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Wege und Abwege eines Interviews

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Die französische Zeitung „Le Monde“ veröffentlichte in der Nummer vom 7./8. Mai 1950 ein „Interview“, das ich in meiner Eigenschaft als derzeitiger Rektor der Universität Innsbruck dem Pressevertreter dieser Zeitung, Herrn Georges Penchenier, anläßlich der französisch-österreichischen Ärztetagung in Innsbruck (11.—16. April) gegeben habe. Im Interesse einer genaueren Kenntnis der geistigen, politischen und religiösen Strömungen, vorab unter der akademischen Jugend, hat sich Herr Penchenier an mich gewandt, um davon Genaueres zu erfahren aus dem Munde eines akademischen Lehrers, dem man zum mindesten nicht die lebendige und tätige Teilnahme an allen geistigen und wirtschaftlichen Nöten der Studenten absprechen kann. In diesem Sinn — und nur in diesem — habe ich versucht, ihm aus der Geschichte und aus den aktuellen Problemen unseres Landes die mannigfache Verschiedenheit dieser Ansichten und Strömungen zu umreißen, soweit dies in einer auf französisch geführten Unterhaltung von zwanzig Minuten möglich war. Der Pressevertreter hat dabei weder etwas gesagt von dem Charakter dieser Unterhaltung als einem „Interview“, hat sich also auch keinerlei unmittelbare Notizen gemacht, hat niemals um die Erlaubnis zu einer Veröffentlichung gebeten und hat demnach auch vor der Drucklegung niemals ein Manuskript vorgelegt. Und die Nummer des „Monde“ habe ich erst, von Freunden aufmerksam gemacht, an einem Kiosk gekauft. Dies die schon recht merkwürdige Vorgeschichte dieses „Interviews“.

Zum Inhalt einer so aufgemachten Unterredung möchte ich hier zunächst nur wiederholen, was ich in einem sofort und in französischer Sprache abgefaßten Protest an die Redaktion des „Monde“ geschrieben habe — ich zweifle nidit, daß die Redaktion mit jener Höflichkeit, die bei den großen Blättern der Weltpolitik üblich ist, sie demnächst veröffentlichen wird:

„Der ,Monde“ vom Sonntag, den 7. Mai, veröffentlicht an sichtbarer Stelle unter dem Titel ,Die Kirche kann sich nicht an 1 der Politik desinteressieren' einen Aufsatz, der sich unmittelbar mit mir beschäftigt. Ich schätze Ihre Zeltung, deren Objektivität und Güte der Berichterstattung und deren Bemihen um Objektivität auch in Österreich anerkannt wird, zu sehr, um es nicht anzuerkennen, daß Sie mir die Ehre erweisen, mir Ihre Spalten zu öffnen. Um so mehr muß ich den Aufsatz bedauern, der, ein Gemisch zwischen Interview und Eigenbericht, meine Aussagen mit Ansichten in Zusammenhang v ringt, die ich nie geteilt habe, und der mir Worte in den Mund legt, die ich nicht gesagt habe. Ich will nicht einmal so sehr den Nachdruck legen auf gewisse Dinge der Abfassungsweise, obwohl ich auch diese bedauere. Selbst wenn ich ein gewisses Verständnis aufbringe für den neckischen Ton des Berichtes, so erinnert er mich dennoch zu stark an gewisse Dinge aus Eugene Sue. Schon dieser Obertitel kann einen ja bestürzt machen! Glauben Sie mir, die Zeiten der Kardinäle von Amboise, de Joyeuse und Mazarins sind endgültig vorbei, sogar hier in Tirol und in Niederösterreich!

Aber, um zur Hauptsache zu kommen: angesichts der vielfältigen und schwerwiegenden Mißdeutungen meiner eigenen Ansichten, halte ich midi für verpflichtet, Ihnen folgende Richtigstellungen zukommen zu lassen.

Die Berichterstattung über unsere Unterhaltung mit Ihrem Pressevertreter ist umrahmt von Gedankengängen und Urteilen, ja von heimlichen Andeutungen, die meine Stellungnahme unmittelbar verfälschen. Das Mein und Dein in dieser Unterredung ist so ungeschickt verteilt, daß man zur säuberlichen Trennung eine wahre Kur\st der Exegese anwenden müßte. So muß der nicht eingeweihte Leser fast notwendig mir Ansichten und Stellungnahmen zuschreiben, die ich persönlich niemals einnahm und die so ungefähr das Gegenteil bilden von dem, was ich privat und als Lehrer vertrete.

Noch mehr: der Pressevertreter hat ja zu Beginn seines Aufsatzes ausdrücklich geschrieben, daß er mich nicht um meine private Meinung befrage (er hat ja wohl wissen müssen, daß ich als Rektor der Universität ihm dies kategorisch verweigert hätte), sondern von mir einzig vernehmen wolle, was so die verschiedenen Strömungen, die unter der akademischen Jugend diskutiert werden, besagten. Aber im Lauf der Darstellung und am Ende derselben legt er alle diese Hoffnungen und Enttäuschungen und Gedanken, deren Zeuge ich ohne Zweifel bin, aber nicht deren kompetenter Beurteiler und noch weniger deren Komplice, in meinen eigenen Mund.

