Und die Literatur lebt doch

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Nach drei Tagen Lesungen und Diskussionen ging der 37. Ingeborg-Bachmann-Preis an die in Kiew geborene Autorin Katja Petrowskaja. Es wird nicht der letzte gewesen sein.

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Nach drei Tagen Lesungen und Diskussionen ging der 37. Ingeborg-Bachmann-Preis an die in Kiew geborene Autorin Katja Petrowskaja. Es wird nicht der letzte gewesen sein.

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Am Ende der diesjährigen "Tage der deutschsprachigen Literatur" stand der inszenierte Auftritt von Alexander Wrabetz, der am 7. Juli vermeldete, der Bewerb werde - anders als zuvor von ihm selbst angekündigt - doch weiterhin stattfinden. Am Anfang der Tage standen vor allem Verunsicherung und Empörung darüber, dass der Generaldirektor des ORF eine Kulturveranstaltung in Frage stellte, die dermaßen international beachtet wird. Zum Glück gab es trotzdem viel Neugier auf die vierzehn Texte, die dieses Jahr in Klagenfurt gelesen werden sollten. Einige Autorinnen und Autoren waren nicht einmal Insidern des Literaturbetriebes bekannt: Auch diese konnten also wirklich gespannt sein.

Ein starkes Jahr

Was für eine Fügung des Schicksals: Gerade in jenem Jahr, in dem Wrabetz - unüberlegt und die Bedeutung der Veranstaltung unterschätzend, wie einige meinen, oder aus beinhartem Kalkül, um die Politik in Geiselhaft zu nehmen, wie andere meinen - diese Literaturveranstaltung in Frage stellte, erwiesen sich die gelesenen literarischen Texte als besonders gelungen und stellten damit die Sinnhaftigkeit der Tage wie von selbst unter Beweis: Hier (im Studio in Klagenfurt oder live auf 3sat) kann man Talente entdecken, hier kann man Zusehen beim Versuch der Juroren zu argumentieren, was einen guten Text ausmacht, was der Unterschied zwischen gut gemeint und gut gemacht ist, und inwiefern ein Text sogar mehr sein muss, als bloß gut gemacht.

In der Vergangenheit konnte man immer wieder auch den Eindruck gewinnen, die gegenwärtige Literatur der jungen Autorinnen und Autoren hätte wenig Interessantes zu bieten, weder thematisch noch formal. Nicht so dieses Jahr. Auch die in der Branche noch unbekannten Autoren brachten relativ anspruchsvolle Texte mit, wenngleich sich mögliche Preisgewinner doch bald herauskristallisierten: Es war nicht schwer vorherzusagen, dass Verena Güntner, Heinz Helle, Benjamin Maack und Katja Petrowskaja Chancen auf einen der insgesamt vier von der Jury vergebenen Preise hatten. Erstaunlich war am Sonntag daher einzig die Bekanntgabe des Publikumspreises an Nadine Kegele. Doch dieser entzieht sich im (Social-)Web-Zeitalter wohl jeder Vorhersehbarkeit (und hat auch nichts mit den Reaktionen des Publikums im Saal zu tun). Bis auf wenige Ausnahmen waren also drei Tage lang interessante und gut gemachte Texte zu hören und mitzulesen, nachzulesen sind sie unter http:\\bachmannpreis.eu.

So weit, so gut. Und die Jury? In seiner erstaunlichen Eröffnungsrede am 3. Juli erinnerte Michael Köhlmeier an Jörg Fauser und seine Teilnahme am Bachmannpreis vor dreißig Jahren, und daran, dass Fauser bei seinem Auftritt "vor dem Klagenfurter Literaturgerichtshof" "von den Richtern verrissen worden war wie kein anderer vor ihm und kein anderer nach ihm; und dass der Verriss in Wahrheit gar nicht seinen Text, sondern seine Person gemeint hatte."

Scharfe Kritik an der Kritik

"Dem Pöbel saßen die Pöbelartigen vor", urteilte Köhlmeier über Publikum und Jury und mit "Dieser Autor hat hier nichts verloren!" zitierte er Marcel Reich-Ranicki. Der aber sitzt seit Jahren nicht mehr in der Jury. Auch der Typ des Kritikers als Autorenvernichter ist eher literarisches Sujet denn Wirklichkeit in Klagenfurt. Diese sieht gar nicht so wild aus, aber Köhlmeier spannte leider den Bogen nicht bis zur Gegenwart.

