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Die „harte” Literatur

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Die Literatur kann bisweilen auch ein Geschäft sein und nicht für Autoren — wie weithin erwiesen — nur den Charakter eines Hobby haben. Das gilt z. B. für die Sex- Literatur, noch mehr aber für jene Gattung von „Literatur”, die man im Unterweltjargon als „harte Literatur” (der Name stammt aus der deutschen Bundesrepublik) anspricht.

Die Oeffentlichkeit und die Gesetzgeber wie die Gerichte sind jederzeit bereit, einen kleinen Mann, der wegen eines Bagatelldiebstahls mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist, zu verurteilen und aus der Gesellschaft auszustoßen. Auch eine soziale Gerichtshilfe kann dem Mann, der gefehlt hat, seinen Ruf nicht wiedergeben. Anders ist es freilich, wenn es sich bei der Verfehlung um einen Angehörigen der Geschäftsunterwelt gehandelt hat. In diesem Fall gehören die Schramme im Vorleben und die befleckte Weste zur Sicherung der „gesellschaftlichen Position”, die man in den Pausen, in denen man auf freiem Fuß ist, mit Nachdruck hält.

Jedenfalls weiß die Behörde unter Bedacht- nahme auf die bestehenden Gesetze die Bevölkerung gegen gewisse Gesetzesübertretungen zu schützen. Das ist gut so. Anders ist die Sache freilich, wenn es sich um Vergehen handelt, die nicht physische und materielle Schädigung von Staatsbürgern zur Folge haben.

Ich meine etwa die Jugendverderber. Wenn ein Lehrer nur den leisesten Lapsus in sittlicher Hinsicht begeht, wird er mit Recht diszipliniert und sogar entlassen. Wegen der gleichen Delikte, die einen Menschen an den Rand der Gesellschaft stellen und ihn sogar um seine Existenz bringen können, gehen aber andere Personen straffrei aus. Und die Oeffentlichkeit findet daran nichts auszusetzen.

Die „harte Literatur” ist ein innerdeutsches Problem erster Ordnung geworden. Alle Instanzen, die sich pflichtgemäß mit dem Schutz der Jugend befassen müssen, und alle Eltern und Jugendführer sind in einer fast aussichtslosen Abwehrstellung. Presse (Massenpresse), Rundfunk und Fernsehen bedrohen rücksichtslos (es sind also durchweg die „Alten”) die sittliche Substanz des deutschen Volkes. In nicht weniger als 25.000 Leihbüchereien wird heute in der Bundesrepublik „harte Literatur” angeboten, die von 40 spezialisierten „Verlegern” herausgebracht wird. Was ist das eigentlich: „harte Literatur”? „Christ und Welt”, die hervorragende evangelische Wochenschrift, versucht eine Definition: „Man mixe eine große Portion Roheit und Brutalität mit genügend Gewaltverherrlichung und einem ordentlichen Schuß Sex.” Dann ergibt sich etwa folgender Literaturabsud: „Ich knallte ihm den Lauf meiner Kanone gegen die Kinnlade und legte den Knochen frei.” Oder, wer nicht genug hat: „Ich war in der inneren Verfassung, um dem Schwein ein volles Magazin in den schlammigen Wanst zu jagen, und zwar so lange, bis seine Basedowaugen zuklappten.”

Ist es nicht eine hferrliche Zeit, in der wir leben, eine Zeit, in welcher Hemmungen Beweis von Muckertum sind, von Prüderie, über die man in den Redaktionen der Boulevardpresse und in den Studios so mancher Rundfunkstationen schon lange hinweg ist? Man ist „up to date” und nimmt zur Kenntnis, wie ein Verleger „harter” Literatur es sagte, daß unsere Zeit „frei, frech, unverschämt, grausam und brutal” ist, aber trotzdem, „und vielleicht deshalb, prachtvoll”.

Wie „prachtvoll” ist die Zeit, in der es zur Konvention gehört, daß junge Menschen etwa so zueinander in „Verkehr” treten.

„Ich schlug ihr ins Gesicht. Ich hieb ihr über den aufkreischenden Mund und riß ihr den Browning aus der Hand. ,Hör auf zu sabbeln, Puppe1, sagte ich brutal, ,mir wird schlecht, wenn ich deinen Stuß höre.1 Sie ließ die Hand sinken und sah mich unentwegt an. ,Oh, was bist du gemein1, flüsterte sie. ,Das walte Gott1, sagte ich.” Da komme einer daher und behaupte, Deutschlands lugend werde nicht in Gottesfurcht und rechtem Minnedienst erzogen!

Damit man sich über die Gewichtigkeit und das Einflußvolumen der Blut- und Sex-Literatur keine Illusionen macht, muß auch noch darauf hingewiesen werden, daß die einzelnen Hefte zwar nur in einer Durchschnittsauflage von 2000 verlegt, daß aber im Monat mindestens 30 neue „Werke” auf den Markt „geworfen” werden; das sind dann 60.000 Stück, wobei wieder jedes Exemplar durchschnittlich von 20 Lesern „konsumiert” wird. Das heißt, es wird monatlich für mehr als eine Million Leser Schundliteratur herausgebracht !

Nun ist man vielleicht gewillt, alle Schuld den Autoren zu geben. Abgesehen davon, daß es sich kaum um Literatur, sondern bestenfalls um Geschriebenes handelt, das man nach dem Gewicht bezahlt, mußte man im Verlauf von Prozessen feststellen, daß die Personen, die sich die Berufsbezeichnung „Verleger” anmaßen, die gelieferte „Ware” noch überarbeiten, gleichsam richtig etikettieren. Dazu kommt, daß die Schreiber des Konzepts, die „Produzenten” der „Rohware”, verhalten werden, je Lieferung eine bestimmte Anzahl von Toten „beizulegen”. Ein Autor sagte, daß sein Verleger von ihm für jeden „Roman” eine vertraglich festgelegte Mindestanzahl von Toten „verlangte”. Kein Wunder, wenn Titel wie „Auf Särge zehn Prozent Rabatt” durchaus mit dem Inhalt abgestimmt sind. Je mehr Tote, desto bessere Bezahlung. „Für jeden mehrgelieferten Toten gibt’s eine Prämie.” Daß die primitiven Jugendlichen die vorgetäuschte Wirklichkeit der Gangsterliteratür und die Tatsachen ihrer Umwelt nicht auseinanderhalten können, erfährt man dann bei Gericht, das feststellen muß, daß ein Menschenleben in gewissen Kreisen so wenig Bedeutung hat wie für den Autor bei der Textierung.

Wie es nun schon einmal bei berufsmäßigen Gesetzesübertretern ist, haben auch die „Verleger” einer dem Sinn des Gesetzes nach verbotenen Literatur ihre „Berufsehre”, sie bringen es sogar zu einer „moralischen” Rechtfertigung. Als die Bonner Buchprüfstelle eine Reihe von Verfahren gegen bestimmte Verleger einleitete, kam ein Beschwerdebrief wie dieser: „Wir nehmen an, daß Sie das Glashaus schon in Bau haben, in dem die Jugend fernab von der Wirklichkeit und den Alltagsstürmen, die ihnen draußen begegnen, aufgezogen werden soll. Hoffentlich fällt diese Jugend, wenn sie das Glashaus einmal verläßt, nicht beim ersten leisen Windhauch um.” Das sind Sorgen von „Jugenderziehern11. Wenn etwas als Heuchelei klassifiziert werden muß, dann Ergüsse wie diese.

Wir sind in Oesterreich keine Insel. Zu Millionen kommen jährlich die Skandalillustrierten über die Grenze. In den Schulen kursieren Presseerzeugnisse, die keineswegs Sitten- und stilbildend sind. Viele Eltern gehen dazu noch mit schlechtestem Beispiel voran. Man sehe, was Erwachsene daheim an Zeitschriften und an dem, was sie „Literatur” nennen, halten. Auch hochchristliche Leute, die höchst erstaunt sind, wenn ihnen einmal ihre Kinder bei einer Auseinandersetzung „eine geben”, daß sie „blubbern” müssen. Man kann nicht gut als Vater die „Bombe in Nylon” als Heimlektüre verwenden und dann erregt sein, wenn der Sprößling als Tauschobjekt (selbstverständlich 1:1) eine „Massenfahrt ins Jenseits” offeriert. Wenn man ihm (dem Jungen) dann von väterlicher Seite eine „versetzt”, daß er „zu Boden geht”, ist das ein unfaires Spiel und wäre besser Anlaß für eine Disqualifizierung des Vaters, der sich mit Unrecht noch „Erziehungsberechtigter” nennt.

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