Wettlesen mit Niveau

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25. Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt: kein leidenschaftlicher Wettstreit in der Jury.

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25. Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt: kein leidenschaftlicher Wettstreit in der Jury.

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Manchmal scheint die Welt einfach. "Der Text funktioniert", sagt eine Jurorin. Oh ja, ist sich die Jury schnell einig, der Text funktioniert. Schöne Worte. Eine schöne Geschichte. Der nächste bitte. Der hat Pech. Sein Text funktioniert nicht. Keine schöne Geschichte. Die Jurorin, die ihn ausgewählt hat, sagt noch, sie findet das "Programm" im Text spannend, lenkt dann aber ein, dass die Geschichte selbst vielleicht doch nicht schön ist.

Tatsächlich ist die Welt für die Jury beim Klagenfurter Wettlesen um den Bachmann-Preis nicht einfach. Ist sie zu scharf, wird ihr vorgeworfen, "Autorenschlachten" zu betreiben. Ist sie sanft, wird ihr vorgeworfen, ein langweiliges Literaturseminar abzuhalten. In diesem Jahr galt letzterer Vorwurf. Nicht, dass sich die Jury vor Urteilen gedrückt hätte oder vor scharfen Worten. "Langweilig", "ein überflüssiger Text", "grandios" - von Unentschiedenheit keine Rede. Von einem Literaturseminar unterschied sich der Wettbewerb vor allem darin, dass der theoretische Hintergrund, vor dem die Urteile gefällt wurden, nicht mitgeteilt wurde. Insofern sind die Tage der deutschsprachigen Literatur im 25. Jahr ihres Bestehens, in zeitlicher Nähe zum 75. Geburtstag der Ingeborg Bachmann, ihrem Namen als "Wettstreit" nicht gerecht geworden.

Wohl auf der Ebene der Texte - die reichten vom Sprachexperiment über eine gewollt ironische Paraphrase auf oberflächliches Dahinleben bis zur kafkaesken Schilderung der Arbeitswelt in der New Economy und zur poetisch gekonnten Beschreibung innerer Zustände. Zu hinterfragen bliebe, ob aus dem weiten Feld der Gegenwartsliteratur nicht zum Teil pointiertere Beispiele zu finden gewesen wären, denn das Niveau des Gebotenen klaffte weit auseinander.

Vor allem litt der Jubiläums-Wettbewerb aber darunter, dass der leidenschaftliche Wettstreit in der Jury ausblieb. Kein einziges Mal musste sich der Moderator einschalten und mit Blick auf die Uhr eine Debatte unterbrechen, kein einziges Mal musste er Grundsätzliches wieder auf den Boden der konkreten Texte herunter holen.

Was aber die Jury an Niveau und Sprachbrillanz vermissen ließ, lösten die Siegertexte ein. Michael Lentz, Träger des Hauptpreises, bewies mit "Muttersterben" eindrucksvoll, dass der experimentelle Umgang mit Sprache nicht auf Kosten des Erzählten gehen muss. Jenny Erpenbeck, die sich mit ihrer "Geschichte vom alten Kind" bereits als großartige Erzählerin bewiesen hat, spiegelte gekonnt und sprachgewandt in "Sibirien" den Krieg, die Katastrophe des Jahrhunderts, im Mikrokosmos einer Dreiecksgeschichte und erhielt den Preis der Jury. Der Ernst-Willner-Preis ging an Antje Ravic Strubel, die mit ihrer zwischen Märchenton und kühler Analyse wechselnden Dreiecksgeschichte aus der ehemaligen DDR "Märchen von der selbst gewählten Entführung" unterschwellig Gefühltes sprachlich sichtbar machte.

Wenn im 25. Jahr die Frage nach Sinn und Zukunftschancen des längst zur Institution gewordenen Klagenfurter Experiments gestellt werden soll, sind solche Texte das beste Argument für den Literaturwettbewerb. "Steh auf und geh", heißt es am Ende von Ingeborg Bachmanns Erzählung "Simultan". "Es ist dir kein Knochen gebrochen".

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