Twitterbubble - © Collage: Rainer Messerklinger

Der Bachmannpreis und Twitter: 280 Zeichen für die Literatur

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Bei der diesjährigen, virtuell präsentierten Ausgabe des Bachmannpreises wurde die oft als verstaubt geltende Literatur auf Twitter zum sozialen Event, das zum Mitfiebern und Mitjubeln anregte.

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Bei der diesjährigen, virtuell präsentierten Ausgabe des Bachmannpreises wurde die oft als verstaubt geltende Literatur auf Twitter zum sozialen Event, das zum Mitfiebern und Mitjubeln anregte.

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Schon im Vorfeld monierten viele, dass ihnen bei den diesjährigen, den „44. Tagen der deutschsprachigen Literatur“, das Rascheln beim Umblättern der Seiten durch das Studiopublikum fehlen werde, das genauso zum Bachmannpreisambiente gehört wie die grelle Beleuchtung, markige Jurysprüche und der eine oder andere verhaltensauffällige Vortrag. Das Rascheln fehlte tatsächlich ein wenig, es ließ sich aber zumindest durch ein virtuelles Rascheln, oder vielmehr ein Zwitschern ersetzen. Gemeint ist nicht das fröhliche Vogelgezwitscher, das die schöne Gartenlesung von Preisträgerin Helga Schubert untermalte, die Rede ist natürlich von Twitter. Weniger literaturaffine Nutzer mögen sich gewundert haben, was es mit dem seltsamen Akronym „tddl“ auf sich hat, das auf Twitter in den deutschsprachigen Ländern tagelang „trendete“, sprich zu den am meisten mit Hashtag versehenen Topics gehörte.

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Nun versteht es sich von selbst, dass man den Wert von Kulturveranstaltungen nicht am Echo der Sozialen Medien messen sollte, allerdings ist es ein positives Zeichen, das auch dem ORF zu denken geben sollte, der den Preis dieses Jahr ohne Not komplett ausfallen lassen wollte. Es zeigt, dass der Bachmannpreis kein isolierter Lesewettbewerb ist, keine reine Nischenveranstaltung (für die es im Übrigen gerade im ÖffentlichRechtlichen ebenfalls Raum geben muss), sondern ein Event, das die Literatur zum sozialen, kommunikativen Prozess erhebt und sich im besten Fall eben nicht als abgehobene Elitenveranstaltung präsentiert, sondern seine Verantwortung als Instanz der Literaturvermittlung wahrnimmt. Ob und wie das funktioniert, sieht man nur bedingt an Einschaltquoten und der verzögerten Feuilletonberichterstattung, man kann es aber ganz unmittelbar ablesen im Resonanzraum der sozialen Medien.

Twitter und Literatur?

Die rege Aktivität während des Bachmannpreises gibt Anlass, sich mal anzuschauen, wie Twitter als Medium der Literaturvermittlung genutzt wird, von Lesern und Leserinnen, von Institutionen des Literaturbetriebs, und welche Dynamiken hier entstehen. 280 Zeichen, das wäre in diesem Artikel vom Anfang an gelesen von „Schon“ bis „Jurysp“. Viel ist das nicht. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob ein Medium, das von der Kürze lebt, und die Literatur, die von der Sprache lebt, zusammengehen. Der Schlüssel liegt wie meistens in der Nutzung. Nun macht man es sich zu einfach, wenn man sagt, dass ein Medium immer nur so gut ist wie seine Nutzer. Natürlich ist ein Medium nur ein Instrument, doch allein die Art und Weise, wie es reglementiert ist, bestimmt maßgeblich Kommunikationsprozesse mit.

Twitter ist maßgeblich ein Debattenmedium geblieben, das wie ein Seismograf blitzschnell aktuelle Meinungslinien abbilden kann.

Veronika Schuchter

Ein Medium, das wie Twitter nur 140 Zeichen zur Verfügung stellt, möchte damit pointierte Kommentare provozieren, es versteht sich als ein Medium, das auf der Metaebene agiert und auf Sachverhalte, Ereignisse etc. außerhalb reagiert, aber nicht selbst größere Inhalte produziert wie Facebook und andere Plattformen. Mittlerweile wurde die Zeichenzahl von 140 auf 280 erhöht, was dem gesteigerten Bedürfnis, auch etwas umfangreichere Kommentare abgeben zu können, geschuldet ist, außerdem kann man durch mehrere aneinandergereihte Tweets sogenannte Threads erstellen und auch längere Texte damit produzieren, was auch rege genutzt wird. Twitter ist aber maßgeblich ein Debattenmedium geblieben, das wie ein Seismograf blitzschnell aktuelle Meinungslinien abbilden kann und daher auch mit Hashtags und Trendtopics operiert. Nicht umsonst schauen sich auch die redaktionellen Medien an, wie die Twitter-Communities auf bestimmte Ereignisse reagieren, bei der Verleihung des Literaturnobelpreises werden fast automatisch die originellsten Beiträge zitiert.

