Vertrauen in digitale Information?

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Open-Source-Portale wie Wikipedia müssen gegen Falschinformationen ankämpfen. Auch Spaßvögel und bezahlte Lobbyisten nutzen die offenen Kanäle: Kontrollen sollen Vertrauen schaffen. Zudem werden Benutzer mit persönlichen Daten im transparenten Netz künftig vorsichtiger umgehen.

„Man könnte sagen, mein Leben selbst ist ein einziger langer Soundtrack gewesen.“ Das Zitat, das der Wikipedia-Eintrag dem im März verstorbenen französischen Filmkomponisten Maurice Jarre nach seinem Tod zuschrieb, passte perfekt in jeden Nachruf. Der einzige Haken: Der Satz stammt nicht aus den Memoiren des Künstlers, sondern aus der Fantasie eines 22-jährigen irischen Studenten. Dieser wollte testen, wie weit die Presse von Informationen aus dem Internet abhängig ist. Das Ergebnis: Obwohl das Zitat zweimal gelöscht wurde, stand es bald darauf in den Internet-Ausgaben zahlreicher Zeitungen von den USA bis Indien.

Lobbybotschaften im Web-Lexikon

Fälle wie dieser treffen mitten ins Grundprinzip der Web-2.0- Community: den offenen Zugang. Jeder soll am offenen Netz teilhaben und im Falle des Wikipedia-Universums am digitalen Lexikon mitbasteln können. Das Prinzip scheint zu funktionieren: Die 2001 gegründete Open-Source-Enzyklopädie umfasst mittlerweile mehr als fünf Millionen Artikel in über 200 Sprachen. Aus Sicht der Wikipedianer garantiert die breite Beteiligung die Qualität der Informationen. So ergab jüngst eine Schweizer Studie, dass Wikipedia-Artikel neutraler und besser belegt seien, je mehr Nutzer daran gearbeitet haben. Die größte Stärke der interaktiven Plattform ist jedoch zugleich ihre Schwachstelle: Da jeder Nutzer Beiträge ändern kann, kann auch jeder anonym Falschmeldungen verbreiten. Wie viel Vertrauen in den offenen Informationsdschungel im Netz ist angebracht? „Es wird immer wichtiger werden, die Vertrauenswürdigkeit von Nutzern überprüfen zu können“, meint Susanna Wieseneder, die als Personal Counselor Manager über deren Karriere – und den Umgang mit dem Internet – berät.

Nutzer, deren Ziele vom Teilen ihres Wissens weit entfernt sind, sind für die Wikipedia-Community längst ein Problem. „Früher gab es richtige Anstürme von Vandalismus, etwa wenn morgens um acht ganze Schulklassen vor die Computer gelassen wurden“, erklärt Kolja Kress von Wikimedia Deutschland. Etwas subtilere Manipulationen traten in der Vergangenheit schon seitens politischer Parteien ans Licht. In Österreich etwa wurde vor zwei Jahren bekannt, dass SPÖ und ÖVP schon länger in politische Wikipedia-Artikeln eingriffen. „Im politischen Bereich kann es durchaus eine Strategie sein, bestimmte Information und Desinformation zu lancieren“, weiß Peter Vitouch, Kommunikationswissenschafter an der Uni Wien. Auch Firmen und Lobbygruppen versuchen, ihre Botschaften in Lexikoneinträge zu verpacken. „Dies fällt aber nicht so stark ins Gewicht, da die unentgeltlich arbeitenden Wikipedia-Autoren oft ebenfalls dezidierte Ansichten vertreten. Meist genügt es, wenn bei einem kontroversen Thema zwei gegnerische Gruppen an einem Artikel mitschreiben, um Neutralität herzustellen“, meint Manuel Merz, der an der TU Ilmenau über die Wikipedia-Gemeinde forscht. Problematisch sei es aber bei Randthemen. So werden Beiträge über weniger bekannte Personen und Organisationen oft von den betreffenden selbst verfasst.

Mehr Kontrollen im offenen Netz

Um solche Manipulationen in den Griff zu bekommen, setzt Wikipedia nun auf mehr Kontrolle. Neben Redaktionsgruppen, die einzelne Themenbereiche überwachen, werden auf der deutschsprachigen Seite seit Mai letzten Jahres die Einträge unregistrierter Benutzer von erfahrenen Wikipedianern geprüft, bevor sie sichtbar werden. Auf der englischen Seite soll dies künftig zumindest bei personenbezogenen Artikeln einige Kritik entschärfen. Noch diesen Herbst will man mit einer weiteren Innovation das Vertrauen der Web-Gemeinde sicherstellen: Das System WikiTrust soll Textabschnitte je nach Vertrauenswürdigkeit farblich kennzeichnen, abhängig davon, wie lange eine Passage unverändert besteht und wie oft die bisherigen Einträge des Autors geändert wurden. Ob der Autor ein Fachmensch ist, wird man aber dennoch nicht wissen können, nicht zuletzt da laut einer Studie bis zu 40 Prozent der Inhalte des Online-Lexikons anonym verfasst wurden.

Doch nicht nur die Informationen anderer, auch über sich selbst preisgegebene Daten könnten zur Vertrauensfrage werden. Der digitale Fußabdruck wächst mit jedem Foreneintrag, den neuesten Party-Fotos auf Facebook und einer eilig verfassten Chat-Mitteilung. „Viele glauben, dass die bereitwillig online gestellten Informationen im Grunde privat sind und bedenken nicht, dass sie womöglich für alle Zeiten im Netz gespeichert sind“, so Kommunikationswissenschafter Vitouch. Vor allzu großer Transparenz warnt auch Wikipedia-Forscher Merz: „Nicht selten geben neue Wiki-Nutzer ihren realen Namen preis, sodass ihre Einträge über Google gefunden werden können. Damit werden ihre Interessen gläsern für potenzielle Arbeitgeber, Versicherungen und im sozialen Umfeld. Beiträge etwa zu stigmatisierenden Krankheiten, radikalen politischen Parteien oder zu tabuisierten Sexualpraktiken können dabei schnell zum Problem werden.“

Rufmord am digitalen Fußabdruck

Raum für Gerüchte bieten mittlerweile zahlreiche Foren, in denen anonym über den lästigen Nachbarn oder den ungeliebten Chef gewettert wird. Der digitale Ruf wird daher vor allem im Berufsleben immer wichtiger. Ist der einmal angekratzt, können Tools wie Reputation Defender Aufräumarbeiten leisten, nicht immer aber Negativmeldungen auch löschen, erklärt Beraterin Wieseneder. Am wirkungsvollsten sei es, durch positive Inhalte über sich selbst die unerwünschten in der Suchmaschine nach hinten zu drängen. Obwohl sie an die selbstregulierende Kraft des Internets glaubt, sieht Wieseneder die Zukunft für Plattformen wie Wikipedia in „Closed-Source- Communitys, die kostenpflichtig qualitative Dienste anbieten“. Die Zukunft des Web 2.0 scheint noch lange nicht entschieden.

Sensibel

Mit anonymen Informationen oder den eigenen persönlichen Daten im Netz werden Benutzer künftig vorsichtiger umgehen, meinen Experten. Von Plattformen wie Facebook wandern vermehrt Nutzer ab – um woanders eine neue Identität zu kreieren. Die Daten bleiben freilich meist zu Marketingzwecken gespeichert.

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