Mit seiner Rede gab er sich weder als Freund des Bewerbes im besonderen noch der Kritik im allgemeinen zu erkennen. Und so konnte man ihm sein abschließendes Plädoyer für die Beibehaltung des Preises nicht recht abnehmen. Wrabetz aber freut sich, Köhlmeier als Mitdenker für die Weiterentwicklung der Veranstaltung gewonnen zu haben.

Sollte Köhlmeier mit seiner Eröffnungsrede die Intention gehabt haben, den Kritikern das Messer aus der Hand zu nehmen, so ist ihm dies gelungen. In den folgenden drei Tagen erschienen die Kritiken erstaunlich zahm, versuchte man noch über offensichtlich misslungene Texte freundliche Worte zu finden, mogelte man sich mit Überinterpretationen über dürftige Inhalte und Formen hinweg. Erst gegen Ende wurde man deutlicher, wie etwa Meike Feßmann in ihrem Anfangsstatement zu Nikola Anne Mehlhorns Text, den sie "komplett verunglückt" nannte. Das Stichwort "Teebeutelprosa" fiel, aber angesichts fortgeschrittener Zeit - der Bewerb näherte sich seinem Ende - konnte Hubert Winkels seine Wertung mit noblem Schweigen kundtun. Die Diskussionsrunde wurde vorzeitig abgebrochen, bevor es richtig böse geworden wäre.

Mit Katja Petrowskaja wurde am Sonntag zum dritten Mal in Folge eine Autorin mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet, deren Muttersprache nicht deutsch ist. Maja Haderlap, 2011 ausgezeichnet, ist Kärntner Slowenin, Olga Martynowa, Gewinnerin des Vorjahres, wurde in Sibirien geboren, und mit Katja Petrowskaja wurde nun eine Ukrainerin ausgezeichnet, die seit 1999 in Berlin lebt und sich in der deutschen Sprache als "minderjährig" versteht. Werden nun sprachlich Minderjährige ausgezeichnet? Eine spannende Frage, die das Augenmerk auf die Sprache lenkt. Was macht den Umgang anders, mit einer Sprache, die man sich erst aneignen muss? Sieht man sie neugierig wie ein Kind an? Sieht man vielleicht genauer hin? Und tatsächlich: Gerade bei Martynowa und Petrowskaja scheint ein unverbrauchter Zugang zur deutschen Sprache deutlich zu werden, eine Neugier über die Möglichkeiten der Sprache, die in anderen Texten oft fehlt.

Bedingungen des Erzählens

Oder war es (wie wohl bei der Preisvergabe an Maja Haderlap) vor allem das Thema, das Jury und Publikum begeisterte? Petrowskaja hat die Ermordung der Urgroßmutter durch die Nationalsozialisten zum Thema gemacht. Doch Vermarktung des Themas oder Betulichkeit kann man ihrem Text "Vielleicht Esther" nicht vorwerfen, er ist alles in allem kunstvoll gebaut und er erzählt die Bedingungen des Erzählens und Erinnerns mit, ohne die es nicht geht, will man nicht Wahrheitserzeugung vortäuschen oder reine Betroffenheitsprosa herstellen: Beides bei diesem Thema nicht selten. Diesen Gefahren entkommt Petrowskaja aber mit ihrer Erzählweise, gerade dafür wurde sie wohl auch ausgezeichnet. Vielleicht war aber auch entscheidend, dass man spürte: Da will eine etwas erzählen. Zudem trug die Autorin ihren Text ausgezeichnet vor, mit aufrechtem Oberkörper, die Hände hinter dem Rücken. Auch das gab dem Text Stärke, die er selbst nicht an jeder Stelle hat. Das Publikum dankte es ihr mit lang anhaltendem Applaus. Die Autorin gab sich äußerst bescheiden: Sie selbst hätte mehr Kritik erwartet, hätte einen anderen Text ausgezeichnet.

Aufgrund der Tatsache, dass zunehmend Ausschnitte aus Romanen eingereicht werden, die bereits ihren Weg zu Verlagen gefunden haben, wird die Preisvergabe in Klagenfurt zunehmend zu einer Preisvergabe an die Lektoren, und man kann anhand der ausgezeichneten Texte auch den Zustand des Lektorats ablesen: Und da hatten heuer Suhrkamp und Kiepenheuer & Witsch klar die Nase vorn.

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