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György Konráds autobiografischer Roman "Sonnenfinsternis auf dem Berg" ortet Heimat dort, "wo ich nicht totgeschlagen werde".

György Konrád, als Romanautor, Essayist und langjähriger Präsident des internationalen PEN und der Akademie der Künste in Berlin eine internationale Berühmtheit, sitzt in seinem Sommerhaus am Plattensee und lässt uns Einblick nehmen in sein Familienleben. Ein arrivierter Schriftsteller, könnte man auf den ersten 20 Seiten meinen, dem sein Geschäft bisweilen lästig ist und der sich nur ungern von seinem Sommerhaus losreißt. Doch wenn er am Schluss des Buches wieder dorthin zurückkehrt und fragt "Wo ist Heimat", dann wissen wir, dass es um mehr geht. Heimat ist, "wo ich nicht totgeschlagen werde", lautet eine der Antworten. Für György Konrád, 1933 in einer jüdischen Familie in Ostungarn geboren, war das nicht immer selbstverständlich.

Wie er überlebt hat, hat Konrád in seinem letzten Roman "Glück" erzählt; das neue Buch beginnt mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den Illusionen von 1945 - denen des Vaters, der sein bürgerliches Leben als Eisenwarenhändler fortsetzen wollte, und den Träumen einiger Freunde vom Aufbruch des Kommunismus. Nach 1949 war die politische Polizei immer aufdringlicher präsent und György Konrád landet schon als Schüler wegen offener Meinungsäußerung vor dem Disziplinarausschuss. Unvergesslich sind die Momentaufnahmen von Schicksalen in diesem Buch. Da ist etwa Eva, die mit 17 aus Auschwitz zurückgekommen ist, wo ihre Eltern und Geschwister ermordet worden waren; geblieben ist ihr nur eine unleidliche Tante, also macht sie sich selbständig - als Prostituierte. "Bei unserer ersten Begegnung", schreibt Konrád, "als ich fünfzehn war, küsste ich die auf Evas Unterarm tätowierte Nummer". Oder da ist der Philosophieprofessor, der von seiner proletarischen Ehefrau zu Hause mit "Genosse" angesprochen wird und Konrád rät, sich auch eine solche Frau zu suchen, um seiner verdächtigen bourgeoisen Biografie zu entkommen.

"Als Fürsorger, als Stadtsoziologe, als Dissident, in allen meinen möglichen Rollen war ich ein Spion des Schriftstellerberufs". Was Konrád vor allem erkundet, sind: "Straßen, Wörter, Gewohnheiten". Der entscheidende Einschnitt ist der Ungarnaufstand 1956: "die plötzliche Abnahme des Schreckens und der unerwartete Mut". Doch er bekommt auch anderes zu sehen: unkontrollierten Volkszorn und aggressive Lynchjustiz.

1956 hätte Konrád in den Westen gehen können - wie etwa die Hälfte seiner Klassenkameraden. Schon 1950 hätte er legal nach Israel auswandern können. 1976 hätte er von einem Auslandsaufenthalt nicht mehr zurückkehren können - wie seine zweite Frau mit den beiden Kindern. Doch er wollte zurück, es kam zur Scheidung. Auf Dauer konnte er nur in Ungarn leben - "vielleicht, um meinen nächsten Roman in seiner natürlichen Umgebung schreiben zu können".

Dafür nahm Konrád Drangsalierungen, Verhöre, ständige Bespitzelung und 1974 auch eine Verhaftung in Kauf. Wer die Umstände nachliest, unter denen seine Romane "Der Besucher", "Der Stadtgründer" und "Der Komplize" sowie seine bahnbrechenden Essays entstanden sind, die nur im Westen erscheinen konnten, der sieht auch, wie viele Illusionen man sich über das Leben im kommunistischen Ungarn gemacht hat. "Zwang kann Intensität hervorbringen", hat Konrád daraus gelernt, und: "daß es ohne Gefahr keine gedankliche Schärfe gibt". Konrád hat damit gerechnet, bis an sein Lebensende illegal zu bleiben - und sich auf das konzentriert, was ihm das Wichtigste war: "Lesen, Schreiben und Flanieren".

Konráds faszinierende Lebensbilanz hat freilich auch gravierende Mängel: Abschweifungen und Kommentare wirken manchmal wie zufällig aus der Feder geflossen; einige Dubletten bis in die Formulierungen hinein wären besser gestrichen worden. Und am Schluss überfrachtet ein Zug zu sentenzenhaften Lebensweisheiten bisweilen das Erzählen.

Großartig ist diese Autobiografie in den lakonischen Notizen des Schreckens, die nie auch nur den Anschein von Bitterkeit, Triumph oder gar Rechthaberei erwecken. Dieses erstaunliche Annehmen des eigenen Lebens macht das Buch so lesenswert - ein Panorama ungarischen Lebens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das seinesgleichen sucht.

Sonnenfinsternis auf dem Berg

Autobiographischer Roman von György Konrád. Aus dem Ung. von Hans-Henning Paetzke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005. 382 Seiten, geb., e 25,50

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