Nachruf auf einen lebenden Künstler

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Vor jeder Lesung bekommt der Dichter seine eigene Grabrede zu hören. "Oed und Edelschrott - Abenteuer auf Lesereisen", Teil sieben.

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Vor jeder Lesung bekommt der Dichter seine eigene Grabrede zu hören. "Oed und Edelschrott - Abenteuer auf Lesereisen", Teil sieben.

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Solche Schicksalsschläge in den Magen kommen einem also auch dauernd in die Wahrnehmung und in die Quere, wenn man seine persönliche Wehtuprosa hauptsächlich für den Nachlaß aufspart; davon unabhängig sind aber Schriftstellerlesungen eine feine Sache für den Schriftsteller: Vor dem Beginn der Lesung spricht der Veranstalter ein paar höfliche Wort zu seiner Linken, und tatsächlich bietet kaum ein anderer Beruf die Möglichkeit, sein Leben lang alle ein, zwei Monate seiner eigenen Begräbnisansprache zu lauschen: Manchmal begnügt er sich mit der Grabsteininschrift, manchmal ist es ein regulärer Nachruf, nur die berühmte lange, schwere Krankheit verschweigt er immer, er ist ja auch kein Halsnasenohrenarzt. In jedem Fall hat das Publikum Anlaß zu enormem Staunen, wenn der Begrabene anläßlich seines Begräbnisses dann auch noch zu Wort kommt.

Der Veranstalter ist immer anders, zusammengenommen aber ein Panoptikum aller Lebenseventualitäten: In Wiesbaden hat er in Scheidung gelebt, dementsprechend bis in die Morgenstunden getrunken und immer jämmerlicher von der Karibik als lebenstechnischer Ultima ratio gefaselt. In Linz war er krank und ist im Bett geblieben. In Kapfenberg haben bei seiner Frau mitten in meiner Lesung die Wehen eingesetzt. In Coburg war er ein gebürtiger Salzburger und konnte keine Spargel kochen, kochte aber trotzdem Spargel. In Salzburg war er ein Edelmann, ein Grandseigneur im Cafe Tomaselli, der als erster Mensch der Welt schon zwei Jahre vor dem Erscheinungstermin vom Roman "In einer lauen Nacht bohrte ich in meiner engen Nase" vom geistigen Prozeß des bohrenden ich und von der Unkrautangelegenheit wußte.

In Meran war er so aufgeregt, daß er seine schriftlich vorbereitete Rede - eine, wie er sagte, wissenschaftliche - zu Hause vergessen hat. In Schlierbach ist er mit mir nach Kirchdorf an der Krems gefahren, in Eisenkappel hat er mir erzählt, daß seine Oma mich nicht mag. In Villach hat er einen Conferencier aus Klagenfurt angefordert, in Lienz hat er auch einen Conferencier aus Klagenfurt angefordert, ebenso in Gmünd. Einer erzählte mir, wie er auf Rhodos im Pfingsturlaub von der Ortspolizei verhaftet, aus seinem Wagen gezerrt, seiner Schuhbänder beraubt und ins Gefängnis gesteckt worden ist, weil er ein Tempolimit übersehen hatte; ein anderer erzählt von einer jungen Dichterin, die es mit den Nieren hat: Die Arme mußte solange regelmäßige Nierenwaschungen über sich ergehen lassen, bis die Dichterinsmutter der Dichterin endlich ihre Dichterinnenniere gespendet hat.

Praktisch überall erzählt er mir, daß Dietmar Grieser gerade da war und nach mir als nächstes Erich Hackl kommen wird - mich würde übrigens sehr interessieren, wie die Wehtudichter mit solchen Infos vor der Lesung umgehen. Manchmal macht einem ein spendabler Veranstalter nach der Lesung auch kleine Geschenke. Die Präsidentin der Josef-Friedrich-Perkoniggesellschaft hat mir coram publico ein Buch über Josef Friedrich Perkonig geschenkt, das habe ich allerdings sofort und postwendend, also noch am Lesetisch, wenn auch hinter dem Rücken des aus dem Saal drängenden Publikums, weiterverschenkt. Der neue Besitzer heißt Univ.- Doz. Dr. Erik Adam, wohnhaft Palais Goess, Alter Platz 30, Klagenfurt. Man kann ohne weiteres bei ihm klingeln und sich davon überzeugen, daß ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit schreibe. Die Authentizität der Widmung ist durch meine Handschrift belegt.

