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Blogger, Podcaster, Hobbyfilmer: Im Web entsteht eine neue Medienlandschaft, die traditionellen Medien(konzernen) ungeniert Konkurrenz macht.

Wie viel Geld braucht man, um eine Tausendschaft treuer Leser zu bekommen? Null Cent. Genau diese Summe kostet es, einen Weblog einzurichten. Ein Mikro und ein Laptop reichen aus, um den Radios der Welt Konkurrenz zu machen. Mit einer simplen PC-Webcam für 30 Dollar drehte der US-Teenager Anthony Padilla ein Video, das binnen sechs Monaten über zwölf Millionen mal angesehen wurde.

Nie zuvor gab es eine Zeit, in der sich die Medienlandschaft so radikal veränderte: Die nächsten zwei Jahre werden mehr Veränderungen für die Medienindustrie bringen als all die Jahre seit dem Druck der ersten Tageszeitung. Das Web und digitale Produktionsmöglichkeiten versetzen ihre Nutzer in die Lage, es mit den größten Medienkonzernen der Welt aufzunehmen.

Seit der Erfindung des WorldWideWeb durch Tim Berners-Lee 1989 ist die Rede von der Demokratisierung der Medien. Zwar konnte bereits damals jeder seine eigene Homepage einrichten, zum Phänomen der Massen wird das allerdings erst jetzt. Die Zeit ist endgültig reif für die so genannten "Bürgermedien": Es wird immer einfacher und billiger, ausreichend viele Nutzer bevölkern das Web, mobile Geräte wie Apples iPod gehören zur Lifestyle-Standardausstattung und die technische Basis zum Abo jeglicher Inhalte ist da.

Browse-Search-Subscribe

Der Softwareentwickler Dave Winer schuf 1999 einen Mechanismus, der Texte, Audio-Dateien oder Videos auf Wunsch in der Sekunde auf den Rechner des Medienkonsumenten lädt, in der sie veröffentlicht werden. Diese Technik nennt sich RSS (Really Simple Syndication) und sorgte für einen Paradigmen-Wechsel im Web: von Durchblättern (Browse) über die Suche (Search) hin zum Abo (Subscribe).

Die ersten, die Gebrauch von der neuen Technik machten, waren Blogger. Sie hatten mit RSS ein Werkzeug in der Hand, ihre Webjournale untereinander zu vernetzen. Plötzlich war es nicht mehr nötig, hunderte Nachrichtenquellen manuell im Browser anzusteuern, sondern man kann nun alle relevanten Inhalte in Echtzeit lesen.

Mit den neuen Möglichkeiten verbreiteten sich auch Weblogs rasant. Aktuelle Schätzungen gehen von weltweit 50 bis 70 Millionen Blogs aus. Das Wachstum ist schwindelerregend: Die Anzahl der bei der Blogsuche Technorati vertretenen Webjournale verdoppelt sich alle sechs Monate. Ein Vergleich zeigt allerdings große regionale Unterschiede: Während in Österreich und Deutschland "nur" rund 350.000 Personen ihren Weblog aktiv führen, sind es in Frankreich bereits über drei Millionen. Mit ein Grund dafür dürfte das Bild von exhibitionistischen Tagebüchern in den traditionellen Medien sein. Solch Image stimmt aber ganz und gar nicht. Zwar gibt es unendlich viel Müll, dazwischen finden sich aber wahre Content-Perlen.

Weblogs gibt es zu jedem denkbaren Thema - von Bienenzüchtern über Fußball-Fans und Autoliebhabern hin zu zynisch-witzig geschriebenen Kolumnen übers jeweils andere Geschlecht. Sie sind Ausdruck eines weiteren Phänomens im Internet: des so genannten Long Tails, eines unendlich langen Rattenschwanzes individueller Einzelinteressen. Welche Tageszeitung berichtet schon über neueste Entwicklungen im Flugzeugbau? Welches Fachmagazin geht tiefschürfend auf die Interessen der Züchter einer speziellen, Pflanze ein? Im Internet ist das möglich, denn die Produktion kostet nichts. Dazu kommt der Faktor Zeit: Weblogs sind schnell und ungefiltert geschriebene Texte. Wann immer eine Nachricht "ausbricht", ist das Internet als Verteiler weit schneller als jede Druckerpresse.

Nutzer als Programmdirektor

Stimmt die Qualität der Inhalte und publiziert der Blogger fleißig, kann seine Leserzahl schnell vierstellig werden - ohne einen Cent in Werbung stecken zu müssen. Verantwortlich dafür ist die Software hinter den Weblogs: Mit einem einfachen Mechanismus macht sie Suchmaschinen nach jeder Änderung darauf aufmerksam, dass neue Inhalte da sind. Und weil Google & Co. regelmäßig aktualisierte Websites bevorzugen, stehen Blog-Inhalte bei den Suchergebnissen immer recht weit oben.

Auch die Audio-und Videodateien der Podcaster werden übers Web vertrieben. Podcasting, laut Encyclopedia Britannica das Wort des Jahres 2005, leitet sich von iPod und Broadcasting ab. Meist sind es drei bis 20 Minuten lange gesprochene Radiobeiträge im MP3-Format, die nicht über den Äther sondern übers Internet verbreitet werden. Auch hierbei kommt derselbe Abo-Mechanismus wie bei Weblogs zum Tragen. Einmal ins Netz gestellt, wird die Sendung wenige Minuten später auf den PC geladen.

