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György Konrád hat mit "Glück" keinen Roman, sondern eine ungarisch-jüdische Autobiografie geschrieben.

György Konrád, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und Präsident der Akademie der Künste in Berlin, ist als Romancier und Essayist ein mitteleuropäischer Autor von Rang. Seine "Antipolitik" war ein wesentlicher Anstoß der Mitteleuropa-Diskussion der achtziger Jahre, sein erster Roman "Der Besucher" vor drei Jahrzehnten in Ungarn eine literarische Explosion. In manchen seiner letzten Bücher, etwa im Roman "Der Nachlaß" von 1999, vertraute er zu sehr auf den Inhalt, das Erzählen floss unproblematisch und unstrukturiert vor sich hin. Seinem neuen Buch hat der Suhrkamp Verlag die Bezeichnung Roman verpasst - ein glatter Etikettenschwindel, denn es handelt sich um autobiografische Skizzen. Ebenso inadäquat ist der deutsche Titel "Glück"; es geht um "Abreise und Heimkehr", wie das ungarische Original überschrieben ist.

Im Ghetto von Budapest

"Seit meinem fünften Lebensjahr wusste ich, daß sie mich, sollte Hitler siegen, töten werden" - das ist die Voraussetzung der Abreise aus dem Dorf Berettyóújfalu in der ungarischen Tiefebene nahe bei Debrecen. Konrád war elf Jahre alt, als die Deutschen am 19. März 1944 Ungarn besetzten und seine Eltern abgeholt wurden. Und er wusste: Im Ghetto von Budapest ist es sicherer als auf dem Land. Weil er als Kind seine Abreise organisierte, überlebte er zusammen mit drei Gleichaltrigen; die 200 anderen jüdischen Kinder seines Heimatortes wurden ermordet.

Als Kind wurde Konrád in großbürgerliche Selbstverständlichkeiten hineingeboren, die mit ebenso viel Sympathie wie Ironie geschildert werden. "Um ihn herum war alles sehr beständig: der Kochtopf, das Fahrrad und die Geltung des gegebenen Wortes", schreibt der Autor über seinen Vater und dessen erfolgreiches Eisenwarengeschäft. "Die Familienangehörigen glaubten, gleichzeitig gute Ungarn und gute Juden zu sein. Im Zweiten Weltkrieg dann schieden sich die beiden Begriffe voneinander." Etwa 600.000 ungarische Juden wurden in Konzentrationslager deportiert.

Immer wieder weitet sich der autobiografische Blick auf diese Dimension, auf Judentum und Antisemitismus in Ungarn. Die tragischen Anpassungsversuche der Juden und der folgsame Gang ins KZ kommen in den Blick, etwa das Schicksal jenes Arztes, der freiwillig ins Arbeitslager zurückging, weil er es seinem Kommandanten versprochen hatte. Doch mittlerweile war der feinfühlige Kommandant, der ihm Weihnachtsurlaub gegeben hatte, abgelöst worden; der Arzt wurde mit seinen Kranken in ein Massengrab hineingeschossen. In kurzen Episoden wird das Überleben im besetzten Budapest geschildert.

Nach der Ankunft der sowjetischen Truppen machte sich Konrád auf den "Heimweg": Sieben Tag und schier unüberwindliche Strapazen kostete es, bis er in seinem Dorf anlangte. Dort musste er erfahren, dass sein Überleben an den Tod der anderen erinnerte. "Weißt du, daß du anstelle der anderen lebst?", wurde er gefragt. Im März 1945 sollte Konrád einen Aufsatz zum Thema "Warum liebe ich meine Heimat?" schreiben. Doch der Zwölfjährige hatte Zweifel: "Mein Vaterland, so glaube ich, wollte mich töten." Jude sein führte in die Einsamkeit: "Jenes Jahr schob sich zwischen mich und meine christlichen Freunde als Grenze des Schweigens. Denn sie waren in jenem Jahr normale Kinder gewesen, ganz im Gegensatz zu mir."

Einsame Rückkehr

Das Buch endet mit der Wiederbegegnung mit dem Heimatort im Jahr 2000. Konrád, der mittlerweile berühmte Sohn der Stadt, die vor kurzem noch ein Dorf gewesen war, wurde zum Vortrag eingeladen. Er kam in eine fremde Heimat: "Der Kalló, der Bach, ist zugeschüttet worden, der Garten, in dem wir unter Kirschbäumen Fußball gespielt hatten, ist verschwunden, ebenso der Nußbaum vor meinem Fenster, ja, sogar mein Fenster ist verschwunden, sie haben es zugemauert, und der jüdische Tempel dient auch weiterhin als Eisenwarenlager." Am besten findet sich Konrád auf dem Friedhof zurecht. Seine Erfahrungen hat er zu einem leisen schmalen Buch werden lassen, das man lesen muss, wenn man über Juden in Ungarn, über Auschwitz und Überleben sprechen will. Noch nie hat sich György Konrád im Schreiben so von Fiktionen fern und an seine eigenen Erinnerungen gehalten. Das Buch ist eben alles, nur kein Roman.

GLÜCK

Roman von György Konrád, aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke, 156 Seiten, e 20,50

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