer Trabantenstadt einmal eine Studie über das Einleben als Kommunikationsprozeß gemacht. In der Erinnerung daran habe ich seit Anfang 1983 „profil" abonniert, um auf rationelle Weise die für meine neue Arbeit nötige Politik- und Personenkenntnis zu erwerben. Das wurde ein merkwürdiges Lektüreerlebnis, denn das Bild der politischen Wirklichkeit Österreichs, das sich mir so vermittelte, war das einer korrupten Republik.

Ist das nun die Realität und das Problem „Korruption und Politik" in diesem Lande wirklich aktueller als etwa in Bayern? Oder sind die österreichischen Journalisten einfach die besseren Wachhunde, die erfolgreicheren Inve-stigatoren, während ihren Münchner Kollegen entgeht, wie die Politiker sich bereichern?

Diesen Verdacht nährt ein Kabarettprogramm, das seit Monaten in den Kammerspielen mit beispiellosem Erfolg gespielt wird und unter dem bösen Titel „München leuchtet" all das an Filz und Vetternwirtschaft auf die

Bühne bringt, was man in den Zeitungen vergeblich liest. Es würde mich trösten, wenn der Korruptionsgrad hier wie dort gleich groß (besser: gleich klein) wäre, und es würde mich freuen, wenn in Wien die bissigeren, findigeren Journalisten arbeiteten.

An Stoff fehlt es ja weiterhin nicht. Kaum ist der WBO-Prozeß beendet, in dessen Urteilsspruch als Grundübel die Verquickung von politischer und wirtschaftlicher Macht gegeißelt wird, der „Käseprozeß" noch in Gang, da gehen schon wieder die ersten Nachrichten über einen Zuschußskandal in einem Bundesland durch die Zeitungen. Die Rolle, die Journalisten in solchen Zusammenhängen spielen, interessiert mich jedenfalls sehr: Was tragen sie bei zur notwendigen demokratischen Kontrolle aller Macht? Aber auch: geraten sie damit nicht in berufsethische Konflikte durch die—korrumpierende — Vermischung von Politik und Journalismus?

Lustig ist, welch alten Bekannten man auch in den Wiener Zeitungen begegnet. Krankheitsund Ärzteserien sind seit einiger Zeit in schöner Regelmäßigkeit durch alle drei Münchner Straßenverkaufszeitungen gewandert.

Uberhaupt fällt mir auf, daß dieser Typ der Zeitung formal und inhaltlich sehr einheitlich „gestaltet" ist. Die Erfolgsrezepte scheinen in Zürich die gleichen wie in Hamburg und Wien. Von jenen Zutaten, die ich historisch mit dem Wiener Journalismus verbinde, das Feuilleton zumal, finde ich weit und breit nichts. Aber immerhin: die Kultur schafft es, mit einem Bilde Pey-manns auf die Seite 1 der „Presse" zu kommen, wo sonst Reagan und Tschernenko stehen!

Wie ausführlich alle Zeitungen dieses Ereignis der Neubestallung eines Burgtheaterdirektors feiern — das dürfte ziemlich einmalig sein. Als neubestallter Professor lese ich dagegen im „Wiener Journal", das mir gerade ob seines Anknüpfens an ältere journalistische Traditionen sympathisch zu werden begann: „Auch unser Rang im Kulturellen hat sich nicht gerade verbessert: ... Welcher anerkannte Name will Professor in Wien werden?"

Peymann müßte man sein.

Der Autor ist der eben von München an die Universität Wien berufene Ordinarius für Publizistik und Kommunikationswissenschaft.

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