In Meran hat mir eine Schulklasse zu meinen Kurzprosatexten Dutzende Bilder, Plakate, Collagen, Reliefs gebastelt, die man ohne weiteres in die Vitrine eines mir zugedachten Museums stecken könnte. In Wieden wurde mir trotz Unfrisur ein Strohblumenbouquet überreicht, wie es sich für ein anständiges Begräbnis nun einmal gehört.

In Klagenfurt habe ich einmal "zur Erinnerung an Klagenfurt" einen alten Kupferstich des Klagenfurter Landhauses überreicht bekommen. Du mich auch, habe ich während des Händeschüttelns mit dem Veranstalter gedacht und bin mit dem Erinnerungskupferstich unter dem Arm nach Hause geradelt. There is no business like poetry-business.

Von den Metropolen und Metropölchen Österreichs, die ich literarisch beackert habe, ein kleiner Abstecher ins benachbarte Ausland: In Coburg habe ich in demselben Bett geschlafen, in dem schon Robert Gernhardt und Eckhard Henscheid geschlafen haben, nicht besonders gut übrigens. Ich, meine ich. Die Coburger haben mir erzählt, Henscheid habe ihnen gut gelaunt erzählt, daß Gernhardt neuerdings an schweren Depressionen leidet. Zwei Wochen später hat ihnen Gernhardt gutgelaunt erzählt, daß Henscheid neuerdings an schweren Depressionen leidet, mehr kann man für seine Allgemeinbildung nicht tun.

Ich habe mich ins Stammbuch des Coburger Literaturvereins e.V. eingetragen, in das sich schon Rosendorfer, Henscheid und Gernhardt eingetragen haben. Gernhardt hat da eine umgefallene Burg hineingezeichnet und mit wenigen wirren Strichen durch die Luft ringsum angedeutet, daß dieser Burg momentan sehr, sehr schwindlig sein muß. Darunter hat er "K.O.-Burg" geschrieben. Ich bin sehr froh, daß ich im Rahmen des geistigen Prozesses meines ichs nicht zeichnen kann. An meine eigene Eintragung kann ich mich gar nicht mehr erinnern, aber viel intelligenter war sie wohl auch nicht.

Beim internationalen Vilenica-Schriftstellertreffen im slowenischen Lipica waren insgesamt über fünfzig, davon aber außer mir nur noch ein zweiter österreichischer - und also deutschsprachiger Schriftsteller, nämlich Antonio Fian, eingeladen: Im übrigen Belgier, Bulgaren, Bosnier, Tschechen, Kroaten, Italiener, Litauer, Mazedonier, Polen, Slowaken, ein Schwede und natürlich etliche Slowenen. Jeder Teilnehmer hatte eine fünfminütige Kurzlesung aus seinem Werk im Plenum zu halten, was auch ich tat, aber - Fian vielleicht ausgenommen - verstanden hat mich natürlich niemand. Der Applaus war dementsprechend höflich.

Umgekehrt habe auch ich von den fünfzig Lesungen an drei Tagen neunundvierzig nicht verstanden, weil ich so gut wie gar kein Belgisch, Litauisch, Polnisch beherrsche, mein Schwedisch ist hundsmiserabel, und Fians aberwitzigen Text "Der ideale Leser" kannte ich schon lange. Und es hat andauernd geregnet. Geredet habe ich auch mit Antonio Fian in Lipica nicht gerade viel, mehr als drei einfache Dreihauptwortsätze sicher nicht. Gegensätze ziehen sich an, Schriftsteller stoßen sich ab.

