6918118-1981_34_09.jpg
Digital In Arbeit

Telefonate in Dosen

Werbung
Werbung
Werbung

Mit jeder neu­en Woge, die im Herbst oder Frühjahr über unseren Buch­handel herein­bricht, sind auch sie reich­lich vertreten: die Bände, in denen berühmte -Leute ihren Briefwechsel vor aller Öffentlich­keit ausbreiten.

Der Mann von der Straße darf - ge­gen eine geringe Gebühr - teilhaben an Gedanken, die gar nicht für ihn be­stimmt waren, denn sonst stünden sie ja nicht in einem Privatschreiben, son­dern in einem literarischen Opus. Die­sen Publikationen haftet ein wenig vom Blick durchs Schlüsselloch an, ähnlich der Veröffentlichung von Ta­gebüchern. Hier schreiben große Männer an große Männer, wenn es nicht ganz reicht, auch an kleine Männer, wenn es hochkommt hinge­gen an Frauen. Wir aber dürfen sa­gen, wir seien dabeigewesen.

Briefwechsel, die wirklich bedeu­tendes literarisches (philosophisches,

wissenschaftliches, politisches) Mate­rial enthalten, sind nicht gar häufig. Von ihnen allein kann die Branche oder dieser stille Nebenzweig, diese Sub-Branche, nicht leben. Es ge­schieht wohl hin und wieder, daß etwa ein so emsiger Briefeschreiber wie Jo­seph Roth das ganze Drama seines Zugrundegehens, seines jammervollen Sich-zu-Tode-Trinkens in seinen Epi­steln spiegelt. Bei anderen müssen wir uns mit Auseinandersetzungen über Tantiemen und Vorschüsse begnügen, ohne daß gleich ein menschliches Dra­ma dahinterstünde.

Ohne Zweifel hat die Post an diesen Briefen weniger verdient als der Ver­lagsbuchhandel. Man kann etwa Hof­mannsthals Briefpartner so bequem in kleine Portionen zerlegen, daß jedes Jahr ein neuer Band herausschaut. Ein Rarissimum ist hingegen ein Briefwechsel, bei dem einer schreibt und der andere fast nie antwortet. Schnitzlers Korrespondenz mit dem immer anderswo beschäftigten Max Reinhardt ist ein Beispiel dafür. Ge­wiß hätte der große Regisseur die Ar­beit des Briefebeantwortens nicht bloß seinen Direktoren und Subdirek­toren überlassen, hätte er gewußt, daß dies alles dereinst zwischen zwei fe­isten Buchdeckeln vorgelegt werden soll und aus seiner Feder dann zu­meist nur Telegramme dabei sind.

Sei dem wie immer: Briefwechsel nähren ihren Mann, auch wenn sie nicht immer Wechsel auf die Unsterb­lichkeit sind. Als Leser genießen wir auch nach Jahrzehnten noch gerne ei­nen Hinweis, wo man einen guten Rotwein zu kaufen kriegt oder wel­ches, inzwischen längst abgerissene Hotel irgendeinmal empfehlenswert war.

Alles in allem sollte man meinen': ein blühender Industriezweig! Aber leider ist der Wurm darin. Solange noch ein abbaufähiger Fundus älterer Korrespondenzen zur Verfügung steht, braucht die Branche nicht zu darben. Was aber soll morgen ge­schehen? Es läßt sich nicht leugnen, daß immer weniger Briefe geschrieben werden, selbst von bedeutenden Män­nern, die immer auch ihre gesammel­ten Werke nebst Briefwechsel im Au­ge behalten. Was noch Hofmannsthal der „Correspondenzkarte“ oder dem Rohrpostbrief anvertraute, wird heu­te telefoniert. Er nannte das neumodi­sche schwarze Kästchen noch „das in­diskreteste Instrument“, aber der em­sigen Wiener Journalistin Berta Zuk- kerkandl empfahl bereits Schnitzler, sie möge doch einmal ihr „Telephon- Tagebuch“ . herausgeben - was sie schließlich auch getan hat. Heute ist selbst diese Entwicklung längst über­holt. Der Dramatiker und sein Regis­seur, der Lyriker und sein Verleger vertrauen dem Telefon an, was früher einmal in schriftlicher Form das Fun­dament für spätere Briefbände gelie­fert hätte.

Sollen künftige Generationen da­von ausgeschlossen werden, wenn un­sere Parade-Dichter die letzte Feile an ihre Spesenrechnung legen? Soll die Öffentlichkeit nie davon erfahren, wenn unsere Großen sich die Seele darüber zergrübeln, ob sie nicht viel­leicht doch hätten liechtensteinische Staatsbürger werden sollen? Selbst die Umsetzung von literarischen Erfolgen in Investment-Zertifikate sollte der Nachwelt nicht verlorengehen.

Wer einigen Sinn dafür hat, diese Nebenprodukte des künstlerischen Schaffens halbwegs marktgerecht zu verwerten, muß da wohl bei seinen Ferngesprächen ein Tonband mitlau­fen lassen. Und wenn wir auch künf­tig nicht mehr mit dicken Bänden vol­ler indiskreter Briefe rechnen können, werden uns vielleicht Telefonate in Dosen dafür entschädigen.

Wo der Buchhandel resignieren muß, wird vielleicht die Schallplatten- industrie in die Bresche springen. Man könnte sich etwa einen weih­nachtlichen Verkaufsschlager vorstel­len: Karajans gesammelte Telefonge­spräche, eine goldene Geschenkkas­sette mit fünf Langspielplatten minde­stens. Hier ist noch ein weites Feld zu beackern. Die Öffentlichkeit, die sich angesichts der allgemeinen Unlust am Briefeschreiben bereits hoffnungslos ausgeschlossen sah, braucht nicht zu bangen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung