DIE FREIHEIT HAT VIELE FARBEN

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VON RÄTSELHAFTER PROSA BIS ZUR IRONIE: WIE AUTOREN FREIHEIT IM SCHREIBEN VERWIRKLICHEN.

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VON RÄTSELHAFTER PROSA BIS ZUR IRONIE: WIE AUTOREN FREIHEIT IM SCHREIBEN VERWIRKLICHEN.

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Im Alter hat sich der ungarische Schriftsteller György Konrád, geboren 1933, frei geschrieben. Freiheit bildet den Grundton seines gesamten Schaffens. In seinen Romanen und Essays hat er sich auseinandergesetzt mit den Zwängen staatlicher Verordnungen und der Drucklast, unter autoritären Verhältnissen leben zu müssen. Er lieferte reichlich das Anschauungsmaterial der Repression und das Denkbesteck, sich der Zumutungen der Zeitgeschichte bewusst zu werden.

Seine jüngste Veröffentlichung setzt sich aus einer Fülle kleiner Texte zusammen, die um einen autobiografischen Kern kreisen, um in einer kritischen Sichtung der Zeit aufzugehen. In der Summe ergeben die Texte das Porträt eines leidenschaftlichen Freiheitssuchers, manchmal energiegeladen, oft verhalten und reserviert, bisweilen etwas verhärmt. Schreiben bedeutet für Konrád ein Reservat der Freiheit, zumal er in Gebiete vorzudringen vermag, wo vorher noch niemand war. Schreiben im Sinn von Konrád ist ein politischer Akt, der keiner Institution Rechenschaft schuldet, nur dem eigenen Ich. Dieses Ich ist die strenge Instanz, die darüber wacht, dass sich der Verfasser nicht verdächtig macht, Zurufen von außen und politischen Vorgaben Gehör zu schenken.

Das Individuum als von Grund auf verdächtig

Als im Jahr 1989 auch in Ungarn das sozialistische Gebäude zusammenkrachte, erwachte in Konrád die Hoffnung, dass sich ein neues Reich der Freiheit eröffnen könnte. "Es galt, institutionelle Garantien für die Abschaffung der Zensur zu schaffen", hält er im Rückblick auf das Jahr 1990 fest. "Noch musste ich befürchten, dass das Erscheinen meiner Bücher einer vorübergehenden Strömung geschuldet sei, einem aktuellen Kurs, dieser also revidiert werden könnte." Das Reich der Freiheit bleibt eine Traumlandschaft, das lässt sich aus einer Notiz von 1998 schließen. "Das Menschenmaterial bleibt. Sowohl Sittlichkeit als auch Niedertracht finden neue Ausdrucksformen."

Als Jugendlicher entging Konrád unter nationalsozialistischer Besatzung der Deportation nach Auschwitz, später erlebte er das sozialistische Ungarn als autoritäre Kontroll-und Spitzelmacht, der das Individuum von Grund auf verdächtig schien. Deshalb musste es unter Beobachtung gehalten, seine Gedanken gelenkt, eigene Ideen als frevelhaft gebrandmarkt werden. Das machte Konrád zu einem Verteidiger der Freiheit als ein kostbares Gut, das erkämpft und verteidigt werden muss.

Sein jüngstes Buch ist der Literatur gewordene Ausdruck dieser Haltung. Konrád findet in "Gästebuch" eine Form, in der er sich publikumsabweisend gibt. Er tritt uns in spröder Prosa entgegen, so rätselhaft, zum Konzentrat verdichtet und kryptisch, dass ohne eigene Denkarbeit nichts zu holen ist. Er sucht den autonomen Leser, der sich nichts vormachen lassen will, aber Angebote sucht, sich lesend aus eigener Kraft zu seiner Meinung vorarbeiten zu dürfen. So sieht die Antwort auf dogmatische Sichtweisen aus, gegen die der Verfasser lebenslang seine Schreibenergien verwendete. Er lehnt Führerkult und Parteienvergötterung ab, was das Individuum als Kontrapunkt zur Masse ins Recht setzt. Dieses hat Verantwortung zu übernehmen, eine heikle Angelegenheit, die ständiger Überprüfung unterzogen werden muss.

Als Fünfzehnjähriger, der Nationalsozialismus ist Gegenstand der Zeitgeschichte geworden und die Ungarische Volksrepublik ist im Begriff, stalinistische Härtegrade anzunehmen, säumen Uniformierte mit Maschinenpistolen Konráds Schulweg. Er verzieht sich in eine Art inneres Reich, blendet Gefahren aus: "Ansonsten fühlte ich mich frei, hielt es für unwahrscheinlich, kontrolliert zu werden, ich, ein Jüngling von annehmbarem Äußeren und stattlichem Wuchs, in leidlichem Mantel, nicht von der Sorte streitsüchtiger Wichtigtuer." Freiheit, eine Imagination.

