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Neue Wege zum Wört(h)ersee

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Zwanzig Jahre hat der Bachmannpreisveranstalter sturheil und wider jede Vernunft an seinem geradezu literaturverbrecherischen Reglement festgehalten, doch siehe da: Im 21. Jahr ist unter der neuen, hervorragenden Organisation von Frau Doris Moser vieles anders geworden: Statt bisher elf prallen nur noch sieben Analytiker auf statt bisher 22 nun nur noch 16 Streber, die Veranstaltung entwickelt sich also in die richtige Richtung. Zum Oberstreber des Jahres wurde der Bayer Norbert Niemann gewählt, er erhält für seine Geschichte „Wie man's nimmt" 250.000 öS (abzüglich MWST, UST, QUEST etc.). Auf den Plätzen Steffen Kopetzky, Bettina Galvagni und Zoe Jenny.

In Relation zur Anzahl der Autoren hat die Anzahl der Juroren sogar noch zugenommen: Auch dieses Indiz ein sehr erfrischendes Bekenntnis der Veranstalter, um wen oder was es hier geht. Erstmals kannten die Juroren die Texte bereits vor der Lesung, hatten also eine Ausrede weniger, überspielten diesen Nachteil aber elegant mit dem altbewährten Zuschütten der Nachwuchsliteratur durch Literaturgeschichte. So richtig geschadet hat das keinem, niemand ist unbekannter abgefahren, als er angekommen ist.

Die durchschnittliche Redezeit jedes einzelnen Jurors beträgt nun mehr als das Doppelte der Lesezeit eines Autors, deshalb werden die Juroren auch gut in Erinnerung bleiben: Die Schweizer Iso Camartin und Har-dy Ruoss outeten sich als ehemalige Franziskaner- und Benediktinermönche, Buoss gibt als Lieblingsautor mittlerweile Bobert Gernhardt (bekanntestes Werk „Wörtersee" - pfui, ein Kalauer!), der aber eben deswegen nie in Klagenfurt starten würde, an. Iris Badisch demonstrierte eindrucksvoll, ' daß es in Hamburg durchschnittlich 15 Sonnentage pro Jahr gibt, Silvia Bovenschen, daß man schon ein Fremder sein müßte, um es länger als eine Stunde in Frankfurt am Main auszuhalten.

■ Als einzige Schriftstellerin saß Barbara Frischmuth in der Jury (bei Herrn Hettche kommt man wirklich nicht mehr auf die Idee, daß er ein Schriftsteller sein könnte), sie wird es aber nie wieder tun und hat in drei Tagen sämtliche Sünden ihres Lebens rückwirkend und vorauseilend abgebüßt. Der unumstrittene Star unter den Kritikern war diesmal zweifellos Klaus Amann, der am lockersten und treffsichersten, am schlagfertigsten und pointiertesten argumentierte und allmählich zum Grandseigneur der deutschsprachigen Literaturkritik heranreift.

Als einziger aller Juroren hat er auch ein sehr gescheites Buch über Ingeborg Bachmann geschrieben, das so unangenehme Weisheiten wie die enthält, daß Bachmann zu Lebzeiten in Kärnten nicht einen einzigen Preis bekommen hat. Apropos: Bachmanns letzter runder Geburtstag fand letztes Jahr statt, ihr nächster runder Todestag folgt erst nächstes Jahr, heuer hat sie gewissermaßen frei. Dafür jährt sich heuer zum fünften Mal der Todestag des Bachmannpreiserfinders

Humbert Fink, der Dichter werden wollte, aber dann doch aus Vernunftsgründen Kritiker geworden ist, und es wäre nicht nur eine nette Geste, sondern auch die konsequenteste Reform gewesen, den Bachmannpreis in Humbert Fink-Preis umzubenennen.

Am allererfreulichsten war die Einführung eines Nachwuchs-Nachwuchsliteraturkurses abseits vom Wettkampfstreß: In dramatischen Beferaten versuchten Wendelin Schmidt-Dengler, Ulrich Janetzki vom Lit. Colloquim Berlin, Klaus Eck von der Verlagsgruppe Bertelsmann sowie namhafte Autoren als Tutoren verzweifelt, zehn dickköpfige Jünglinge vom Hirngespinst abzubringen, diesen furchtbarsten und überflüssigsten aller Berufe zu ergreifen, lieber das bißchen Geld für eine allfällige Therapie zusammenzukratzen und statt Literat doch eher Leichenwäscher, Bettungsfahrer, Journalist, Neurotiker oder Neurologe zu werden, aber die Dickköpfe erklärten bereits unisono, daß auch sie nach den großen Ferien Streber werden wollen.

Wie auch immer: Es war ein Fest, ein Familienfest der Literatur, und man weiß ja, wie das mit Familienfesten ist: Am Morgen danach quälen einen unsägliche Kopfschmerzen, man bringt das Geschnatter von Onkeln und Tanten nicht aus dem Ohr, die Mülleimer quellen über, und man muß mindestens drei Tage putzen.

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