Subversiver Geist mit viel Schalk und Ironie

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Form war für ihn ein Reservat der Freiheit. Und der Freiheit bedurfte der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy dringend. Ein Nachruf.

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Form war für ihn ein Reservat der Freiheit. Und der Freiheit bedurfte der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy dringend. Ein Nachruf.

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Bei unserer ersten Begegnung ging es schon um den Tod. Nachdem im Jahr 1985 Péter Esterházys Roman "Die Hilfsverben des Herzens" auf Deutsch erschienen war, lud der Residenz Verlag den Autor nach Salzburg ein. Ein Schriftsteller, dem man eine Menge zutraute, wurde vorgestellt, soviel, dass er der erste fremdsprachige Schriftsteller war, der in diesem Verlag überhaupt unterkam. Mit ihm hatte man eine Menge vor. Der Roman sollte nur den Auftakt bilden, denn nach und nach gedachte man den Autor mit seinem Werk, das zum größten Teil noch gar nicht geschrieben war, ans Haus zu binden.

Bei dem, was dieser Esterházy schreibe, handle es sich um große Literatur, raunte mir Wolfgang Schaffler, der Gründer des Residenz Verlags, zu, führte mich zum Autor und ließ uns beide dann allein stehen. Etwas verlegen suchten wir miteinander ins Gespräch zu kommen, sein Buch bot sich als der einzig mögliche Stoff dazu an. Darin schrieb Esterházy über den Tod seiner Mutter auf eine Weise, wie es noch nicht zu lesen war. Natürlich hatte er Peter Handkes "Wunschloses Unglück" wahrgenommenen, das als Wegmarke nicht nur der österreichischen Literatur ein Beispiel mitfühlender Nüchternheit und Klarheit abgab. Esterházy war ein überaus belesener Schriftsteller, dessen eigene Bücher sich aus denen von anderen ebenso speisten wie aus der Erinnerung, der Beobachtung und vor allem der Reflexion.

Hier meldete sich ein Teufelskerl zu Wort, für den literarische Form nicht Fron und Qual bedeutete, sondern ein Reservat der Freiheit. Und der Freiheit bedurfte er dringend. Immerhin kam er aus Ungarn, einem Land, das in Zeiten des Staatssozialismus darauf achtete, dass sich der Einzelne nicht zu viele Freiheiten herausnahm.

Geschichte und Politik

Péter war ein Spross der einflussreichen, die Geschichte prägenden Adelsfamilie Esterházy, die nach dem Zweiten Weltkrieg bestraft worden war, indem ihnen von Staats wegen die Besitztümer weggenommen wurden. So sollte historische Größe auf kleinbürgerliches Maß gebrochen werden. Die Machthaber hatten nicht gerechnet mit so einem wie Péter, der damals noch gar nicht geboren war, aber, so ist man geneigt zu meinen, als Rache der Familie erfunden wurde, um es den staatstragenden Männern mit Ironie und der Durchtriebenheit eines schalkhaften Geistesberserkers heimzuzahlen.

Geschichte und Politik sind seinem Werk dauerhaft eingeschrieben, ohne sich ständig als bedeutend und wichtig aufdrängen zu müssen. Sie sind die Konstanten aller Leben, die davon geprägt sind, ohne dass der Einzelne etwas dagegen unternehmen kann. Hinnehmen will das so einer wie Péter Esterházy gar nicht, deshalb die Flucht in die Sprache, in deren Schutz er seine Angriffe gegen Würde und Macht der starken Kerle unternimmt. Nirgends erweist sich Esterházy als ein politischer Autor der unverhohlen kritischen Art, der einen Gegner ins Auge fasst und ihn rhetorisch klein kriegt. Er ist der feinsinnige Connaisseur, der nicht Spott und Hohn braucht, um die Mächtigen armselig aussehen zu lassen, er liebt das hintersinnig vertrackte Spiel, das Ernst und Tiefsinn ins Schalkhafte wendet.

Ein existenzieller Boden ist seinen Büchern ohnehin eingezogen. Das lässt sich an dem frühen Roman "Die Hilfsverben des Herzens" beobachten, mit dem der damals Fünfunddreißigjährige im deutschen Sprachraum größte Zustimmung erfuhr. Das eigentliche Thema Tod verschwimmt zusehends. Die Mutter als Sterbende wird, je länger der Sohn hinschaut, zum Phantom. Das ist der Unschärfe der Erinnerung geschuldet, die eine große Verwandlungskünstlerin ist. Gerade das gefällt Esterházy an ihr, dass sie nicht Ruhe gibt und Vergangenheit als gefrorene Zeit speichert. Sie ist eine variable Größe, deshalb ist die verstorbene Mutter nicht festzumachen. Sie entzieht sich, mischt sich auch noch selbst ins Buch, so heiter geht es zu, und dabei ist dem Verfasser sagenhaft mulmig ums Herz.

Wir vermieden es, über den Tod zu sprechen damals, als einer vom anderen noch gar nichts wusste. Das war deshalb leicht, weil sich Esterházy gern auf ein Gespräch über das Schreiben einließ und über das, was die literarische Form für ihn bedeutete. Selbst nahm er sich, der schon als aufstrebender Stern am Literaturhimmel gefeiert wurde, vollkommen zurück. Durch Zufall sei er zum Schreiben gekommen. Eigentlich sei er Mathematiker. Er habe in einem Büro gearbeitet und weil ihm dort die Arbeit schneller von der Hand gegangen sei als vermutet, habe er überflüssige Zeit zur Verfügung gehabt. Die habe er eben zum Schreiben genutzt und dabei seien Texte entstanden, die dann als Bücher erschienen seien.

Wie glaubwürdig diese Version des Einstiegs des Péter Esterházy in die Literatur auch immer sein mag, es steckt jener Schalk in ihr, der für sein Werk so charakteristisch ist. Der kleine Arbeitnehmer arbeitet an den Vorgaben und Erwartungen der Obrigkeit vorbei, die nicht kapiert, welch subversiven Geist sie sich in ihre Räume geholt hat. Das erzählte er - tatsächlich wuchsen sich Esterházys Berichte aus dem eigenen Leben zu kleinen formvollendeten Geschichten aus - mit dem Charme eines liebenswürdigen Hochstaplers.

Interpretation und Deutung

In dieser Episode tritt eine andere Eigenart des Schriftstellers Esterházy zutage. Es gibt nie nur eine Version einer Geschichte, ja von Geschichte überhaupt. Immer könnte alles ganz anders sein. Wirklichkeit ist eine Sache von Interpretation und Deutung, deshalb ist die Ironie so wichtig, um nicht zu verzweifeln im Meer der Unsicherheit. Fakten zählen, keine Frage, auf die sind wir angewiesen, um Orientierung zu bekommen, aber dazu kommen unsere Imaginationen. Das Gefundene und das Erfundene, das Gedachte und das Erlebte, das Handfeste und das Luftige, bei Esterházy bekommt alles seinen Platz in unmittelbarer Nachbarschaft, vermittelt durch harte Schnitte, Überblendungen und Assoziationen. Was aus zweiter Hand kommt, ist von unmittelbarem Wert für diese Literatur, in einem veränderten Kontext wandeln sich Sinn, Charakter und Eigenart.

Der Roman "Harmonia Caelestis" aus dem Jahr 2000 gilt als sein Hauptwerk, in welches er neun Jahre Arbeit investiert hat. Er öffnet einen gewaltigen Geschichtsraum, erzählt Esterházy'sche Familiengeschichte, indem er Bockssprünge durch die Jahrhunderte europäischer Geschichte vollzieht. Er pfeift auf Chronologie und weigert sich, Geschichte als Prozess darzustellen, wir treffen auf das Stückwerk einer Geschichte, die ein in sich geschlossenes Ganzes nicht werden will.

Die Zentralgestalt bildet der Vater, eine Fiktion, die omnipräsent durch die Zeiten geistert, ein Spuk, bewundert, geliebt und verteufelt, ein Vater als Projektionsfläche aller Sehnsuchtsängste. "Was ist der Unterschied zwischen meinem Vater und Gott? Der Unterschied ist klar zu erkennen: Gott ist überall da, während mein Vater überall ist, nur nicht da." Bald, nachdem das opus magnum fertig gestellt war, wurde Esterházy auf Akten aufmerksam, in denen sein Vater als Spitzel des ungarischen Geheimdienstes geführt wurde. Das machte eine Neubewertung der Vater-Geschichte nötig - zwei Jahre später erschien der Band "Verbesserte Ausgabe".

Am 14. Juli ist Péter Esterházy 66-jährig an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.

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