Wort-Paraden und Parodien

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Endlich auf Deutsch erschienen: Péter Esterházys "Einführung in die schöne Literatur": ein epochales Werk der Nach-Moderne und ein Labyrinth weltliterarischer Anspielungen.

In den letzten Jahren war Péter Esterházy mit seinem Monumentalwerk "Harmonia Caelestis" im Gespräch, und vor allem mit der darauf folgenden "Verbesserten Ausgabe", ging es doch darin um die Spitzeltätigkeit seines Vaters für den kommunistischen Geheimdienst. Der Erfolg der beiden Bücher hat ermöglicht, worauf alle deutschsprachigen Esterházy-Fans schon lange gewartet haben: die komplette Übersetzung seines ersten Opus Magnum "Einführung in die schöne Literatur". Vor zwanzig Jahren läutete es zusammen mit dem ebenfalls 1986 erschienenen "Buch der Erinnerung" von Péter Nádas eine neue Epoche der ungarischen Literatur ein.

Wichtige Teile der "Einführung" liegen bereits lange auf Deutsch vor und machen Esterházys Ruhm aus: die Romane "Wer haftet für die Sicherheit der Lady" und "Kleine Pornographie Ungarns" - Esterházys Antwort auf die Perversionen und Tabus des realsozialistischen Alltags und sein erster Erfolg im deutschen Sprachraum; weiters die Romane "Fuhrleute" - ein vieldimensionaler Text vom Überleben in Zeiten totalitärer Macht - und "Die Hilfsverben des Herzens".

Wortspiele und Variationen

Diese Romane sind ihrem Autor als Zimmer in einem großen Gebäude vorgeschwebt, zu denen er Treppen, Korridore und Fenster schaffen wollte - so entstand die "Einführung in die schöne Literatur". Viele Motive und Sätze durchziehen das ganze Werk kontrapunktisch oder in Variationen. Esterházy ist die mathematisch-spielerische Kunstauffassung des 18. Jahrhunderts nahe. Er will nicht Sätze über die Welt sagen - weder erzählen noch gar Gedanken äußern. "Wenn ich einen wichtigen Gedanken habe, gehe ich so lange auf und ab, bis ich ihn vergesse", sagte Esterházy in einem Furche-Gespräch.

In der "Einführung in die schöne Literatur" taucht immer wieder das Datum 16. Juni auf. Das ist der Bloomsday, der Tag des "Ulysses" von James Joyce. Und es ist der Todestag von Imre Nagy, der 1958 als Anführer des Ungarn-Aufstandes von den Sowjets hingerichtet wurde. Ein Datum der Weltliteratur und ein sehr ungarisches Datum, ein ästhetisches Signal und ein politisches - für Esterházys Werk ist beides prägend. Der große Wortspieler und Jongleur von Textbausteinen unterminiert immer auch die politische Rhetorik - im Kommunismus, aber auch heute.

"Am 16ten Juni, einem Werktagvormittag, zogen der Reihe und dem Namen nach folgende Wörter ein", heißt es zu Beginn der "Flucht der Prosa", mit der die "Einführung" beginnt, und dann folgt eine fast dreiseitige alphabetische Liste. Gegenüber und neben der Wörter-Parade laufen die unterschiedlichsten anderen Texte - Kommentare, Gegentexte, Zitate.

Immer wieder sind es auch Bilder und grafische Symbole, die zu strukturierenden Eckpfeilern in Esterházys Prosa-Haus werden - Bilder, die die Funktion der Abbildung freilich ironisch abschütteln. Im Text verliert man natürlich gleich einmal die Orientierung, das gehört dazu bei Esterházy, und wenn man außersprachliche Referenzen sucht für das, was da scheinbar erzählt wird, ist man verloren. Von banalen Gesprächsfetzen bis zum Schwimmzeugnis für Georg Trakl kommt einem so ziemlich alles unter, und oft weiß man nicht, was einem da serviert wird. "Der Text läßt der Reihe nach alle jene Anhaltspunkte fallen, auf die wir zu recht zählen würden", lautet eine Randnotiz auf Seite 134. Treffend beobachtet! Aber gleich sind auch wieder konkrete politische Anspielungen präsent: wenn etwa auffällig oft und deutlich eine "Selbstzensur" markiert wird oder eine brisante Randnotiz lautet: "Briefauszug: und ja: im Augenblick ist das Vergangene und Kommende - nur die Gegenwart hat man uns gestohlen. - Aber lassen wir die Tagespolitik."

