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Digital In Arbeit

Bozos & Lusers werden geßamed

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Was ist ein Luser? Ein Luser ist ein Internet-User, der immer wieder dieselben simplen Fragen zu simplen Befehlen stellt und nicht begreifen will, daß man im Internet nichts zu suchen hat, wenn man nicht bereit ist, die notwendigen Computer-Befehle zu erlernen. Was ist ein Bozo? Bozos sind Zudringliche und Langweiler, welche die anderen mit ellenlangen Statements nerven, die nichts Neues bringen.

Was kann Lusern und Bozos passieren? Im schlimmsten Fall werden sie geflamed. Flamen ist die typische Kriegführung und zugleich die aggressive 1 )isziplinierungsmethode des Internet. Wer anderen auf die Nerven geht, muß damit rechnen, daß seine E-Mail-Box mit gigantischen Massen von wertlosem Datensalat überflutet und lahmgelegt wird. Außerdem gibt es Filter, mit denen man die Botschaften unerwünschter Teilnehmer, die einen nicht interessieren und für die man nicht zu sprechen ist, einfach ausblenden kann, und wenn jemand geflamed wird, ist er plölich in den Bozo-Filtern allgegenwärtig.

Als die unbedarften Anfragen zahlloser Neulinge die alten User ärgerten, wurden zeitweise sogar Neueinsteiger geflamed. Gerard van der Leun meint in seinem informationsreichen, unterhaltsamen Buch „Die zwölf Gebote des Cyberspace”, dies sei zwar nicht besonders nett gewesen, „aber keine Massenimmigration in der Geschichte ist ohne eine schmerzhafte Phase der Anpassung abgelaufen”. Zum Glück habe das Netz bald zu seiner alten Hilfsbereitschaft zurückgefunden. Seither unterscheidet es Newbies von ignoranten New-bies: „Ignorante Newbies posten Fragen und rufen beleidigt ,Bedienung!', wenn nicht sofort geantwortet wird. Ignorante Newbies sind eine Plage. Newbies hingegen sind gutwillige Neulinge.”

Eine Frage „posten” heißt, sie auf einem der virtuellen Anschlagbretter im Net anzubringen, wo andere sie lesen (meist wird sie sehr bald beantwortet). Man lernt, wie man sieht, bei van der Leun auch eine Menge Cyberspace-Sprache. Cyberspace ist der virtuelle Baum der weltweiten Kommunikation.

Das Buch nennt sich im Untertitel Internet-Knigge, und das ist es auch. Es erklärt nicht, wie man ins Netz kommt, sondern wie man sich dort benimmt. Höchste Zeit, derzeit sind schätzungsweise 40 Millionen Menschen miteinander verbunden, in zweieinhalb Jahren werden es 500 Millionen sein.

Internet bedeutet tatsächlich eine Kulturrevolution. Es ist ein chaotisches, unüberblickbares und daher unkontrollierbares Medium. Länder, die an der Weltwirtschaft teilnehmen wollen, können ihre Bürger nicht vom Internet fernhalten - damit bekommt die Zensur selbst in China ein großes Loch. Aber auch den Regierungen der demokratischen Staaten ist soviel freier Meinungsaustausch unheimlich, weshalb die USA nicht knackbare Verschlüsselungssysteme verbieten und etliche Erfinder solcher Systeme einsperrten. Aber PGP („Pretty Good Privacy ”) ist erfunden, das kann nicht rückgängig gemacht werden, und jeder Internet-Teilnehmer kann dieses nicht knackbare Verschlüsselungssystem mit ein paar Mausclicks in seinen PC übernehmen.

Die Zeiten, in denen Hacker nationale Telephongesellschaften prellten, gehen zu Ende. Heute kostet die Stunde weltweiter Kommunikation soviel wie eine Stunde Ortsgespräch. Die Wiener Telekabel-Gesellschaft bietet bereits ein Pauschalarrangement an: Für einige hundert Schilling kann man den ganzen Monat rund um die Uhr um den Globus surfen.

Alte User sehen die Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie ist das, was den Internet-Vätern vorschwebte. Aber sie läßt das Niveau absacken. Internet war lange das Kommunikationsmedium der Universitäten. Dabei entwickelten sich bestimmte Umgangsformen. Autoren wie van der Leun versuchen Einsteigern diesen Netz-Benimm beizubringen:

„Über die Jahrzehnte hinweg haben sich einzigartige Formen der Selbstdarstellung entwickelt. Es gibt bestimmte Anredeformen, Posen, Manieren, Angriffs- und Verteidigungsstile, der Bequemlichkeit dienende und gewissen Prinzipien gehorchende Bündnisse. Im Laufe der letzten Jahre scheint sich das Netz mit dem quasi über Nacht entstandenen World Wide Web seinen eigenen Markt geschaffen zu haben, und es ist jetzt, trotz des Gejammers vieler Eingesessener, bereit für das Geschäft... Beliebig viele können mitspielen, jeder kann mitmachen, und jeder Gedanke kann für beliebig viele ,Zuhörer' zum Ausdruck gebracht werden ... Dieses Angebot von offener und allgemein zugänglicher Kommunikation zwischen Individuen auf der ganzen Welt hat neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Gruppen geschaffen, die aus zwei Personen oder auch aus Hunderttausenden bestehen können ... Es hat zahllose Diskussionen zu jedem beliebigen Thema und ohne Bücksicht auf Landesgrenzen, Philosophien, politische Einschränkungen oder Zeitzonen ermöglicht.”

Van der Leun ist einer jener, die das Niveau halten wollen. Er schrieb einen bewegenden Nachruf auf den 1995 verstorbenen Thomas Mandel, eine herausragende Persönlichkeit des WELL, eines exklusiven Online-Systems mit besonders anspruchsvollen Diskussionen, das er als Insel inmitten „solcher gigantischer Download-Halden und Geschwätzgruben wie CompuServe und America Online” sieht. Die Fülle der Batschläge, die klaren Positionen des Autors, und sein Witz, lassen dieses Buch die Masse der Internetliteratur turmhoch überragen.

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