Kasperltheater oder ästhetische Fragen?

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Neue Gesichter in der Jury des Bachmann-Preises: Die FURCHE sprach mit den beiden Juroren, die Österreich vertreten, über ihre Erwartungen.

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Neue Gesichter in der Jury des Bachmann-Preises: Die FURCHE sprach mit den beiden Juroren, die Österreich vertreten, über ihre Erwartungen.

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Die "Tage der deutschsprachigen Literatur 2014" sind noch gut in schlechter Erinnerung: einigermaßen enttäuschende Texte, Juroren, die nach drei Tagen Diskussion nur ihre eigenen Kandidaten wählen, am Ende ein Preisträger, der zwar einen netten Text mitgebracht hatte, aber war der wirklich Bachmann-Preis-würdig? Die mediale Kritik am Bewerb fiel hart aus. Dabei war man ein Jahr zuvor - nach ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz' wohlinszenierter Ansage, den Event abschaffen zu wollen - froh, die Schäfchen vorerst ins Trockene gebracht zu haben.

Doch damit nicht genug. Daniela Strigl war der Juryvorsitz in Nachfolge von Burkhard Spinnen in Aussicht gestellt worden - doch da wurde plötzlich Hubert Winkels gefragt und nahm an. Strigl zog sich daraufhin und mit öffentlicher Stellungnahme ganz aus der Jury zurück. Auch Arno Dusini suchte das Weite. Und so gab es nicht nur die Stelle von Burkhard Spinnen, sondern auch jene beiden für Österreich neu zu besetzen.

Die Vorgänge um die Besetzung sind nicht transparent, sondern "kafkaesk", wie Klaus Kastberger, einer der neuen Juroren, meint, denn man weiß nicht, warum man Juror wird (und ein anderer nicht). Zudem impliziere der Begriff Juryvorsitzender für ihn als demokratisch denkenden Menschen, "dass die Jury selber den Vorsitzenden wählt." Das ist hier allerdings nicht der Fall. Statt Strigl (Spinnen hatte sie sich als seine Nachfolgerin gewünscht -wieder einmal Österreich, wieder einmal eine Frau), wurde Hubert Winkels bestellt, von wem auch immer. War Strigl zu unbequem? Man kann nur mutmaßen. Winkels jedenfalls kann nun seine Liste der Jury-Vorsitze weiterschreiben.

"Öffentliche Mitleser"

Spinnen wurde durch Sandra Kegel ersetzt und mit Klaus Kastberger und Stefan Gmünder sitzen heuer für Österreich zwei ausgewiesene Literaturkritiker in der Jury. Während Gmünder in den letzten Jahren als Literaturredakteur für den Standard den Bewerb beobachtete und darüber stets kritisch berichtete, sah sich Klaus Kastberger - seit heuer Professor für Neuere deutschsprachige Literatur und Leiter des Literaturhauses in Graz - den Event daheim im Fernsehen an, manchmal. "Ich habe jedesmal herumgezappt." 25 Minuten Lesung im Fernsehen wären unerträglich gewesen. Kastberger wechselt sozusagen vom Wohnzimmer auf die Bühne, während aus dem Redakteur Gmünder nun ein von anderen Redakteuren kritisch beobachteter Juror wird. Wie die Autoren stehen ja auch die Juroren im erbarmungslosen Licht der Öffentlichkeit, müssen sich bewähren. Sie sind das eigentliche Gesicht des Bewerbs. "Ich sehe diesen Rollenwechsel durchaus mit gemischten Gefühlen, obwohl die Aufgabe dieselbe bleibt", meint Gmünder. "Theoretisch. Nun ist es aber so, dass die mediale Vermittlung von Literatur und Kritik via Fernsehen und vor Publikum einige Parameter verändert." Hinsichtlich geschriebener Rezensionen habe er sich Literaturkritiker immer "als eine Art öffentlichen Mitleser vorgestellt, als einen Einzelnen also, der sich an andere einsame Leser richtet, um ihnen nicht vorzuschreiben, wie man einen Text lesen soll, sondern wie man ihn - auch - lesen kann. Diese dialogische Vermittlung, wie ich sie sehe, wird in Klagenfurt zwar nicht obsolet, sie funktioniert aber medial viel unmittelbarer und richtet sich an die lesenden Autoren, die anderen Jurymitglieder und ein direkt anwesendes Publikum. Das kann einen als Kritiker zu Zuspitzungen verleiten, zu Vereinfachungen und der Suche nach Pointen, wo es keine zu finden gibt. Das Austarieren von Infotainment, Performance und ernsthafter Auseinandersetzung mit literarischen Texten sehe ich als große Herausforderung." Der Bewerb habe als eines der wenigen Foren, in dem öffentlich über Literatur und Texte diskutiert wird, aber seine Berechtigung. "Event hin oder her."

"Bachmann-Preis ist eine Show"

Klaus Kastberger hingegen äußerte in einem Interview mit dem Falter, der Bachmann-Preis habe eigentlich nichts mit Literatur zu tun, ebensowenig wie der Song Contest mit Musik. Im Gespräch mit der FURCHE präzisiert er seine pointierte Aussage: "Für mich ist der Bachmann-Preis nicht der Ort, um wirklich ernsthaft und in komplexen Zusammenhängen über Literatur nachzudenken. Bachmann-Preis ist eine Show." Man könne nur scheitern, wenn man glaube, "dass da tiefschürfende Gespräche über die wahren Qualitäten von Literatur" möglich seien. "Wenn ein Autor wirklich gut ist, die Jury wirklich gut drauf ist, dann schafft sie es vielleicht einmal, augenblicksartig aufleuchten zu lassen, was Literatur wirklich ist. In 90 Prozent der Fälle wird man weit weg davon sein und wird es um Dinge gehen, die damit gar nichts zu tun haben, die aber lustiger und spannender sein können", zum Beispiel "die Reaktion der Jurymitglieder aufeinander, die Art und Weise, wie eine Autorin, ein Autor sich präsentiert, wie sie liest, das ganze Brimborium und das ganze Drumherum." Die Möglichkeiten, "innerhalb einer festgesetzten Fernsehinszenierung" etwas verändern zu können, seien für so einen einzelnen "Kasperl" jedenfalls "gleich null".

"Ich glaube, es wäre gut, in Klagenfurt von der inhaltlichen Betrachtung von Texten wieder zur Diskussion ästhetischer Positionen zu kommen", wünscht sich hingegen Stefan Gmünder. "Das Reden über Form und Machart des Geschriebenen kommt zu kurz. Auch der Diskurs. Ich empfand es aus diesem Grund immer als Bereicherung, wenn Autoren wie Schindel oder Hettche in der Jury waren, weil sie in einem viel stärkeren Ausmaß als Teile der anwesenden Literaturkritik streitbare ästhetische und poetologische Positionen vertraten - und diese auch verteidigten. Literatur ist ja nicht realistische Abbildung, sie ist Konstruktion, sie ist nicht Darstellung, sondern Erschaffung, sie ist nicht Belehrung, sondern eine Auseinandersetzung mit der gebrechlichen Einrichtung der Welt. Daran möchte ich in Klagenfurt zu erinnern versuchen. Hoffentlich weniger pathetisch als es hier klingt."

Ob es ein Kasperltheater wird oder ernstzunehmende Diskussion über literarische Texte: Ab 2. Juli kann sich jede und jeder selbst eine Meinung bilden, beim Betrachten der Diskussionen vor Ort im ORF-Studio Klagenfurt oder live auf 3sat.

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