Politische Anspielungen

"Immerhin leben wir in einer Diktatur des Proletariats" vermerkt eine Randnotiz des zweiten Textkomplexes, und in der Tat muss man sich heute das Publikationsjahr 1986 oft erst bewusst machen. Gerade dann kann man die unbekümmerte Respektlosigkeit dieses Sprachspiels genießen, wenn etwa auf eine Papierserviette "Demokratische Volksrepublik Ungarn, Fürstentum" geschrieben und dann über den Beistrich dazwischen diskutiert wird. Aber auch ein richtiges Märchen vom Kommandanten Pogatschen bekommt man serviert und eine schräge Bildgeschichte.

Ein wunderbarer schmaler Textkorridor ist das "Tagebuch des Gastwirts", in dem die folgenden Zeilen stehen: "Der Tagebuchschreiber beginnt nicht mit der Kenntnis des Lebens, sondern mit der des Wortes. Durch die Kenntnis des Lebens: kann er ein hervorragender Patriot sein, ein blendender Bürger, ein gewählter Internationalist und ein unerschrockener Päderast - aber um ein Tagebuchschreiber sein zu können: muß er konjugieren können." Der Text endet in einer Collage, gebildet aus dem Datum 16. 6.

Insgesamt 19 Texte listet das Inhaltsverzeichnis auf, darunter noch einen "Leitfaden für die Genossen Ästhätiker wo der Hammer hängt und wie man ihn schwingt" oder "A Hard Day's Night", hochwitzig und nicht nur auf die Beatles, sondern ebenso auf Goethe wie auf das politische System anspielend, oder die komplett übernommene Danilo Kis-Erzählung "Ruhmreich ist es für das Vaterland zu sterben", in der es um die Hinrichtung eines jungen Esterházy geht.

Fremde Texte können für Péter Esterházy zu eigenen werden, auch und gerade im autobiografischsten und intimsten Baustein dieses Werkes, den "Hilfsverben des Herzens", wo er angesichts des Todes seiner Mutter gleich zu Beginn Peter Handkes "Wunschloses Unglück" einmontiert. Konsequent bleibt er bei den Sätzen, den Wörtern, und Literatur bezieht sich auf Literatur. So setzt er sich ab von der klassischen Moderne und ihrer Suche nach der idealen Metapher, sondern zählt sich zur Nach-Moderne - dieses Wort ist ihm lieber als Postmoderne - und will verschiedene Versionen vorzeigen - einigermaßen gültige, aber eben trotzdem nur Versionen.

Verschiedene Versionen

Der hochironische Titel "Einführung in die schöne Literatur" hält in gewisser Weise sein Versprechen: Dieses Kompendium ist eine Einführung in die spezifische Art des Lesens, wie man sie für jede Literatur braucht, die den direkten Zugriff auf die außersprachliche Wirklichkeit verweigert. Esterházy versperrt die Möglichkeiten der Identifikation mit einer Figur und setzt nicht auf Orientierung, sondern auf die Auflösung fest gefügter Wahrnehmungsmuster.

Daher ist diese "Einführung" keine leichte Lektüre. Entschädigt wird man dafür durch einen respektlosen Wortwitz, der Phraseologien jedweden Fabrikats aufspießt. Und durch neue Einsichten in die Möglichkeiten der Literatur. Spezifisch Ungarisches, mittelosteuropäische Koordinaten und der Dialog mit der Weltliteratur haben ein unverwechselbares Werk ganz eigener Art entstehen lassen.

Einführung in die schöne Literatur

Von Péter Esterházy

Aus dem Ungarischen von Bernd-Rainer Barth, György Buda, Zsuzsanna Gahse, Angelika Máté, Péter Máté, Terézia

Mora und Hans-Henning Paetzke

Berlin Verlag, Berlin 2006

890 Seiten, gebunden, e 49,40

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