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Aktion10:1

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„Ich habe es satt, mich mit diesen Polypen herumzuärgern. Sag dem Kerl, er soll noch rasch Auskunft geben, welche Rolle der Tiger spielt, dann wird er in den nächsten Minuten gekillt...“

Ein Satz aus einem der vielen tausend Schundhefte, die Woche für Woche verkauft werden. Bunt und reißerisch aufgemacht, liegen sie in großen Haufen bei den Zeitungsständen und Kiosken auf. Ob diese Versprechen gehalten und — vor allen Dingen wie sie gehalten werden, steht auf einem anderen Blatt. Wer sich einmal die Mühe macht, einige dieser grellen Hefte näher zu besehen, ist über die erschreckende Einheitlichkeit und über ihre jedem vernünftigen Empfinden ins Gesicht schlagende Plattheit betroffen. Nahezu alle Geschichten sind nach einem ganz bestimmten Schema gemacht. Und da die „Autoren“, die derartige „Literatur“ in Serienproduktion zu erzeugen pflegen, lediglich an der Quantität des Gebotenen interessiert sind, begnügt sich jedes zweite Schundheft damit, ein vorhergegangenes abzuschreiben.

Wie viele von diesen zweifelhaften Druckerzeugnissen werden eigentlich verkauft? Wir wissen es nicht genau. Wir wissen nur, daß man bei ihnen das Lesen verlernt. Und da ist der Kern des Uebels, denn in dem Verschlingen, in der hemmungslosen Lesewut geht der letzte Rest an Kritik verloren.

Zehn gebrauchte Schundhefte gegen ein gutes neues Buch! Das war der Kern einer Aktion, die der Verlag Styria, Graz—Wien— Köln, im Verein mit der Grazer Tageszeitung „Kleine Zeitung“, vor einigen Tagen in Graz durchführte. Auf nicht alltägliche Weise und, wie gleich hinzugefügt sei, mit überraschendem Erfolg wurde diese Aktion gegen die Verseuchung der Jugend mit schlechter Kol-porcage-„Literatur“ unternommen.

Durch Presse, Rundfunk und Schulen wurde bekanntgegeben, daß 1000 gute neue Bücher gegen Ablieferung von Schundheften im Verhältnis von einem guten Buch gegen Zehn Schundhefte in der Buchhandlung Moser, Graz, Herrengasse, kostenlos zur Verfügung stehen.

Der Erfolg? Schon vor acht Uhr hatte sich eine Schlange von „Kunden“ angestellt. Sie kamen zuerst ein wenig verlegen an und zogen umständlich die verschiedensten Schundhefterln aus ihren Taschen, Koffern und Rucksäcken, während die Augen noch ein wenig scheu die aufgelegten Tauschbücher überflogen. Aber solche „Hemmungen“ legten sich bald. Eine halbe Stunde später mußte die Buchhandlung vorübergehend geschlossen werden, da der Andrang nicht mehr zu bewältigen war. Dies wiederholte sich im Laufe des Tages etliche Male. Große Leute, kleine Leute, junge Menschen und alte Damen, aber vor allem junge Burschen und auch ergraute Herren kamen und füllten mit den abgelieferten bzw. umgetauschten Schundhefterln sehr bald die großen Körbe, welche zur Aufnahme der Schundliteratur bereitgestellt waren. Analog schrumpfte der Bestand der 1000 neuen, für diesen Zweck zur Verfügung gestellten Bücher. Besonders die Jugendbücher gingen so reißend ab, daß sich die Veranstalter bereits um zehn Uhr — es waren gerade die Reporter der Sendergruppe „Alpenland“ da, um einen Bericht für die Sendefolge „Echo der Zeit“ aufzunehmen — entschlossen, weitere 1 000 Bücher für Jugendliche zu stiften, so daß 2000 neue Bücher gegen 23.000 Schundhefte umgetauscht werden konnten. Schulen und Jugendorganisationen hatten Schundhefte gesammelt und schickten ihre Abgeordneten, die zufrieden mit einer Auswahl guter Bücher von dannen gingen. Ja, sogar ganze Schulklassen kamen mit ihren Klassenvorständen angerückt. Da ging es zeitweise in der Buchhandlung zu wie in einem Bienenstock. Zwischendurch kam ständig der Eilbote mit Paketen aus der Provinz.

