Bachmannpreis 1998 - © Foto: APA

Die 22. Tage der deutschsprachigen Literatur

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Bachmannpreis 1998: der typische Autor, die typischen ORF- und 3sat-Berichterstatter, die typischen Juroren und Lektoren.

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Bachmannpreis 1998: der typische Autor, die typischen ORF- und 3sat-Berichterstatter, die typischen Juroren und Lektoren.

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Einmal hat die Stadt Klagenfurt am Sommeranfang ein literarisches Fest gefeiert. Seither feiert man jedes Jahr die Wiederholung dieses Festes, heuer die 22. Wiederholung eines Festes. Da und dort ein neuer Lampion, eine neue Girlande, ein neuer Name, ein neues Gesicht, aber im großen und ganzen soll alles so bleiben, wie es immer gewesen ist.

Man braucht einen Sieger: Diesmal Sibylle Lewitscharoff und ihr Text "Pong": Darin geht es um einen, der um alles in der Welt Tischtennis spielen will, aber keinen Gegner, kein Gegenüber findet, also gegen sich selbst spielt und dabei durch und durch verrückt wird. Schön. Außerdem Nebensieger: Kathrin Schmidt, John von Düffel, Ralf Bönt.

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Wie immer Namen, die man sich wird merken müssen, wenn man sie nicht vergessen will. Und wie immer braucht man einen großen Durchgefallenen. Aus gruppendynamischen Überlegungen kommt der immer aus Österreich. Letztens Josef Winkler, diesmal Margit Schreiner. Sie hat ihre Aufgabe brav erfüllt.

Allmählich kristallisieren sich die Festivalstypen heraus: Der typische Bachmannpreisautor '98 ist weiblich, nicht mehr dreißig, noch nicht vierzig, kommt aus Berlin, arbeitet als Buchhalterin oder Graphikerin in einer Werbeagentur, das höchste der Gefühle wäre Orgelbau, geschieden, schreibt zwischen Wickeln, Stillen und Abwasch, dem PC neben dem Kühlschrank sei Dank, kommt eigentlich von der Lyrik her, führt vor dem allgegenwärtigen Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung unprätentiöse Privatschicksale oder mit photographischem Blick Berliner Sozialskizzen vor, falls er sich zu Thematik oder Problematik poetisch hinreißen läßt.

Der typische Bachmannpreisautor '98 ist weiblich, nicht mehr dreißig, noch nicht vierzig, kommt aus Berlin, arbeitet als Buchhalterin oder Graphikerin in einer Werbeagentur.

Lieber aber macht er Texte, die einfach als Texte in ihrer Textlichkeit und legeren textuellen Selbstverwurstung triumphieren wollen, altmodisch anheimelndes Parlando, res sequentur, das erledigen dann schon die Experten im Dschungel der Geschmäcker. Er geht knapp an einem Nebenpreis vorbei, bringt kommenden Herbst einen Prosaband in einem engagierten Kleinverlag heraus, der kommenden Winter nirgendwo mehr erhältlich sein wird, und er bleibt Buchhalter oder Graphiker in seiner Werbeagentur. Alle argumentieren trotzig mit Kafka, das haben sie von rechtslastigen Kultursprechern gelernt.

Der typische ORF-Bachmannpreisredakteur, der jetzt, wo der ORF keinen Kulturauftrag mehr hat und kein Kulturbudget – oder aber einen Kulturauftrag, der den Begriff Kultur so weit faßt, daß der Begriff Kunst und gar der Begriff Literatur im Begriff Kultur als klassischer Quotenexote keinen Platz mehr hat, der ORF-Bachmannpreisredakteur also, der jetzt dem eigenen Wohlergehen und den daheimgebliebenen minderjährigen Familienmitgliedern zuliebe zwischen Wickeln, Stillen und Abwasch Wetterberichtsgeschichten für das Lokalfernsehen fabriziert und die botanische Situation von Verkehrsinseln zu allen Jahreszeiten unters Volk bringt, freut sich drei Tage lang nach Aufklärung lokaler Sprachnebelfelder über Konjunktive, Petitessen und daß er den saturierten Jungchaoten ein Mikrophon unter die Nase zaubern darf. Dann wieder ein Jahr Niederschläge.

Der typische 3sat-Moderator ist jetzt seit zehn Jahren dabei, hat sich die Hand gebrochen, kommt gerade vom Casting für einen Moses-Film, verwechselt noch immer alle Vornamen und sagt bereits nach dem zweiten Text wie immer: Noch ist es zu früh, eindeutige Tendenzen festzumachen. Neu ist, daß er nicht einfach steif und blöd im Bild sitzt, wenn der Live-Einstieg erfolgt, sondern so federleicht wie möglich in den Blickwinkel der Kamera hineinspaziert, wie man es bereits von der Sendung "Fußball" kennt.

Der typische Juror '98 wird vor dem Auftritt am Flur geschminkt, ist sich selber peinlich, und anstrengend ist sein Geschäft auch noch, eine Tortur. Er will doch niemandem etwas Böses, aber ganz ohne zickige Tanten und pingelige Onkel läuft die Chose einfach nicht.

Der typische Verlagslektor ist weiblich, nicht mehr dreißig, noch nicht vierzig, lebt in Bonn, und ist, was er ist, sonst müßte er Graphiker in einer Werbeagentur sein. Der typische Lektor ist ganz entsetzt über die eklatanten Mindermeinungen der Jury. Hier werden doch die miserabelsten, nichtigsten Texte in die Höhe gebetet, die tauglichen hinuntergesudelt. Es ist ein Fluch, zu jedem Dreißig-Minuten-Text dreißig Minuten lang etwas sagen zu müssen, auch wenn in dreißig Sekunden alles gesagt wäre.

Ja, wenn es nach dem Lektor ginge! Sein Verlagsleiter - der alte Herr ist wieder daheimgeblieben – läßt ihm durchaus Freiheiten, wenn auch ohne letztes Wort und natürlich im Rahmen. Rahmen: Werbegraphiker! Naja, es ist, wie es ist, dann bis nächstes Jahr, same time, same station. Tschüß, war nett!

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