Der Mehrwert von Meran

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Die diesjährigen Lyriktage von 8. bis 10. Mai zeigten die Vielfalt heutiger Gedichte und die unterschiedlichen Ansichten darüber.

Alle zwei Jahre darf die Lyrik im sonnigen Meran aus ihrem Schattendasein treten. Dann lesen Autorinnen und Autoren ihre Gedichte vor Publikum und Kritikerinnen und Kritikern, in der Hoffnung, am Ende der Veranstaltung den renommierten "Lyrikpreis Meran" zu erhalten. Die internationale Bedeutung des heuer bereits zum neunten Mal verliehenen Preises ist groß und unbestritten.

An diesen zwei Tagen in Meran wurde deutlich, dass Gedichte "Partituren" sind, die auch gehört werden wollen. Manche Autoren wussten ihre Gedichte nach Meinung der Jury hervorragend zu lesen, andere interpretierten sie zu stark, wieder andere schienen die eigenen Zeilenumbrüche zu "verschleifen" - wie auch immer: selten entsprach ein Vortrag jener Vorstellung vom Text, die man bei der eigenen Lektüre hatte, immer geschah etwas.

Gedichte finden Gehör …

Dieses Raum- und Zeitgeben für Gedichte, das Vorlesen und Zuhören war der eine große "Mehrwert" für Zuhörer. Der andere: die anschließende Diskussion der Kritikerinnen und Kritiker über die gelesenen Texte. In Meran geht es nicht darum, für das Fernsehen und die eigene Profilierung das Messer zu wetzen. Man konnte hier als Zuhörerin anhand der Gespräche nicht nur bestens die zeitgenössische Lyrik erkunden, sondern auch Stärken und Grenzen der zeitgenössischen Literaturkritik.

Die Texte der neun Finalistinnen und Finalisten waren meist anspruchsvoll und könnten kaum unterschiedlicher sein. Von "jazzigen" "An-Sätzen" bis zu "nachgestellten" Bildern reichte die Palette, damit zeigten sich auch die Berührungsflächen der Lyrik mit anderen Künsten. Viele Versuche waren zu hören, Neues zu probieren und einen eigenen Ton zu finden. Das Lauschen wurde in diesen Tagen nie langweilig, die meisten der gelesenen Texte forderten ihre Zuhörer sehr heraus.

Verwirrend und aufschlussreich zugleich war es, der Jury beim Ringen um Bewertungskriterien für zeitgenössische Lyrik zuzuhören: sie soll Räume eröffnen, aber nicht zu geheimniskrämerisch, sie darf Musik sein, aber nicht nur Laut, sie darf erzählen, aber nicht alles, Identifikationsmöglichkeiten für den Leser soll sie geben, aber doch nie zu platt, widerspenstig soll sie Reibungsflächen bieten und nicht zu viel Bildung herbeizitieren, schon gar nicht Ansichten zur Ansichtssache machen.

Die anwesenden Studenten staunten nicht schlecht, wie sehr sich die Urteile, vor allem aber die Argumentationen bzw. die Basis dafür bei den "Profis" unterschieden. Von der unausgesprochenen Regel "was meinem Literaturverständnis entspricht, ist gut" bis zur präzisen Sprachanalyse reichten die Statements. Das ist der andere nicht zu unterschätzende Mehrwert solcher Gespräche, die zeigen, dass auch Fachexperten manchmal vor Rätseln stehen: sie machen den Zuhörern Mut, sich selbst an Lyrik heranzuwagen, auch und gerade, wenn man vieles nicht versteht. Trotzdem kann man Lyrik genießen. Diese Tage waren eine gute Schule dafür.

… und brauchen Gespräche

Die "Stars" kristallisierten sich bei den Diskussionen bereits heraus, so dass am Samstagmittag, bevor sich die Jury zurückzog, drei Auserkorene festzustehen schienen. Fraglich war den aufmerksamen Zuhörern nur: In welcher Reihenfolge? Wer bekommt den Lyrikpreis? Was wird sich die Jury trauen?

Sie traute sich dann doch nicht ganz und prämierte mit dem "Lyrikpreis Meran 2008" die Gedichte von Martina Hefter, die durch ihre behutsam gearbeiteten Naturbilder eine gewisse semantische Vertrautheit garantierten. Wohingegen Monika Rinck, die zwar die Jury begeisterte, vor allem aber ratlos machte, allerdings "auf gute Weise ratlos" (Ilma Rakusa), "nur" den Alfred-Gruber-Preis erhielt. Uljana Wolf bekam "nur" den Medienpreis des RAI Senders Bozen zugesprochen, obwohl sie mit ihrem formal präzise gearbeiteten und auch witzigen "DICHTionary", einem "deutsch-englischem Wörterbuch", Begeisterungsstürme ausgelöst hatte und von Ulla Hahn sogar in Zusammenhang mit den Meistersingern gebracht wurde, weil sie "ihre eigene Regel" fand. Diese Preisverleihungen blieben im erwartbaren Rahmen. Aus dem kippte allerdings der spontan gestiftete "Preis der Jury" an Nikola Richter, deren Gedichte nicht besonders aufgefallen waren.

Die Studenten der Innsbrucker Uni, die in ihrem Seminar mit Jurymitglied Wolfgang Wiesmüller bereits zur Vorbereitung die Texte gelesen und bewertet hatten, waren aufmerksame und kritische Beobachter, in ihrer Kritik präzise und begründet. Ihre interessierte Teilnahme kann als erfreuliches Zeichen dafür gelesen werden, dass zeitgenössische Lyrik durchaus auf Interesse stößt, dass sie nur ihren Raum braucht, Anregungen und Gespräche. Ein Zeichen aber auch dafür, wie wichtig derartige öffentliche Auseinandersetzungen mit Lyrik sind, die nicht nur den Autorinnen und Autoren neue Wege erschließen, sondern auch den Zuhörenden.

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