6631839-1956_42_08.jpg
Digital In Arbeit

100 Millionen „Büchein“...

19451960198020002020

Die kürzlich vom BundesminUterium für Unterricht veranstaltete Enquete über dieses Thema, auf der die vom Buchklub der Jugend gesammelte Million Unterschriften gegen Schund und Schmutz übergeben wurde, ergab die Notwendigkeit, die legislatorischen Maßnahmen gegen die Gefährdung der Jugend zu verschärfen und gleichzeitig unsere Kinder mit mehr guter Jugendliteratur zu versorgen. Auch in der Bundesrepublik Deutschland steht man vor diesen Problemen, wie die folgenden Ausführungen darlegen.

19451960198020002020

Die kürzlich vom BundesminUterium für Unterricht veranstaltete Enquete über dieses Thema, auf der die vom Buchklub der Jugend gesammelte Million Unterschriften gegen Schund und Schmutz übergeben wurde, ergab die Notwendigkeit, die legislatorischen Maßnahmen gegen die Gefährdung der Jugend zu verschärfen und gleichzeitig unsere Kinder mit mehr guter Jugendliteratur zu versorgen. Auch in der Bundesrepublik Deutschland steht man vor diesen Problemen, wie die folgenden Ausführungen darlegen.

Werbung
Werbung
Werbung

1954 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 9,9 Millionen Jugendbücher hergestellt. Bild- und Texthefte erreichten jedoch eine Auflage von 93,6 Millionen — es werden also rund zehnmal so viele Hefte wie Bücher verkauft Noch viel größer ist die Zahl der Leser (auf ein Heft kommen etwa 26 Leser!).

Es erscheinen 49 minderwertige Reihen regelmäßig, hingegen gibt es nur etwa 20 empfehlenswerte Jugendheft-Reihen, die zudem völlig unregelmäßig herausgegeben werden. An Kiosken sind sie überhaupt nicht und in Buchhandlungen nur ganz selten zu haben. Dieses Mißverhältnis zwischen Jugendbüchern und den wenigen guten Heftreihen auf der einen und den vielen minderwertigen Heftreihen auf der anderen Seite wird durch verschiedene Umstände noch verschärft.

Eine Umfrage in der Bundesrepublik ergab kürzlich die erschütternde Tatsache, daß 35 Prozent der erfaßten Familien kein Buch (außer etwa Schulbüchern) besitzen. (Nur 10 Prozent der westdeutschen Bevölkerung besitzen hundert oder mehr Bücher.)

Die oftmals primitiv aufgemachten Kinderbeilagen der Tageszeitungen sind kaum geeignet, die Jugend zum kritisch wertenden Leser zu erziehen. In vielen Familien liegen bedenkenlos die Illustrierten und Sensationsblätter umher. Die Jugendlichen lesen vorwiegend das, was ihnen am leichtesten zugänglich ist — und das ist eben vielfach Schrifttum mindetwertiger, ja gefährlicher Art — explosive Literatur. Die Beliebtheit der Heftreihen bei „reiferen“ Jugendlichen und bei unreiferen Erwachsenen ist damit zu erklären, daß sie „sehr wenig Geld, sehr wenig Zeit und sehr wenig Geist“ beanspruchen.

Diese Feststellungen führten in Deutschland zu verschiedenen Aktionen. Es kam dort leider nicht zur Gründung eines Buchklubs der Jugend nach vielbeneidetem österreichischem Muster, doch versuchte man es auch dort mit Umtauschaktionen. Diese kosteten jedoch sehr viel Geld und hatten nur begrenzten Erfolg.

Da hatte die Bremer Senatorin Annemarie M e v i s s e die Idee, in Bibliotheken und Jugendheimen Tauschstellen einzurichten, in denen gute Hefte getauscht werden konnten. Der Erfolg dieser Aktion veranlaßt den Buchhändler Rudolf Köhl in Rodenkirchen bei Köln, sie in seinem Landkreis merkantil einzuführen, um den Buchhandel dafür zu interessieren. Köhl gewann einige Kollegen in umliegenden Orten zur Teilnahme und organisierte mit Unterstützung des Kreisjugendpflegers (vergleichbar unserem Landesjugendreferenten) den ersten Jugendheftring.

In der Buchspar karte heißt es:

„Als Mitglied des Jugendheftringes hast Du das Recht, jeweils einen Monat hindurch unentgeltlich Lesehefte aus dem Bestand des Jugendheftringes zu tauschen, wenn Du regelmäßig mindestens einmal im Monat ein Heft aus der Vorschlagsreihe des Jugendheftringes im Werte von 50 D-Pfennig in einer Tauschstelle abgibst Gleichzeitig wird Dir ein Sparbetrag von 5 D-Pfennig für ein Jugendbuch gutgeschrieben.“

