Fünf Tage Literaturkritik
KOMMENTAR. Die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ sind vorbei, eine würdige Bachmannpreisträgerin wurde gefunden. Was bleibt? Plädoyer für Plattformen respektvoller Kritik.
KOMMENTAR. Die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ sind vorbei, eine würdige Bachmannpreisträgerin wurde gefunden. Was bleibt? Plädoyer für Plattformen respektvoller Kritik.
Jahr für Jahr wird der BachmannWettbewerb von den einen gehypt (teils auch mit falschen Fakten, wie heuer mit jener Behauptung, dass erstmals mehr Frauen lesen würden als Männer) und von den anderen verworfen als belangloser Event für eine ganz kleine Interessentenschar. Letzteres ist in Zeiten, in denen es um markttaugliche Formen und Quotensteigerungen geht, tatsächlich ein „Killerargument“, das zur Folge hat, dass immer weniger Medien über den Bewerb berichten, was zur Folge hat, dass immer weniger darüber diskutieren, sich dafür interessieren usw. Ich halte wenig von Hypes und Superlativen, gehöre aber zu jenen, die seit vielen Jahren sehr genau die Diskussionen bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt verfolgen. Ich habe davon viel gelernt, über Literatur, über Literaturkritik, über meine eigene Art, Kritik zu üben, selbst dann, wenn ich mich über manche Juroren geärgert habe.
Mit meinen Kritikerkollegen Anton Thuswaldner und Peter Zimmermann begleite ich seit zwei Jahren den Bachmannbewerb im Klagenfurter CaritasLokal „Magdas“ mit der Veranstaltung „Kritik der Kritik“. Der Titel klingt vielleicht nach Besserwisserei, aber wir drei wissen natürlich genau, dass man über unsere Veranstaltung selbst wieder eine „Kritik der Kritik der Kritik“ veranstalten könnte und so weiter und so fort. Das Thema „Kritik der Kritik“ entstand aus der Erfahrung, dass einige Zuhörerinnen das Klagenfurter ORFTheater am Nachmittag oft mit einem Gefühl des Ungenügens verlassen. Einerseits weil die Jury manchmal unverständlich argumentiert, andererseits weil sie manchmal völlig anderes von sich gibt, als man selbst gerade denkt, aber auch, weil vieles nicht ausdiskutiert wird, sondern einfach stehen bleibt. Von den vielen Widersprüchen einmal abgesehen (etwa auch jenem, dass manche Juroren für den einen Text ein Kriterium als Grund für eine positive Beurteilung, beim nächsten Text aber dasselbe Kriterium als Argument dagegen einzusetzen scheinen).
Früher gab es Tage, an denen kaum Aspekte von Literaturkritik sicht und besprechbar wurden, fast ausschließlich wurde über Inhalte spekuliert. Umso erfreulicher verliefen die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ heuer, sie boten uns Stoff genug. Höchst unterschiedliche literarische Texte, thematisch ebenso wie formal. Die Langeweile, die sich in den vergangenen Jahren manchmal einstellte, blieb beim Zuhören und Mitlesen aus. Die Diskussionen zwischen den Juroren schienen allerdings anfangs wie von einem unsichtbaren Harmonieband zusammengehalten, als hätte man einander beschworen, den Texten bloß nicht kritisch zu begegnen. Doch dann kamen nach und nach durchaus interessante und relevante Fragen auf, etwa im Zusammenhang mit der Lesung von Ronya Othmann. Die Autorin las einen Text über den Genozid an Jesiden im Jahr 2014 durch den IS, war mit dem Geschilderten sehr nahe an einer bereits verfassten Reportage und dem eigenen Erleben, reflektierte ihre Schreibsituation jedoch im Text.
Darüber könne man gar nicht sprechen, meinte Hildegard Keller, denn es käme ihr nicht in den Sinn, ein Bekenntnis zu kritisieren. Auch Nora Gomringer sprach von Hemmungen, sich dem Text literaturkritisch zu nähern. Hubert Winkels hingegen betonte „ein Text ist ein Text ist ein Text“ und hatte damit recht. Aber sichtbar wurde eben auch, dass ein Text in einer Welt steht, dass literaturkritische Fragen nicht nur jene nach der Ästhetik oder der Form oder Sprache sind, sondern auch darüber hinaus führen: in Bereiche der Politik, der Moral etc. Wer einen Text bei einem Literaturbewerb einreicht, setzt ihn allerdings dieser Kritik aus. Indem das Publikum Ron ya Othmann am Sonntag den Publikums preis zusprach, hob es damit ein wichtiges Thema hervor, das tief unter die Haut ging. Mit Birgit Birnbachers „Der Schrank“ wurde von der Jury hingegen dieses Jahr tatsächlich wohl jener Text ausgezeichnet, der formal stimmig, ja perfekt gebaut und erzählt ist. Die Geschichte, die zudem – im Unterschied zu den häufig eingereich
ten Romanauszügen – zeigt, was in einer kurzen Form erzählerisch möglich ist, führt zu gesellschaftspolitischen Fragen des Prekariats und des Arbeitsmarktes, aber eben mit literarischen Mitteln, die auch einiges an Symbolkraft bieten. Etwa den Schrank, in dem die Protagonistin am Ende verschwindet.
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