Überdies: da so manches, was auch noch zur Sprache kam an Gedanken und Strömungen unter der akademischen Jugend, mit Stillschweigen übergangen wird, muß der Leser am Ende den Eindruck gewinnen, daß Ich mich selbst identifiziere mit all den Meinungen, dia ich freundlicherweise darzustellen suchte.

Es war meine strenge Pflicht, Ihnen diese Richtigstellung zu übermitteln, und ich bitte Sie, diese ebenfalls zur Kenntnis Ihrer Leser zu bringen. Ich danke Ihnen dafür jetzt schon.“

Dies der Wortlaut meines Schreibens an den Chefredakteur des „Monde“. Es wäre kein Grund, auch für die österreichischen Leser, die über den Bericht des „Monde“ mit Recht bestürzt waren, mehr hinzuzufügen. Denn es ist mir peinlich, mich in der Öffentlichkeit zu verteidigen, weil jedermann, der midi kennt, genau weiß, daß ich weder als Wissenschaftler noch auch als akademischer Lehrer, und schon gar nicht als derzeitiger Rektor der Innsbrucker Universität, mit Politik irgend etwas zu tun habe. Aber da die „österreichische Volksstimme“ vom 13. Mai den Fall als eine große Sensation aufgemacht hat und in unmittelbaren Zusammenhang mit den angeblich politischen Hintergründen des Falles J a c h y m bringt, ist es meine Pflicht, auch dagegen ein Wort in eigener Sache zu veröffentlichen.

Der Berichterstatter des „Monde“ hat es freilich denjenigen leicht gemacht, die einen Zusammenhang wittern zwischen dem Fall Jachym und meinem „Interview“. Dhnp impnrfpinon seinem Bericht noch eine eigene Reflexion über die Vorgänge vom 23. April im Wiener Stephansdom an. Da unsere Unterredung aber schon vor dem 16. April stattfand, konnte weder Herr Penchenier noch ich noch irgend jemand in Österreich und in Wien etwas wissen, was sich im Stephansdom am 23. April begeben werde. Die „österreichische Volksstimme“ verlegt darum unsere Unterhaltung allwissend auf den 7. Mai. So etwas unterstreicht die vagen Vermutungen, die ein unaufmerksamer Leser schon aus dem „Interview“, diesem wahren Sammelsurium aus unbestimmten Erinnerungen dreier Wochen, herauslesen mochte. Es verlohnt sich nicht, mit solchen Unterstellungen weiter in der Öffentlichkeit zu rechten. Zur Kennzeichnung der Weise, wie das „Interview“ zusammengeschrieben wurde, möchte ich die Kenner der Verhältnisse in Innsbruck und Österreich nur darauf hinweisen, daß der Pressevertreter in seinem unverantwortlichen Bestreben, die Unterredung recht sensationell aufzuputzen, vom Innsbrucker „Canisianum“, dem allen bekannten Priesterseminar, spricht als einer „Festung“ der Jesuiten, als einer „Pflanzschule für politische Führer, die in der Stella Matutina in Vorarlberg erzogen wurden“ und was dergleichen Unsinn, mehr ist: Und glaubt im Ernst jemand in Österreich, der Rektor der Innsbrucker Universität sei der Ansicht; das Österreich von heute sei ein Anachronismus“? Oder er habe sich dazu bekannt, die Politik der österreichischen Bischöfe sei bisher falsch gewesen? Und er habe dies ausgerechnet Herrn Penchenier anvertraut? Es widerstrebt mir, noch auf weitere solche Einzelheiten einzugehen.

Schon gar nicht verteidige ich mich gegen die verdoppelten Entstellungen, die die „österreichische Volksstimme“ aus dem ohnehin schon genugsam entstellten „Interview“ herausgelesen hat

Meine kurze Unterredung mit dem Pressevertreter des „Monde“ hatte keinen anderen Zweck, als diesem Vertreter einer führenden französischen Zeitung aus der Geschichte und aus der Gegenwart einigermaßen klarzumachen, woher die Vielfalt und oft auch die Gegensätzlichkeit der religiösen und politischen Ansichten unter der akademischen Jugend zu erklären seien. Daran ist ganz und gar nichts „Sensationelles“. Wenn der Verfasser dieses „Interview“ daraus dennoch eine kleine Sensation gemacht hat, so hat er wieder einmal den Tribut gezahlt an die nicht genug zu beklagende „Unmoral“ — es ist vielleicht ein hartes Wort, aber jeder Mann der Öffentlichkeit wird es mit mir unterschreiben —, einer Zeitungsberichterstattung, die ohne Rücksicht auf das Ansehen und den Stand eines Befragten Dinge aufbauscht, die ganz anders gesagt und gemeint waren, und Dinge hinzufügt, die nicht gesagt wurden, und endlich das Ganze in einen Zusammenhang stellt, in den es nicht hineingehört.

Ich vertraue in dieser Sache auf eine andere Volksstimme, nämlich die meiner teuren Studenten der Innsbrucker Universität und die aller Vorgesetzten und Freunde, die mich kennen. Sie wissen, wie ich denke, und sie wissen vor allem, daß mir als einem Mann der Wissenschaft und als einem einfachen Priester alles näherliegt als die Politik, sogar die Kirchenpolitik, in die man mich hineingezogen hat.

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