Kollektiver Rezeptionsprozess

Auch in der Liveübertragung des Bachmannpreises wurden Twitter-Nachrichten vorgelesen, was virtuell den Eindruck des fehlenden Livepublikums ersetzte und so eine Brücke zwischen den dieses Jahr so verstreuten Protagonisten (Lesende, Jury, Publikum) schlug. Autorinnen und Autoren nutzen Twitter gerne, um Stellung zu beziehen, sehr aktiv sind etwa Julya Rabinowich oder Sibylle Berg, deren Meinung zum Bachmannpreis ist: „finde übrigens literaturkritik nur ok wenn sie mein zeug gut finden, kann sonst weg #tddl.“ Tweets können auch selbst Literatur werden, was etwa Clemens Setz intensiv nutzt und spontan zum Beitrag von Levin Westermann ein Gedicht parodiert.

Twitter wird außerdem nicht nur dazu verwendet, um direkt mit anderen in Kommunikation zu treten, sondern auch, um sich weniger allein zu fühlen. Aus einem singulären Rezeptionsprozess wird ein kollektiver. Das zeigte das Twitterverhalten während der, wenn wir schon über Twitter reden, #tddl. Auch wenn man allein vor dem Bildschirm sitzt, ist man nicht allein. Kommentiert wird alles, die Studiodekoration, die Bilder im Hintergrund bei den Juroren und am allermeisten natürlich die Kommentare der Jury. Die Abstimmung am Sonntag auf Twitter mitzuverfolgen gab der oft als verstaubt geltenden Literatur das Feeling eines Sportevents. Da wurde mitgefiebert, gejubelt und in die Tischkante gebissen, Helga Schubert gefeiert wie ein Popstar und gemeinsam für Freudenthaler gezittert mit Tweets wie „Ich raste aus wenn Freudenthaler nix kriegt, die Kindergucken schon“ von Sebastian Schmidt oder einer gewissen „Standseilbahn“, die fand „Wenn jetzt nicht gleich Freudenthaler alles andere bekommt zuck i aus“. Natürlich sind auch redaktionelle Medien (selbstverständlich auch die FURCHE) auf Twitter unterwegs, meist um Sachlichkeit bemüht, insgesamt aber herrscht ein informeller Ton, der der Literatur guttut.

Bubble in der Bubble

Ein wenig gelästert wird da selbstredend auch, mit Vorliebe wurde etwa über Philipp Tinglers Markenpullover gespottet. Dass die diesjährige Teilnehmerin Hanna Herbst postet: „Memo an mich selbst: Nach Lesung einen Monat nicht auf Twitter schauen. #tddl“, ist in diesem Kontext scherzhaft gemeint, hat aber einen ernsten Hintergrund. Denn auch wenn das twitternde Bachmannpreis-Publikum nicht dazu neigt, boshafte Tweets abzusetzen oder sich sehr im Ton zu vergreifen, hat die soziale Plattform eben auch asoziale Seiten, die nicht verschwiegen werden dürfen. Wenn jeder zu jedem Zeitpunkt zu allem seinen Senf dazugeben kann, befördert das impulsives Verhalten und unreflektierte Schnellschüsse (wofür der twitternde Präsident Trump der beste Beweis ist).

Gerade Frauen sind massiven Angriffen ausgesetzt, von sexistischen Kommentaren bis hin zu Vergewaltigungsankündigungen per Direktnachricht, davon kann eine in der Öffentlichkeit stehende Frau wie Hanna Herbst ein Lied singen. #tddl ist eine Bubble in der Bubble, ein (mehr oder weniger) geschützter Raum, der zeigt, wie soziale Medien genutzt werden können, um Literaturvermittlung zu betreiben und Literatur zu einem gemeinsamen Erlebnis zu machen, das diskutiert und gefeiert wird. Nichtsdestotrotz freuen wir uns wieder auf das Rascheln der Seiten beim Umblättern, das dann auf Twitter sicher ebenfalls kommentiert wird.

Die Autorin ist Senior Scientist am Innsbrucker Zeitungsarchiv, Institut für Germanistik, Universität Innsbruck.

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