Für die beteiligten (derzeit) sechs Buchhändler, die Zweigstellen in Schulen weiterer Orte einrichteten, ergab sich die Notwendigkeit, sowohl einen Tauschbestand wie einen Kaufbestand an guten Heften anzulegen, um den mit steigender Teilnehmerzahl wachsenden Bedarf befriedigen zu können. Natürlich war die Tauschstelle mit der vielen damit verbundenen Arbeit und dem geringen Gewinn meist bestenfalls kein Verlustgeschäft. Dennoch tun jetzt Buchhändler auch in anderen Landkreisen mit, da diese Aktion so wie es Köhl voraussah — eine unmittelbare

Umsatzsteigerung durch den Verkauf von Schulbüchern, Papierwaren und Schulbedarf ajler Art mit sich brachte. Köhl allein erzielte in seiner Stadt (die mit der Umgebung 23.000 Einwohner zählt) 160 feste und 40 bis 50 fluktuierende Leser. Dabei ergab es sich, daß die vorhandene Zahl von Titeln (480) bald nicht mehr ausreichte. Nachschub kam unregelmäßig und — im Verhältnis zum Lesebedürfnis und zur Lesefreudigkeit — nicht genug zahlreich.

Dieser Mangel führte nach langen Vorbereitungen zur Gründung des Deutschen Jugendschriftenwerks Ende Juli d. J. im Volksbildungsheim in Frankfurt am Main. Im DJW sollen die bisher völlig auf sich gestellten Fördererkreise für gute Kleinschriften (Jugendheftringe, Umtauschaktionen, Jugendschutzwochen usw.) und die Verleger dieser Schriften zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit gebracht werden. So wie das jetzt 25 Jahre bestehende Schweizerische Jugendschriftenwerk will das DJW die Jugend mit preiswerten, vom Taschengeld zu erstehenden Kleinschriften bekanntmachen, die ihr echte Lebenshilfe geben und Wegbereiter für das gute Buch sein sollen. Solche Kleinschriften sollen ein Gütesiegel erhalten. In der Diskussion darüber erwähnte Regierungsdirektor Friedrich Weigelt aus Berlin, der Vertreter des Senators für Volksbildung, als — bisher unerreichbares — Vorbild den österreichischen Buchklub der Jugend. Regierungsdirektor Weigelt hat sich bemüht, in Berlin (wo dies infolge des Inselcharakters der Stadt am leichtesten durchführbar wäre) einen Jugendbuchklub nach österreichischem Muster zu gründen, doch scheiterte sein Vorhaben am Widerstand der Sortimenter. Weigelt hatte deshalb — wie manche anderen Teilnehmer an der Gründungstagung — die Befürchtung, daß das DJW und im besonderen das geplante Gütesiegel eher kommerziellem Profitstreben als dem Jugendschutz dienen könnte. Diese Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Die Offenheit der Diskussion, bei der “rit kritischen Bedenken nicht hinter dem Beig gehalten wurde, half der Tagung, keinen wichtigen Gesichtspunkt zu übersehen und damit den Aufgabenbereich des DJW klar zu erkennen und abzustecken.

Als der Verfasser als Vertreter des österreichischen Buchklubs der Jugend für die freundliche Erwähnung dankte, erinnerte er die Tagungsteilnehmer an ähnliche erregte Diskussionen, ehe es zur Gründung des Buchklubs kam. Nun aber habe der BdJ 200.000 Mitglieder (ein Viertel aller Kinder im Schulpflicht tigen Alter) und neben anderen Aktionen eine Million Unterschriften (fast ein Viertel der Wahlberechtigten) gegen Schundliteratur und Schundfilme gesammelt Leider komme diese Schundliteratur zum großen Teil aus der Bundesrepublik. Jeglicher Erfolg gegen die Schundliteratur und für die guten Jugendschriften in Deutschland würde auch unserem Kampf in Oesterreich helfen.

Die Art der Beurteilung der Jugendschriften, die zur Verleihung des Gütesiegels führen soll, war das Hauptproblem, das die Tagung zu lösen hatte. Alle Verlage im DJW behalten im Rahmen der von ihm herausgestellten Maßstäbe ihre völlige Freiheit, was Inhalt, Form, Ausstattung und Preis ihrer Schriftenreihe betrifft. Jede Uniformierung wird abgelehnt. Da den Verlegern im DJW ein Kreis von qualifizierten Beratern zur Seite steht, bieten sich viele Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Produktion in jeder Beziehung. Marktbeobachtungen, Lesertests und Untersuchungen sind einige der Aufgaben, die sich das DJW für seine theoretische Arbeit stellt. Es geht hier um die Frage, welche Schriften von den Jugendlichen bevorzugt werden, und warum. Es geht aber ebenso um das Herausfinden all der Möglichkeiten, mit denen die Jugendlichen für diese empfehlenswerten Schriften gewonnen werden können.

Oesterreich ist in mancher Hinsicht ein Beispiel für die Bestrebungen des DJW. Aber auch wir können aus seiner Praxis lernen. Auch in Oesterreich harren — wie der Buchklub der Jugend besonders auf der Enquete des Bundesministeriums für Unterricht aufzeigte — noch viele Aufgaben der Lösung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung