Terézia Mora - © Foto: Wikipedia

Bachmannpreis: Terézia Mora - Diagnostikerin unserer Zeit

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1999 erhielt Terézia Mora den Bachmann-Preis. Teil 5 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2021 stattfinden werden.

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1999 erhielt Terézia Mora den Bachmann-Preis. Teil 5 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2021 stattfinden werden.

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Im Jahr 1999 bewies die Jury um den Ingeborg-Bachmann-Preis außerordentlich gutes Gespür, als ihre Wahl auf die damals 28-jährige Terézia Mora fiel. Kritiker konnten sich nicht täuschen lassen durch Bücher, die sie von dieser Autorin bereits gelesen hatten und deren Nachhall eindringlich in Erinnerung blieb – es gab keine. Als Mora in Klagenfurt auftrat, war sie literarisch ein Nobody. Selbst ihre Übersetzungen so bedeutender Autoren wie Péter Esterházy („Harmonia Caelestis“) oder Attila Bartis („Das Ende“) wurden erst später bekannt. Sie war die Entdeckung des Jahres, was sich bis heute bestätigt, wenn sie Buch um Buch Einzigartiges vorlegt. Sie setzte sich gegen prominente Namen wie Monika Helfer, Peter Stamm und Katharina Hacker durch. Allerdings vernichtete dieselbe Jury die Schweizerin Aglaja ­Veteranyi sehr unverständig. 2002 ertränkte sie sich knapp vierzigjährig im Zürichsee. Ihr schmales Werk darf nicht vergessen werden.

Mit Terézia Mora aber ging es beständig bergauf, was in der Auszeichnung mit dem Georg-Büchner-Preis 2018 gipfelte. Geboren wurde sie in Sopron, ihre Werke schreibt sie auf Deutsch. Der Erzählband „Seltsame Materie“ fährt mit einem Personal auf, wie es aus der jüngsten ungarischen Literatur, zu denken ist an László Krasznahorkais „Satans­tango“, bekannt ist. Das Personal besteht aus Dörflern, begnadeten Säufern, sie mogeln sich aus der trostlosen Welt, der sie verhaftet bleiben, in Träume und Fantasien. Sie wirken wie zur Landschaft gehörig, gleichsam mit ihr verwachsen. Diese Erzählungen waren aber erst ein Versprechen auf Kommendes.

Seit ihrem Roman „­Alle Tage“ von 2004 gehört ­Mora endgültig zum festen Bestand der deutschen Literatur. Abel Nema strandet aus einem Bürgerkriegsland in einer deutschen Großstadt und bringt seither nichts mehr auf die Reihe. Hochbegabt und wirklichkeitsuntüchtig führt er ein Leben an der Kippe, gehört nirgends dazu und kommt aus seinem Einsamkeitspanzer nicht heraus. Wie Joseph Roths heiligen Trinker umweht ihn eine Aura des Besonderen, die Verhältnisse aber drücken ihn gnadenlos zu Boden. Zuletzt erschien der Roman „Auf dem Seil“, der dritte Band der Trilogie um Darius Kopp. Der ist auch so einer, der seinen Platz in der Welt nicht gefunden hat. Er ist träge und unbeholfen, ein IT-Spezialist als Tölpel der Gefühle, was ihm im ersten Band „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ noch keinen Schaden einträgt, doch im zweiten Teil, „Das Ungeheuer“, aufstört. Seine Frau hat sich umgebracht, seine Mitschuld lässt sich nicht leugnen. Der Schlussband zeigt Kopp als Geretteten, wenn er auf seine schwangere Nichte trifft und sie sich gegenseitig aus Miseren helfen. Als Diagnostikerin unserer Zeit bringt Terézia Mora das Feingefühl auf, das Innere von Figuren im Ausnahmezustand auszuleuchten.

Die 45. Tage der deutschsprachigen Literatur mit der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises werden vom 16. bis 20. Juni 2021 im ORF-Theater im ORF-Landesstudio in Klagenfurt stattfinden und auf 3sat live übertragen. Jury: Mara Delius, Vea Kaiser, Klaus Kastberger, FURCHE-Feuilletonchefin Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler, Michael Wiederstein, Insa Wilke (Vorsitz).

In dieser Serie stellt Anton Thuswaldner Preisträgerinnen und Preisträger aus 44 Jahren vor.

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