Google Maps - © Illustration: Rainer Messerklinger

Plagiate im Startup-Milieu: Wer hat’s erfunden?

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Die Netflix-Serie „The Billion Dollar Code“ erzählt, wie Google die Idee eines Kartendienstes von einem deutschen Start-up gestohlen hat. Das ist keine Seltenheit in der kuriosen Technikgeschichte.

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Die Netflix-Serie „The Billion Dollar Code“ erzählt, wie Google die Idee eines Kartendienstes von einem deutschen Start-up gestohlen hat. Das ist keine Seltenheit in der kuriosen Technikgeschichte.

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Berlin, 1993, Nachwendejahre. Der Kunststudent Carsten Schlüter trifft in einem Techno-Club den Programmierer Juri Müller. Sie fassen den Plan, einen interaktiven digitalen Globus zu entwickeln. Allein, für eine solche Software fehlt ihnen die Rechenpower. Also sprechen sie bei der Deutschen Telekom vor, die das Projekt mit einer Million D-Mark unterstützt. Die Mission: ein Prototyp für die Tech-Messe ITU in Kyoto entwickeln.

Die beiden schaffen einen hochleistungsfähigen Onyx-Rechner an, der über einen der schnellsten Prozessoren der damaligen Zeit verfügt, und stellen hastig ein Team aus Kunststudenten und Hackern zusammen. In einem dunklen Kellerverlies beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Mastermind Müller feilt bis zuletzt am Algorithmus, buchstäblich in letzter Sekunde bringen sie die Anwendung zum Laufen. In Kyoto wird das Programm als Sensation gefeiert. Die Kartografie-Pioniere reisen ins Silicon Valley, wo sie auf den TechGuru Brian Anderson treffen. In seiner Naivität verrät ihm Müller den Quellcode. Zurück in Deutschland, gründen Schlüter und Müller ein Start-up (ART+COM), mieten Büroräume und suchen nach Investoren. Eines Tages sehen die Unternehmensgründer mit Entsetzen, dass im Netz ein verblüffend ähnlicher digitaler Kartendienst aufgetaucht ist: Google Earth. Anderson hat ihre Idee schamlos kopiert. 2014 klagt ART+COM gegen Google wegen einer Patentrechtsverletzung – und verliert.

Berlin und das Silicon Valley

Die Story der Netflix-Serie „The Billion Dollar Code“ basiert auf einer wahren Geschichte. Firma, Erfindung, Protagonisten – alles ist real. Nur wenige fiktionale Elemente wurden hinzugefügt. Auf Youtube findet man noch heute einen Ausschnitt aus einer Fernseh-Reportage des NR (heute NDR) von der Computermesse Cebit 1998: Ein Mitarbeiter von ART+COM demonstriert darin, wie er mit einem mausähnlichen Cursor aus dem Weltall auf Deutschland fliegt und bis auf die Gebäudeebene heranzoomt. Wohlgemerkt: Das war im März 1998. Damals wählte man sich noch mit dem Modem ins Internet, und im Auto hatte man kein Navi, sondern einen zerfledderten Straßenatlas. Ein halbes Jahr später wurde in einer Garage in Menlo Park in Kalifornien Google gegründet. Wie wäre die Geschichte wohl ausgegangen, wenn die Start-up-Gründer ihr Produkt zur Marktreife gebracht hätten? Wäre Berlin das neue Silicon Valley geworden?

Fakt ist, dass es in der Technikgeschichte immer wieder solche Patentstreitigkeiten gegeben hat. Es begann schon mit der Nähmaschine. 1851 bekam der amerikanische Erfinder Isaac Merritt Singer ein Patent für eine Nähmaschine zuerkannt. Die mit einer Tretplatte und Kurbel angetriebene Maschine wurde bald darauf in Serie produziert und in Europa in den aufkommenden Kaufhäusern vertrieben. Singer avancierte zum Weltmarktführer; der Fabrikant hinterließ nach seinem Tod 1875 ein Millionenerbe.

1854 verklagte der Mechaniker Elias Howe, der bereits 1845 eine brauchbare Nähmaschine konstruiert hatte und diese ein Jahre später patentieren ließ, Singer wegen einer Patentverletzung. Und bekam Recht. Singer musste Howe 15 000 Dollar und 25 Dollar Lizenzgebühr pro verkaufter Maschine bezahlen. Howe wurde durch das Lizenzgeschäft zum Millionär. Für beide war es am Ende eine Win-Win-Situation.

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