In der Falle des WEB 2.0

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Dank Web 2.0 kann heute jeder Infos ins Netz geben und austauschen. Mehr Demokratie also?Nein, die gute alte Wissenskultur ist bedroht, so die Autoren zweier neuer Bücher.

Im Dezember 2006 verkündete das Cover des "Time Magazine" die Person des Jahres, nämlich: "You!", also: Sie! Der Untertitel lieferte folgende Begründung: "Ja, Sie. Sie kontrollieren das Informationszeitalter. Willkommen in Ihrer Welt." Die Wahl schien nur vordergründig kurios. 2006 war das Jahr, in dem viele Computerbenutzer ein neues Internet - das Web 2.0 - für sich entdeckten. Eine Reihe von innovativen Applikationen machte es möglich, dass sich User nun auch ohne große Programmierkenntnisse aktiv in der virtuellen Welt einbringen konnten: etwa in Blogs, in denen sie das Weltgeschehen oder irgendein anderes Thema auf einfache Weise kommentieren konnten; oder mit YouTube, das Amateurfilmern die Möglichkeit bot, eigene Video-Botschaften ins Netz zu stellen. Daneben gewannen Seiten wie MySpace, Facebook oder Xing an hoher Popularität, wodurch eine neue Art von sozialen Netzwerken entstand.

Andrew Keen führt in seinem soeben auf Deutsch erschienenen Buch "Die Stunde der Stümper" die Ideologie des Web 2.0 auf ein zweitägiges Zeltlager zurück, das im September 2004 in Sebastopol, einer kleinen bäuerlichen Stadt in Nordkalifornien, stattfand. Auf Einladung des Medienmoguls Tim O'Reilly trafen sich dort rund 200 ausgewählte Web-Freaks aus dem Silicon Valley. Die Stimmung war - nach dem Crash der 1990er - erstmals wieder euphorisch. Das Buzzword: Demokratisierung. Das neue Internet würde Big Media, Big Business und Big Government demokratisieren. Ja, sogar die Big Experts würden durch "edle Amateure" ersetzt. Keen, selbst IT-Unternehmer, war die Utopie dieser "Post-Hippies" von Anfang an suspekt. Umso genauer hat er die Entwicklung seither mitverfolgt und mit seinem Buch nun - so die Eigenwerbung - "die erste Web 2.0 Kritik" vorgelegt (die englische Originalfassung erschien übrigens bereits 2007).

Der "edle Amateur"?

Der romantischen Sicht vom "edlen Amateur" widerspricht Keen heftig. Die schlimmen Folgen des Web 2.0 bringt er in einem Satz auf den Punkt: "Die gesamte Kulturökonomie steckt in der Krise." Beweise dafür findet er zuhauf. Für den amerikanischen (Qualitäts-) Journalismus etwa legt er Zahlen vor, die sinkende Gewinne und steigende Entlassungen festhalten; die Reaktionen des Managements auf die Krise scheinen öfters eher Verzweiflungstaten denn Lösungen zu sein: Die "Los Angeles Times" etwa, die zwischen 2000 und 2005 15 Pulitzerpreise erhielt, entschied sich dafür, zukünftig mehr Hollywood- und Promiklatsch ins Blatt zu bringen. Die verlorene Qualität wird aber gerade nicht durch den viel beschworenen "Bürgerjournalismus" wettgemacht, betont Keen, da im anonymen Netz der Wahrheitsgehalt von Nachrichten meist nicht geprüft werden könne.

"The Day the Music Died"

Aber auch andere Zweige der Medienindustrie stehen dank Web 2.0 vor radikalen Umwälzungen: Hollywood etwa hat durch illegale Downloads im Jahre 2005 6,1 Milliarden Dollar an Einnahmen eingebüßt; dank immer schnelleren Breitbandzugängen dürfte sich diese Bilanz bald noch deutlich verschlimmern. Doch die Unterhaltungsindustrie reagiert bereits: NBC Universal zum Beispiel hat angekündigt, das Budget für Nachrichtenprogramme und drehbuchbasierte Sendungen um 750 Millionen Dollar zu kürzen. Stattdessen werden in Zukunft vermehrt billigere Formate wie Reality-TV oder Video-Blogs zu sehen sein.

Im Gegensatz zu Filmen ist Musik in der virtuellen Welt sehr leicht tauschbar; die zu übertragene Datenmenge ist weitaus geringer. Das destruktive Potenzial des heutigen Webs hat sich hier bereits voll entfaltet. Voller Nostalgie erzählt Keen, selbst ein Audiophiler und Gründer von www.audiocafe.com, vom Niedergang eines riesigen Plattengeschäfts, des Tower Records in San Francisco. Einst ein lebhaftes Biotop, an dem sich Musikliebhaber 365 Tage im Jahr satthören und -kritiker sich von 3000 exzellent informierten Beschäftigten beraten lassen konnten, starb es am 3. Oktober 2006 einen unrühmlichen Tod, indem es an den Meistbietenden verkauft wurde. Ähnlich ging es dem Pendant in Los Angeles. Dort war auf einem Display zu lesen: "Es ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Danke für eure Treue."

Die Analyse des Amerikaners ist über weite Strecken wahrhaft düster, dennoch schafft er am Ende mit überraschender Leichtigkeit die Kehre und bietet "Lösungen" (so der lapidare Titel des Kapitels) an. Stefan Weber ist da pessimistischer, beendet er sein neues Buch "Die Medialisierungsfalle" doch in einem Ton der Resignation: "Ich gehe … davon aus, dass es wahrscheinlich zu spät ist, hier noch die Weichen in eine andere Richtung zu stellen." Dieser allerletzte Satz scheint nur konsequent nach einer mehr als 200 Seiten umfassenden "Kritik des digitalen Zeitgeists" (so der Buch-Untertitel). Auch Weber konstatiert eine unerträgliche Verflachung der Wissenskultur durch die neuen Medien im Allgemeinen und das Web 2.0 im Speziellen. Als Medienwissenschafter bringt er vor allem seine persönlichen Erfahrungen ein. Mehr als anekdotisches Material existiere aber auch nicht, weil es kaum kritische Studien gebe. Die Fachkollegen seien zu affirmativ und technophil in ihrer Haltung. Beispielhaft seziert er ein Schul-Wiki Projekt. Während das Ministerium das Projekt lobte, es gar von einer Medienpädagogin positiv evaluiert wurde, findet Weber nach kurzer Recherche "zahlreiche plumpe Netzplagiate". Eine schöne Verpackung ist heute eben wichtiger als die Qualität der Inhalte, wie Weber ernüchtert feststellt - und zitiert zum Beweis auch einen österreichischen Journalistenausbildner, der meinte: "Die Inhoide san doch bitte wuascht!"

Copy&Paste Unkultur

Wer die Copy&Paste Unkultur anprangert, hat es - und das sollte nachdenklich stimmen - nicht leicht. Weber hat dies hierzulande am eigenen Leibe erfahren, das Label "Plagiatsjäger" umgehängt bekommen (er mag das Wort "Jagd" nicht und betont, dass er lediglich vor einer "Textkultur ohne Hirn" warne). Die schlimmsten verbalen Tiefschläge wurden freilich wieder in Web-Postings verteilt. Kurzum, der User erweist sich auch bei Weber nicht als ein "edler Amateur", sondern als primitiver Primitivling. Das ist einer der wenigen Schnittpunkt dieser beiden, recht unterschiedlichen Web-Kritiken.

Nach diesen zwei formidablen Streitschriften wäre nun ein ebenso klug argumentierendes Gegen-Buch reizvoll. Einen ersten Ansatz böte vielleicht der Journalist Shi Tao (der bei Keen in einem anderen Kontext erwähnt wird). Er kämpfte mit den Mitteln des Webs gegen das totalitäre chinesische Regime - zumindest so lange, bis seine IP-Adresse verraten wurde.

Die Stunde der Stümper

Von Andrew Keen

Hanser Verlag, München 2008

247 S., geb., e 20,50

Die Medialisierungsfalle

Von Stefan Weber Va Bene, Klosterneuburg 2008

300 S., kart., e 21,90

600.000

Personen laden heute schon Filme gratis aus dem Internet herunter. Bis 2010 soll diese Zahl auf 50 Millionen steigen (zitiert bei Andrew Keen). Die Auswirkungen auf die Filmindustrie werden dramatisch sein.

17.809

Journalisten verloren im Jahr 2006 in den USA ihren Job. Die Zahl der Entlassungen stieg damit gegenüber dem Vorjahr um 88 Prozent (zitiert bei Andrew Keen). Gerade auch bei Qualitätszeitungen wurden viele Arbeitsplätze abgebaut.

Zwei

kritische Studien zu Wikipedia zählt Stefan Weber. Im Gegensatz zu den affirmativen Forschungsarbeiten über Wikipedia finden sich diese nicht auf den "Wikipedistik"-Literaturlisten im Netz.

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