Lange Müller - © Foto: Unabhängiges Literaturhaus NÖ (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Bachmannpreis: Katja Lange-Müller - Die Wirklichkeit als Groteske betrachtet

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1986 erhielt Katja Lange-Müller den Bachmann-Preis. Teil 4 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2022 stattfinden werden.

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1986 erhielt Katja Lange-Müller den Bachmann-Preis. Teil 4 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2022 stattfinden werden.

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Mit 35 Jahren trat Katja Lange-Müller 1986 in Klagenfurt an, um sich am Ende den Ingeborg-Bachmann-Preis zu holen. Es war ein auffallend guter Jahrgang, viele der damals Lesenden haben sich danach durchgesetzt. Jochen Beyse, Zsuzsanna Gahse, Evelyn Grill, Gerhard Falkner, Wolfgang Hermann, die früh verstorbene Anita Pichler bildeten eine starke Konkurrenz für die Autorin mit DDR-Vergangenheit, die zwei Jahre zuvor nach West-Berlin ausgereist war. Vorzuweisen hatte sie noch nicht viel. Sie stellte ihren Text „Kasper Mauser – die Feigheit vorm Freund“ vor, der Band „Wehleid – wie im Leben“ war gerade einmal erschienen, doch wer den wahrgenommen hatte, war vorbereitet darauf, dass ein außerordentliches Talent im Kommen war.

Es gibt Erfahrungen, die für das Schreiben prägend sind. Früh wurde Lange-Müller aufgrund ihrer Renitenz auffällig. Während ihre Mutter als Politikerin Karriere machte, wurde der Tochter „unsozialistisches Verhalten“ vorgeworfen. Sie flog von der Schule, absolvierte eine Schriftsetzerlehre, arbeitete als Therapeutin auf einer geschlossenen Frauenstation in der Psychiatrie. Einmal bekannte sie, dass Drucker und Setzer jene Leute gewesen seien, die sie in ihrem Leben am meisten beeindruckt hätten. In ihrem Roman „Die Letzten“ (2000) würdigt sie diese Aufrechten. Dass sie mit den Mächtigen paktieren könnte, blieb für sie ausgeschlossen, im Schreiben fand sie jene Kraft, die ihr das Widerstehen ermöglichte. In ihrem Klagenfurt-Text war schon angelegt, was das Schaffen der Autorin auch später auszeichnen sollte. Sie ist parteiisch, ohne jemals parteilich zu werden. Jenen, die am Rande stehen, schenkt sie ihre Aufmerksamkeit als den Widerständigen, die es jedem System schwer machen, sie zu nützlichen Kräften zurechtzubiegen. In der Gestaltung überantwortet sie jene, die den Menschen unzumutbare Verhältnisse anlasten, kurzerhand der Groteske. So werden die Mächtigen der Lächerlichkeit preisgegeben. Dabei versagt sie es sich keineswegs, auch die Versager und Verweigerer in all ihren komischgrotesken Seiten zu porträtieren.

Drei Stimmen kommen zu Wort in der Sieger-Erzählung, die Lange-Müller mit einem Schlag ins Bewusstsein aufmerksamer Leser versetzte. Alle hadern sie mit dem Land ihrer Herkunft im Osten, mit dem sie längst abgeschlossen haben. Als „drei Kreaturen“ werden sie bezeichnet, „welche das ihnen gemeinsame […] Verwahrlosungssyndrom auf ganz unterschiedliche Weise veräußerlichten“. Als politische Autorin mischt sich Katja Lange-Müller ins aktuelle Geschehen ein. Im April unterschrieb sie den von Alice Schwarzer initiierten Brief gegen die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine, um ihn nach einer Reise nach Estland als Fehler zu bezeichnen, stehe es doch den Unterzeichnern nicht zu, der Ukraine die Kapitulation anzuraten.

Die 46. Tage der deutschsprachigen Literatur mit der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises werden von 22. bis 26. Juni 2022 im ORF-Theater im ORF-Landesstudio in Klagenfurt stattfinden und auf 3sat live übertragen. Jury: Mara Delius, Vea Kaiser, Klaus Kastberger, Furche-Feuilleton­chefin Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler, Michael Wiederstein, Insa Wilke (Vorsitz).

In dieser Serie stellt Anton Thuswaldner Preisträgerinnen und Preisträger aus 45 Jahren vor.

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