Die Verbreitung von Podcasts nimmt rasant zu, weil sie ein Bedürfnis der Nutzer treffen: Der Hörer wird zum Programmdirektor und konsumiert die von ihm gewünschten Inhalte wann und wo er will. Auch hier garantiert die Einfachheit der Technik den großen Erfolg: Dank der iTunes-Software von Apple kann ein Podcast mit einem Mausklick abonniert werden.

Den Erstellern von Podcasts geht es in der Regel weniger um die Reichweite als ums Thema selbst. Ihre Leidenschaft zu einem bestimmten Bereich ist hörbar. An Inhalten ist das Angebot ebenso reich wie bei den Weblogs. Von den Selbstgesprächen eines frustrierten deutschen Tankwarts über aktuelle Nachrichten und Wissenschaftsbeiträge bis hin zu Sprachkursen gibt es nichts, das nicht kostenlos zum Download da ist.

Während der Umgang mit Tastatur und Textverarbeitung schon zu den Kulturtechniken gehört, stellt der Umgang mit Audio und Video noch eine Herausforderung dar. Je mehr die Entwicklung von analogen, hin zu digitalen Produktionstechniken verläuft, desto einfacher und billiger wird die Produktion der Inhalte. Damit explodieren die Inhalte. Rund 70.000 verschiedene Podcasts soll es weltweit geben, und das Wachstum ist exponentiell. Im deutschen Podcast-Verzeichnis podster.de sind aktuell 2069 Podcasts gelistet, 1075 davon sind aktiv, das heißt in den letzten vier Wochen aktualisiert worden. Täglich kommen 30 bis 50 neue hinzu.

Explosion von Inhalten

Die Zahl der Hörer wächst ebenso schlagartig. Im deutschsprachigem Raum geht man von 800.000 bis 1,1 Millionen Podcast-Nutzern aus. Weltweit sollen es über zehn Millionen sein. Amanda Congdon (Bild oben) verzeichnet täglich etwa 350.000 Downloads ihres dreiminütigen Web-Videos Rocketboom, die Spitze liegt bei 1,2 Millionen an einem Tag. Die Audiodateien von Podtech.net werden 6,6 Millionen mal pro Monat herunter geladen und die Insider-Videos auf Microsofts Channel 9 bringen es auf drei Millionen Besucher (unique visitors) pro Monat. Der wöchentliche Werbeumsatz bei Rocketboom beläuft sich bereits auf 85.000 Dollar und das bei minimalen Produktionskosten. Ein besserer Camcorder, eine im Wohnzimmer aufgehängte Weltkarte und ein paar Dollar im Monat für den Server reichen aus. Vor der Kamera sitzt Amanda, hinter der Kamera steht ihr Partner Andrew Baron - weiteres Produktionspersonal gibt es nicht.

Die Zahlen belegen, dass enorm viel Juice, wie man im Silicon Valley sagt, in den neuen Medienformen steckt. Dementsprechend fließt das Kapital in Strömen. Adam Curry, MTV-Exmoderator und Miterfinder von Podcasting, bekam unlängst 8,8 Millionen Dollar für sein Unternehmen Podshow, Podtech.net streifte bei der ersten Finanzierungsrunde sechs Millionen ein. Das Geld soll mit Werbung zurückkommen. Je themenspezifischer, desto geringer die Streuverluste - das freut die Werbewirtschaft und so fließt ein immer größerer Teil ihrer Ausgaben ins Web. Google ist die klare Nummer eins am Online-Werbemarkt, die Anzeigen des Suchmaschinenbetreibers finden sich selbst im letzten Winkel des Internets. Ob diese Werbeform wirtschaftlich ist, muss sich allerdings erst zeigen.

Werbung, die kaum zieht

Beim Konkurrenten Microsoft spricht man offiziell davon, dass rund jede 200. Anzeige auch angeklickt wird. Eine optimistische Zahl, viele Weblog-Betreiber sind da skeptischer. Mehrere tausend Nutzer pro Tag über mehrere Monate bringen es bei einigen auf Werbeumsätze, die über einen hohen zweistelligen Centbetrag nicht hinausgehen. Dazu kommen Untersuchungen, die zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nutzer auf Online-Anzeigen klickt, umso geringer ist, je besser er ausgebildet ist.

Für viele der neuen Citizen Journalists ist Geld aber ohnehin nicht einzige Motivation. Es geht mehr um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Und je mehr Aufmerksamkeit Weblogs, Audio-und Video-Podcasts gewinnen, desto schwerer wird es für Medienkonzerne, ihre Klientel bei Massenmedien zu halten. Die Medienlandschaft im Web wird immer breiter und gleichzeitig spezialisierter, der Medienkonsument auf der einen Seite immer selektiver. Durch Abomechanismen ist es ihm schon heute möglich, sich einmal eine maßgeschneiderte Online-Zeitung zusammenzuklicken, die sich fortan in Echtzeit und auch noch kostenlos füllt (Tabelle unten).

Die nächsten Jahre werden prägend für Medienhäuser sein. Sie müssen ihren Anteil am Werbekuchen mit Innovationen verteidigen und Journalisten müssen ihre Online-Konkurrenten erst verstehen lernen. Im Gegensatz zur Konzentration traditioneller Medien, wie sie in den letzten Jahren stattfand, wird die Landschaft durchs Web enorm bereichert, das Meinungsspektrum fast unendlich größer.

Der Autor, Redakteur der "Kleinen Zeitung" Klagenfurt, ist erster Preisträger des neuen, vom Österreichischen Journalistenclub vergebenen "New Media Journalism Award".

Weblog des Autors: www.thoughts.at

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