"Bin ein Müßiggänger, könnte mehr machen"

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"Das Bedürfnis zu erzählen und erzählt zu bekommen, kann nicht gebrochen werden, es ist ein Grundbedürfnis des Menschen," so der Autor Michael Köhlmeier. Welche Themen ihn derzeit bewegen und wie er an seine Arbeit herangeht, erzählt er im furche-Gespräch.

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"Das Bedürfnis zu erzählen und erzählt zu bekommen, kann nicht gebrochen werden, es ist ein Grundbedürfnis des Menschen," so der Autor Michael Köhlmeier. Welche Themen ihn derzeit bewegen und wie er an seine Arbeit herangeht, erzählt er im furche-Gespräch.

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die furche: In den letzten Jahre haben zahlreiche Ihrer Bücher die Buchhandlungen geziert: "Telemach", der Prosaband "Der traurige Blick in die Weite", "Bevor Max kam". Woran arbeiten Sie zur Zeit?

Michael Köhlmeier: Nachdem ich alle anderen Arbeiten abgeschlossen habe, arbeite ich nach "Telemach" und "Kalypso" am dritten Band der Homer-Nacherzählung "Penelope". Seit zwei Jahren habe ich die Arbeit an "Penelope" unterbrochen und nur gelegentlich daran gearbeitet. Jetzt habe ich zumindest die Struktur der "Penelope" fertig. Es wird ein sehr umfangreicher und wohl auch ein sehr komplizierter Roman werden. Nun werde ich mich auf die "Penelope" konzentrieren, aber das wird einige Jahre dauern.

die furche: In einem Gespräch mit der furche 1996 sprachen sie davon, dass ihre dreiteilige Nacherzählung der "Odyssee" bis 2000 abgeschlossen sein würde. Bestand die Schwierigkeit auch darin, dass Ihr Telemach sich schwerlich zu einem Massenmörder entwickeln kann, wie dies das Ende der Homerschen Odyssee vorsieht?

Köhlmeier: Nein, das war nicht die Schwierigkeit. Dieses Problem stellt sich dann, wenn man so weit ist. Wenn sich Telemach dazu entwickelt, dass er diesen Massenmord begeht, dann macht er es. Wenn er sich aber nicht dazu entwickelt, macht er es eben nicht. Das Problem war, dass der Roman, in dem Penelope im Zentrum steht, nicht mehr so dicht der Odyssee des Homer folgen wird wie der "Telemach". Diese genaue Orientierung am Original war bei "Kalypso" schon nicht mehr der Fall, und ist bei "Penelope" überhaupt nicht mehr gegeben. Die Mythologie ist die Geschichte des Odysseus, und zum Teil die Geschichte seines Sohnes Telemach. Penelope, deren Thema das Warten ist, ist in diese Mythologie nicht so einbezogen, auch bei Homer nicht. "Penelope" wird in den nächsten drei oder vier Jahren erscheinen. Dazwischen wird es sicherlich andere Publikationen geben. Das habe ich ja immer so gemacht.

die furche: Ihre Trilogie beginnt: "Ihm war, als wandelte er auf stumpfem, schwarzem Grund, der keine Geschichten erzählte und keine Geschichte mehr zuließ". Dies ist für Odysseus die fatale Situation der Verbannung, in der er "ausgeschlossen vom göttlichen Geist (ist), der aus der offenen Welt leuchtet". Für einen Geschichten-Erzähler muss dies eine noch fatalere Situation sein. Setzt ihre sprudelnde literarische Quelle solche schwarze Erfahrungen voraus?

