Kurt Drawert - © Fotos: picturedesk.com / SZ-Photo

Bachmannpreis: Kurt Drawert - die DDR, die nicht vergehen will

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1993 erhielt Kurt Drawert den Bachmann-Preis. Teil 6 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2022 stattfinden werden.

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1993 erhielt Kurt Drawert den Bachmann-Preis. Teil 6 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2022 stattfinden werden.

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Als Kurt Drawert 1993 mit dem Ingeborg-­Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, war die DDR schon seit wenigen Jahren Geschichte. Erledigt hatte sich für den damals 37-Jährigen deshalb aber gar nichts. In seiner Prosa wie in seiner Lyrik kämpft er bis heute gegen die Geister einer Macht, die alles Individuelle zu kappen angetreten ist. So hautnah, wie Drawert erlebt hat, was ein repressiver Staat mit dem Einzelnen anstellt, fungiert sein Schreiben als Abwehrzauber gegen die Zumutungen, selbst das Private der Kontrolle ausliefern zu müssen. Sein Vater nahm eine leitende Stelle in der Hierarchie der DDR ein, der Sohn ließ sich nicht auf Linie bringen. Der Riss, der das Volk in Unterstützer und Oppositionelle trennte, ging mitten durch die Familie.

Das reicht für ein Trauma, das der literarischen Aufarbeitung harrt. „Spiegelland. Ein deutscher Monolog“ von 1992 gibt eine Ahnung davon, was sich im Bewusstsein des Verfassers abspielt. Ein Ich setzt sich zur Wehr, nicht physisch, aber kraft der Sprache und der Reflexion. Der Vater steht für die Ordnung, gegen die das sich seiner eigenen Lage vergewissernde Wesen ankämpfen muss. Wer den Text kannte, war vorbereitet auf das, was in Klagenfurt folgen sollte. Drawert ist der Mann für das Finstere und Hoffnungslose. Sein Vortrag, mehrmals unterbrochen von eigener emotionaler Überwältigung, bestärkte den Eindruck, dass es um Existenzielles geht, um nichts weniger als die Rettung des Individuellen durch die Macht der Sprache als elementarer Einwand gegen Autorität und Macht.

„Haus ohne Menschen. Ein Zustand“ hieß der Siegertext, ein Essay, eine Reflexion, ein Formexperiment, sprachlich herausfordernd, kompromisslos, ein Text, der das Zeug dazu hat, einen einzuschüchtern in seinem Furor. Er passte in eine Zeit, die nach Neuorientierung suchte, nachdem aus zwei konkurrierenden Staaten einer mit konkurrierenden Gesinnungen geworden war. Drawert schlug sich auf keine Seite. Er rechnete ab mit der DDR und deren Überwachungsgier und Einschüchterungsmanie und machte westliche Linke verächtlich, die er der „Idealisierungsbeihilfe“ zieh. Überhaupt ist Drawerts Platz nicht auf der Welterklärungsbühne, er ist der Solitär, der seine Verwundungen zu einer öffentlichen Angelegenheit macht, ohne daraus Lehren für den Hausgebrauch zu ziehen.

Die Macht und ihr Preis, das ewige Thema bei Drawert, kehrt vielfach verwandelt und in großartiger, an der Lyrik geschulter, rhythmisch gearbeiteter Sprache wieder. Man sehe sich nur den Roman „Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte“ von 2008 an, wo das Modell Hierarchie in Bergwerksstollen nachgestellt wird. Klar ist das beklemmend, doch Drawert gelingt es, dem Stoff ironische Seiten abzugewinnen. Dass dieser Autor den Bachmann-Preis bekommen musste, steht außer Frage.

Die 46. Tage der deutschsprachigen Literatur mit der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises werden von 22. bis 26. Juni 2022 im ORF-Theater im ORF-Landesstudio in Klagenfurt stattfinden und auf 3sat live übertragen. Jury: Mara Delius, Vea Kaiser, Klaus Kastberger, Furche-Feuilleton­chefin Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler, Michael Wiederstein, Insa Wilke (Vorsitz).

In dieser Serie stellt Anton Thuswaldner Preisträgerinnen und Preisträger aus 45 Jahren vor.

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