Das Vilenica-Schriftstellertreffen stand unter dem sympathischen Zeichen der Völkerverständigung und ist, obwohl alle fünfzig dank Dolmetscher und Kopfhörer einheitlich gegen den damals gerade tobenden Krieg etwas weiter südlich waren, nach meinem Geschmack total gescheitert, auch wenn die Festredner bis zum Ende hartnäckig vom Gegenteil überzeugt waren und ihre Gäste mit Karstschinken und Mürbteiggebäck bewirteten. Den Balkankonflikt haben Fian und ich nachweislich nicht beigelegt.

Apropos Höflichkeit und Fremdsprachenkenntnisse: In Ungarn (da gibt es auf den Autobahnen neben Autobahngasthöfen und Autobahntankstellen auch bereits Autobahnnachtclubs, Autobahngogobars und Autobahnbordelle - im Gegenzug allerdings vor jeder Abfahrt auch ein gigantisches Kathedralen- oder Klosterposter) habe ich das ungarische Stück eines ungarischen Dramatikers in ungarischer Originalsprache ohne Untertitel gesehen, nämlich "mauzoleum" von Lajos Parti Nagy im Katona-Jozsef Theater in Budapest.

Da tritt ein ganzer Haufen Leute im Innenhof eines heruntergekommenen Mietshauses auf und schreit gut und gern zwei Stunden lang durcheinander, denn dem ehemaligen Osten geht es schlecht: Also das was man im großen und ganzen auch von unseren Bühnen kennt. Verstanden hat im gesamten internationalen Fachpublikum (aus dem ehemaligen Westen) natürlich niemand auch nur ein Wort. Nevertheless sagte meine Verlagsbegleiterin bei der an-schließenden "Professional discussion": "We all loved this play!", worauf ein norddeutscher Agent entgegnete: "Anyway, this was social kitsch!" Verständigungsschwierigkeiten ...

Bei einem Zwischenaufenthalt auf der Fahrt nach Meran bin ich über die Drususbrücke ins Zentrum von Bozen, das ist eine Art Schrumpfinnsbruck, spaziert und habe mir an Schauplätzen die Via Dante, die Piazza Verdi, den Kornplatz und den Musterplatz gemerkt. Ich habe mir ja nicht Außerirdisches in Bozen erwartet, aber dann gleich eine solche Massierung von Gewöhnlichkeit! Nur der Hauptplatz von Bozen heißt im Unterschied zu allen anderen Hauptplätzen italienischer Städte, die ich kenne, nicht Piazza Unita d'Italia, sondern Piazza Walther von der Vogelweide. In der Konditorei am Platz wird ein Coup Walther angeboten, der besteht, wenn ich mich richtig erinnere, aus Vanilleeis mit Schlagobers und Himbeeren. Bestellt habe ich keinen. Wer weiß, wenn ich eines Tages wiederkomme und dann ein Coup Herbert Rosendorfer oder ein norbert-c-kaser-becher angeboten werden ...

Die Zweisprachigkeit wird in Südtirol strikt und penibel gehandhabt. Bei uns in Österreich, wo praktisch niemand muttersprachlich italienisch spricht, würde zum Beispiel niemand auf die Idee kommen, die Pizza "Fra Diavolo" auf der Speisekarte auch unmißverständlich "Pizza Teufel" zu nennen. Österreich, Italien, Padanien - das sind für Südtiroler tatsächlich alles eher Scherzartikel. Wirklich ernst nehmen sie nur Tirol, als Land, als Idee, als Selbstverständnis. Man teilt sein Land nicht, man teilt es auch nicht ein: kein Südtiroler spricht von Südtirol, und wenn er Tirol sagt, meint er nicht Nordtirol, sondern Nordsüdosttirol, also Tirol. Daß Osttirol zu Kärnten gehört, ist eines der vielen verwaltungstechnischen Wunder, an die in diesem Land niemand wirklich glaubt. Das immerwährende Maß aller Dinge ist der Bürgermeister von Innsbruck.

Die Serie wurde in Furche 46/97 begonnen; die beiden letzten Teile folgen in Bälde.

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