Für osteuropäische Intellektuelle gehört es bis heute zur selbstverständlichen Notwendigkeit, die Freiheit zu einem ganz persönlichen Anliegen zu machen. Die Erfahrung der Abwesenheit von Freiheit treibt sie dazu, aus ihrer eigenen Geschichte heraus sich gegen Angriffe gegen das Kleinkriegen der Einzelnen schreibend zur Wehr zu setzen. Imre Kertész definierte sein eigenes Leben von Auschwitz her. Das Lager ist er nie mehr losgeworden, im Schreiben rettete er sein Ich. Programmatisch gab er 1998 einem Buch den Titel "Ich - ein anderer". Die Freiheit besteht darin, dass sich ein Ich von außen nicht definieren lässt. Es bleibt eine Fluchtgröße, eine Identität auf Widerruf, ein Chamäleon des Ungefähr. Für Konrád ist er "der zur metaphysischen Einsamkeit Verurteilte". So könnte ein mit Schrecken beladener Freiheitsbegriff aussehen, der zu Kertész passt: der unbehauste Bindungslose.

Milan Kundera wiederum exilierte 1975 aus Prag nach Frankreich, nachdem die Hoffnungen, sich frei entfalten zu dürfen, an der starren Parteilinie zerborsten waren. 1967 trat er, sich auf Denis Diderot berufend, mit einer tollkühnen Rede während des Kongresses des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes an die Öffentlichkeit: "Jede Unterdrückung von Meinungen, auch die gewaltsame Unterdrückung unrichtiger Meinungen, richtet sich im Endeffekt gegen die Wahrheit, weil die Wahrheit nur durch den Dialog der Anschauungen zu erlangen ist, die gleichberechtigt und frei sind." Die Rede gegen Zensur durfte nur zensuriert in Druck gehen. Kunderas literarisches Werk ist geprägt von Konflikten seiner Protagonisten mit staatlicher Macht und den Versuchen, sich, wenn es anders nicht geht, eine Gegenwelt im Privaten als Freiheit auf Zeit zu schaffen. So treffen wir auf erotische Libertäre, Zimmerfreidenker, lockere Flaneure.

Auf die leichte Schulter

Auch für Kundera verwirklicht sich Freiheit im Schreiben, wo er sich ungeschützt geben darf. Der verlorene Posten ist der angemessene Ort für ihn, kein Problem, solange er das Gehör der Öffentlichkeit findet. Er geht als Ironiker vor, nimmt große politische Themen auf die leichte Schulter. Dann darf er in seinem jüngsten Roman "Das Fest der Bedeutungslosigkeit", in Frage stellen, was anderen zur bitteren Gewissheit geworden ist. Die Gegenwartsbestimmung von Ramon, einer der vier Hauptfiguren, gipfelt in der Erkenntnis, dass sich die Bedeutungslosigkeit umfassend durchgesetzt habe, das zeige sich "in den Gräueln, in den blutigen Kämpfen, im schlimmsten Unglück". Ramon bedauert das nicht, findet den Frieden mit dieser Haltung. Er ist ein Bruder Leichtfuß, verkörpert einen Typus der Gegenwart, der sich die Freiheit nimmt, alles, was Konrád und Kertész je bewegt hat, so weit weg schiebt, dass es winzig klein wird. Sogar Stalin wird dann zur Witzfigur in einer Posse namens Weltgeschichte. Ramon entsorgt das 20. Jahrhundert auf der Müllhalde der Geschichte und entwertet gleichzeitig das Erinnerungswerk großer Literatur, die sich den leichten und ironischen Kundera-Ton nicht leisten darf. Die Freiheit hat viele Farben.

Gästebuch

Von György Konrád Nachsinnen über die Freiheit. Aus dem Ungar. von Hans-Henning Paetzke

Suhrkamp 2016 288 S., geb., € 23,60

Ich - ein anderer

Roman von Imre Kertész. Aus d. Ungar. von Ilma Rakusa

Rowohlt 2002 126 S., kart., € 7,80

Das Fest der Bedeutungslosigkeit

Roman von Milan Kundera. Aus d. Französ. von Uli Aumüller

Hanser 2015 144 S. , kart., € 17,40

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