Köhlmeier: Da kann ich nicht viel darüber sagen. Warum diese literarische Quelle sprudelt, darüber denke ich nicht nach. Wenn ich eine gewisse Distanz zu dem einnehme, was ich geschrieben habe - das sind bisher etwa 35 Bücher und 55 CDs -, dann denke ich mir, das ist eigentlich schon viel. Wenn ich allerdings mitten in meinem Alltag bin, denke ich, dass ich relativ wenig arbeite. Ich stelle mir das Leben eines Schriftstellers nicht so vor, dass der acht Stunden am Schreibtisch sitzt und arbeitet, aber wenigstens vier oder drei Stunden. Aber ich sitze im Schnitt nicht jeden Tag vier Stunden am Schreibtisch. Ich habe eine ungeheuer privilegierte Arbeitssituation. Ich denke dafür häufig ans Schreiben, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich über längere Zeit wirklich diszipliniert sehr viel arbeite. Sicher, wenn ein Roman in die zweite Phase kommt, dann sitze ich jeden Tag vier Stunden dran. Ich denke, ich könnte viel mehr machen, wenn ich nicht so ein Müßiggänger wäre. Ich habe mir noch nie überlegt, was soll ich jetzt schreiben, sondern ich habe mir eher überlegen müssen, was, von dem was ich gerne schreiben würde, schreibe ich jetzt. In dem Augenblick, in dem ich mir die Frage stellen würde, was soll ich jetzt schreiben, würde ich aufhören, weil es würde mir nichts einfallen. Ich glaube nicht, dass ich mit Nachdenken, mit Einfall suchen auf irgend etwas draufkäme. Der Einfall ist etwas, das sagt das Wort ja schon, das einfällt. Ich kann das nicht erzwingen. Meine Erfahrung ist, je mehr Druck man dahinter setzt, desto weniger geht es.

die furche: Warum kommen in dem Buch "Geh mit mir" dem fiktiven Ich-Erzähler Eigenschaften zu, wie Alter, Größe, nie Raucher gewesen zu sein, die der reale Autor nicht besitzt?

Köhlmeier: Deswegen steht ja auch "Roman" und nicht "Autobiographie" darunter. Es ist durch und durch ein Roman. Es ist an diesem Roman nichts Autobiographisches, auch wenn es im Klappentext steht. Es ist eine reine Erfindung der Klappentext-Schreiber, dass dieser Roman in irgend einer Weise etwas mit meiner Autobiographie zu tun hat. Sicher stimmt es, dass meine Mutter auch gelähmt war, und im Rollstuhl war, oder dass mein Vater irgendwann einen leichten Herzinfarkt hatte, aber das Entscheidende sind nicht die äußeren Dinge, das Entscheidende bei einem Roman ist, wie sind die Figuren, und in diesem Roman gibt es keine Figur, die einer Person in meinem Leben auch nur halbwegs ähnlich sieht. Genauso wie man bei "Bleib über Nacht" immer geschrieben hat, das ist die Geschichte seiner Eltern. Das ist ein Unsinn.

die furche: Sie haben zahlreiche Stoffe bearbeitet, etwa die griechische Mythologie, das Nibelungenlied, die Bibel. Dies ist einerseits bewundernswert, andererseits könnte auch der Vorwurf des Dilettantismus erhoben werden.

Köhlmeier: Wer mir in der griechischen Mythologie Dilettantismus vorwirft, den möchte ich zunächst einmal zu einem kurzen Prüfungsgespräch über griechische Mythologie einladen. Wer mir in Österreich etwas über griechische Mythologie erzählen will, den möchte ich kennenlernen. Ich weiß nicht, was man genau unter Dilettantismus versteht, ein Dilettant im Sinne eines Liebhabers bin ich gewiss. Etwa bezüglich der Bibel habe ich da schon haarsträubende Diskussionen erlebt. Da kommen Leute, die offensichtlich Hardcore-Wissenschaftler sind, die mir sagen wollen wie die Bibel beginnt: "Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort." Und ich denke mir, was erzählt er denn da, das ist doch der Beginn des Johannes-Evangeliums. Ich muss feststellen, dass die sogenannten Bibelfesten, nicht einmal den Unterschied zwischen dem Beginn des Alten Testaments und des Johannes-Evangeliums kennen. Was die Bibel, genauso was das Nibelungenlied, aber vor allem, was die antike Mythologie betrifft, würde ich mich mit jedem, der mir Dilettantismus vorwirft, gerne auf ein Gespräch einlassen.