Wenn man nun nach eineinhalb Tagen, in denen 2000 wertvolle Bücher und eine Reihe guter Jugendschriften ihre Leser gefunden haben und dafür 23.000 Schundhefte eingezogen wurden, eine Bilanz zieht, so steht unter „Haben“ an erster Stelle die Tatsache Verzeichnet, daß der große Zustrom vor allem Junger Menschen zur Umtauschstelle den Lesehunger, der unter der Jugend herrscht, beweist und daß die Jugend, auch vielen Skeptikern zum Trotz, nicht ganz und gar Ider Schundliteratur verfallen ist.

Man kann deshalb auch ruhig über die Tosten sprechen, die die Skeptiker, und wo gäbe es solche nicht, bei der Bilanz als Verlust anschreiben. Diese Aktion sollte ja dazu fcngetan sein, um über das so wichtige Thema tu diskutieren, und führt man unsere Jugend wieder zum guten Buch und verhilft ihr (dadurch zu „einem“ Leseerlebnis, welches sich dann auf das ganze weitere Leben auszuwirken vermag. Wenn man also einen der dunklen Punkte ins Treffen führt, so den, daß die Jugendlichen, zum Teil auch Erwachsenen, ein neues Buch gerne gegen zehn Schundhefte eintauschten, welches sie dann timgehend bei der nächsten Leihbücherei abzusetzen versuchten. Die Veranstalter dieser Aktion 10:1 hatten aber mit einer solchen Konjunktur hier gerechnet und sämtliche ausgegebenen Bücher mit einem Widmungstext versehen. Schwarze Schafe gibt es überall, das soll niemand mutlos machen, aber wenn man bedenkt, daß 2000 Menschen die Schwelle der Umtauschstelle überschritten haben, so ist der Prozentsatz dieser wenigen, die da glaubten, billig zu ein paar Schilling zu kommen, im Verhältnis zur großen Zahl der anderen, die sich wirklich dankbar zeigten, gering. Es wurde auch eingewendet, daß etliche Leute Schundhefte kauften, um so für wenig Geld in den Besitz eines teueren neuen Buches zu kommen. Zugegeben, auch diese Fälle werden sich ereignet haben, aber was macht es den Veranstaltern aus, sie haben ja die Bände verschenkt und es war ihnen ja in erster Linie darum zu tun, jungen Menschen zu zeigen, daß es Werke gibt, wie beispielsweise die „Perlenlagune“, das „Geheimnis der Villa Rabenhorst“, die „Himmelhunde“, um nur einige Titel für die männliche Jugend herauszugreifen, die ebenso spannend sind, wie die sensationell aufgemachte und gehaltene Schundliteratur, und außerdem um so unendlich vieles besser. Mögen deshalb manche ruhig solche Schundhefte gekauft haben, “um sich eines der zum Umtausch zur Verfügung gestandenen Bücher zu erwerben. Es fällt nicht weiter ins Gewicht. Entscheidend ist, daß sie das gute Buch jetzt besitzen, und schön ist, daß so viele dem Rufe dieser dankenswerten Veranstaltung gefolgt sind.

Die Kriegs- und Nachkriegszeit hat dazu geführt, daß man im allgemeinen die Beziehung zum guten Buch verlor. Es ist nicht allein die Schuld des einzelnen, es ist die Schuld der Zeit. Wie sehr das Urteilsvermögen, was gut und was nicht gut ist, gelitten hat, beweist die Tatsache, daß neben den unzähligen Schundheften auch eine Reihe von Romanen und Novellen abzugeben versucht wurde, die durchaus zur guten Literatur gerechnet werden können.

Es war den Veranstaltern wohl klar, daß sie mit ihrer Umtauschaktion die Schundheftproduktion nicht schachmatt setzen können, aber was erreicht wurde, ist: einer guten Sache gedient zu haben. Möge diese Aktion deshalb ein Beitrag gewesen sein zu dem großen Anliegen, das uns alle bewegen muß: Schach dem Schund!

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