Mora - © Foto: Imago / Viadata

Terézia Mora: „Meine Figuren müssen von der Sprache bewegt werden“

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Die in Ungarn geborene, vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin Terézia Mora über ihr Buch „Fleckenverlauf“, das ursprünglich als Blog begann.

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Die in Ungarn geborene, vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin Terézia Mora über ihr Buch „Fleckenverlauf“, das ursprünglich als Blog begann.

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Terézia Mora, aufgewachsen in einem ungarischen Dorf am Neusiedler See, lebt seit 1990 in Berlin und zählt zu den wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Literatur. 2018 erhielt sie für ihr Gesamtwerk den Georg-Büchner-Preis. Die Protagonisten in ihren Romanen „Alle Tage“, „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, „Das Ungeheuer“ und ihrem Erzählband „Die Liebe unter Aliens“ treibt das Gefühl der Fremdheit und Ortlosigkeit in unserer Gegenwart um. Darüber hinaus zählt die Autorin zu den renommiertesten Übersetzern aus dem Ungarischen, zuletzt fand ihre Übertragung von Andrea Tompas Roman „Omertà“ im Frühjahr 2022 große Anerkennung.

DIE FURCHE: Sie haben Ihre Aufzeichnungen „Fleckenverlauf“ aus den Jahren 2014 bis 2020 als „Tage- und Arbeitsbuch“ betitelt, sind für Sie Leben und Arbeit eine Einheit?
Terézia Mora:
Vielleicht ist es etwas jämmerlich, es sollte vielleicht auch andere Tage geben, aber für mich ist tatsächlich jeder Tag ein Arbeitstag. Und ich wollte mit dem Titel auch ein Zeichen geben, dass das kein intimes Tagebuch ist, sondern dass es um die Frage geht: Wie macht man aus Leben Kunst, und das permanent. Ich hatte nach sechs Jahren sehr viel Material und musste dann für das Buch auswählen. Ich habe geschaut, ob es durchgängige Themen gibt, etwa das Leben auf der Straße, meine Lektüre, Notizen und Beobachtungen, die ich für meine Bücher brauchen kann, die für das Schreiben vielleicht verwertbar sind oder eben auch nicht.

DIE FURCHE: „Ich bin Schriftstellerin, keine Schreibmaschine“, heißt es in einem Eintrag am 17. April 2018, in dem darüber reflektiert wird, welche Tätigkeiten zur Schreibarbeit zählen, etwa die Recherchen oder das Nachdenken. Die Einträge sind nicht regelmäßig verfasst, manchmal liegen Wochen und Monate dazwischen, gab es bestimmte Schreibanlässe?
Mora:
Der erste Eintrag im Buch war tatsächlich der erste Blogeintrag. Ich habe zunächst das Tagebuch als Blog begonnen, ich war damals sehr deprimiert. Nach ersten Reaktionen habe ich den Blog allerdings geschlossen, weil ich nicht öffentlich nachdenken wollte. Ich habe aber die Oberfläche weiter benützt. Deshalb haben die einzelnen Einträge Titel und Datum, wobei mir die Titel sehr geholfen haben, mich zu disziplinieren und bei einem Thema zu bleiben. Auch der Buchtitel verdankt sich einem Blogeintragstitel, in dem ich über einen Fahrradunfall schreibe, über den Verlauf der blauen Flecken auf meinem Körper. So ein Titel stapelt nicht hoch, er klingt rätselhaft und signalisiert körperliche Beschädigungen und Schmerzen.

DIE FURCHE: Wann fiel die Entscheidung zur Publikation?
Mora:
Mein Lektor schlug dem Verlag, als sich mein 50. Geburtstag näherte, eine Publikation vor. Meine Essays wollte ich nicht veröffentlichen, auch kein Gespräch führen mit meinem Lektor. Ich entschied mich dafür, Antworten auf Fragen zu geben, die mir bisher nicht gestellt wurden. Ich wollte ein leichtes Buch haben – leicht zu schreiben und zu lesen. Romane zu schreiben fällt mir schwer, das ist die Hölle, wie die Arbeit in einem Steinbruch. Erzählungen zu schreiben liebe ich, auch diese Kurztexte fielen mir leicht, ich schrieb sie immer zum Aufwärmen, wie leichtes Joggen, bevor Du Dich ins Bergwerk begibst.

DIE FURCHE: Der erste Eintrag trägt den Titel „Glück“, und das Thema der Glückssuche durchzieht das Buch, auch wenn mehr vom Unglück die Rede ist. Es gibt Listen, in denen aufgezeichnet ist, was gut war an einem Tag, aber auch längere Listen mit dem, was schlecht gelaufen ist.
Mora:
Die Glückssuche war am Anfang sehr verzweifelt. Du schreibst die ein bis zwei Sekunden auf, damit Du sie nicht vergisst. Im Laufe der Aufzeichnungen gelang es mir dann leichter, glücklich zu werden. Ich schreibe seit Jahren auf, was schiefgelaufen ist, um draufzukommen, was ich anders machen kann, um es besser haben zu können. Ich kann keinen Tag verbringen, ohne ihn zu reflektieren.

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