Ich weiß nicht, was die Leute den ganzen Tag machen. Es wird doch für jemanden, der sich wie ich, einen Intellektuellen nennt, möglich sein, mindestens ein Buch in der Woche zu lesen. Wenn das schon als gigantische Leistung gelte, dann muss ich sagen, dann sind wir auf einem Tiefpunkt der Kultur angelangt, das ist ja unglaublich. Ich bin jetzt 51 Jahre alt, und beschäftige mich mit griechischer Mythologie seit ungefähr 30 Jahren. Wenn ich mich in dieser Zeit nicht auskennen würde, dann wäre ich doch ein Idiot. Am Anfang bin ich zu altphilologischen Kongressen eingeladen worden, da habe ich mir gedacht: "Das darf doch nicht wahr sein, dass sich da jemand wagt, mit einem so geringen Wissen zu so einer Tagung zu kommen."

die furche: Sie haben durch mündliches Erzählen breiten Zuspruch erfahren. Was bedeutet dieses Erzählen in Ihrem Selbstverständnis als Schriftsteller? Sehen Sie sich eher als Erzähler oder doch als herkömmlicher Schriftsteller?

Köhlmeier: Ich würde da keinen so großen Unterschied sehen. Im Endprodukt ist ein Unterschied da, ob ich erzähle oder ob ich schreibe. Es ist natürlich auch im Produktionsprozess ein Unterschied, aber es ist mit anderen Werkzeugen an einem anderen Material dasselbe Tun. Wenn Sie einen malenden Bildhauer fragen, ob das etwas ganz anderes ist, wenn er malt oder wenn er Bildhauerei macht, dann wird er Ihnen dieselbe Antwort geben. Er macht im Prinzip dasselbe. Ob ich etwas im Radio mündlich erzähle oder ob ich aus dieser mündlichen Erzählung ein Buch mache, ist eine Wahl des anderen Material und des Werkzeuges, aber der Impetus, warum und was ich dabei tue, ist derselbe: Ich erzähle eine Geschichte. Das Schöne ist, wenn man so erzählt, dass durch die alltäglichste Begebenheit hindurch, so wie durch ein Milchglas, eine archetypische, mythische Grundbewegung schimmert. Wenn ich von einem Vater erzähle, und es schimmert dahinter als ein Gedanke Abraham oder der Vater an sich, dann bekommt das eine ungemeine Tiefenwirkung, die jedes Erzählen rechtfertigt.

Das Gespräch führte Wolfgang Ölz Zur Person: Vorarlberger Autor von 35 Büchern und 55 CDs Michael Johannes Maria Köhlmeier ist am 15. Oktober 1949 in Hard in Vorarlberg geboren und in Hohenems, wo er heute noch lebt, aufgewachsen. Er ist Autor zahlreicher Drehbücher, Hörspiele, Romane und Theaterstücke. Spätestens seit dem Roman "Spielplatz der Helden" ist Michael Köhlmeier im deutschsprachigen Raum einer der bekanntesten zeitgenössischen Autoren. Den wahrscheinlich größten Erfolg hatte er mit der dreiteiligen CD-Reihe "Klassische Sagen des Altertums", in der er die griechische Mythologie erzählt. Diese Erzählungen liefen zunächst wöchentlich im Radio.

Für sein Schaffen wurde Köhlmeier mehrfach ausgezeichnet. So erhielt er etwa 1988 für den erwähnten Roman "Spielplatz der Helden" den Johann-Peter-Hebel-Preis, weiters 1994 den Manes-Sperber-Preis, 1996 den Anton-Wildgans-Preis, 1997 den Grimmelshausen-Preis.

Michael Köhlmeier ist mit Monika Helfer verheiratet.

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