Surfen und fernsehen

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Ob Pantoffelkino am PC oder ein Surftrip im TV:Internet und Fernsehen wachsen zusammen.Ein Blick in eine rasch näherkommende Zukunft.

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Ob Pantoffelkino am PC oder ein Surftrip im TV:Internet und Fernsehen wachsen zusammen.Ein Blick in eine rasch näherkommende Zukunft.

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Wie schnell sich die Zeiten ändern: In den 70er Jahren hatte der Fernseher gerade zwei Programme. Lustlos konnte der Zuseher zwischen ORF 1 und ORF 2 hin- und herzappen. Heute liefern Kabel und Satellitenschüssel Dutzende in- und ausländische Kanäle ins Wohnzimmer.

Wem das nicht reicht, der darf sich auf den "Interseher" freuen, den Fernseher, der gleichzeitig das Internet empfängt. Ein TV-Abend im Jahr 2003 sieht dann so aus: Im ORF-Kulturjournal läuft gerade ein Bericht über die jüngste Burgtheater-Premiere. Tolle Aufführung denkt sich der Zuseher. Der Griff zur Fernbedienung genügt, und schon ist die Verbindung zum Internet hergestellt. Am linken Rand des TV-Bildschirms öffnet sich ein Fenster mit der Homepage des Bundestheaterverbands. Dort ist zu erfahren, daß für die morgige Vorstellung noch Restkarten zu haben sind. In Sekundenschnelle ist die Reservierung via E-Mail abgeschickt. Wenige Minuten später trifft die Bestätigung des Theaterverbands in der Mailbox ein. Darin heißt es, daß die Karten zwanzig Minuten vor der Vorstellung an der Abendkasse abzuholen sind. Bezahlt wird mit der Kreditkarte.

Auch das Herumblättern in Programmzeitschriften ist bei Web-TV nicht mehr notwendig. Auf Knopfdruck zeigen Suchmaschinen, zu welcher Uhrzeit und auf welchem Kanal der Lieblingsschauspieler zu sehen ist. Zu den einzelnen Sendungen kann man jede erdenkliche Information aus dem World Wide Web abrufen: aktuelle News, Hintergrund-Infos zu Sport, Business, Börse, Musik, Computer oder Reisen. Musikkanäle nehmen CD-Aufträge gleich online entgegen. Noch während der TV-Reisereportage besteht die Möglichkeit, via E-Mail Flüge und Hotels zu buchen. Und bei Kochsendungen sind nicht nur die Rezepte im Netz zu lesen, sondern es werden auch Bestellformulare für den nächstgelegenen Supermarkt am Bildschirm gezeigt. Die Zutaten für das Fernsehmenü werden nach Hause zugestellt.

Schon in drei Jahren, so verkündet eine Studie des US-Marktforschungsinstituts Data Corporation, wird jeder zweite Surfer nicht mehr den PC, sondern den Fernseher als Zugang zum Internet nutzen. In Wahrheit steckt hinter der Verschmelzung beider Medien eine tiefe Krise. Im Vorreiterland USA stagnieren die PC-Verkaufszahlen. Die Marktdurchdringung der Heimcomputer kommt kaum noch voran. "Nur 40 Prozent der amerikanischen Haushalte haben einen PC, damit dürften wir den Plafond erreicht haben. Um Internet zum Massenmedium zu machen, müssen wir eben den Fernseher internettauglich machen. Denn 93 Prozent der Haushalte besitzen ein TV-Gerät", erklärt Microsoft-Chef Bill Gates die Taktik.

Auch sämtliche TV-Stationen haben großes Interesse daran, verlorene Websurfer wieder an sich zu binden. Denn der Vormarsch des Datenhighways bedroht ihr wirtschaftliches Fundament.

"Surfen statt Glotzen" lautet vor allem bei Jugendlichen die Devise. Laut Umfrage der deutschen Zeitschrift "PC Welt" verbringen 83 Prozent der 14- bis 29jährigen Surfer täglich über eine Stunde im Internet und verzichten statt dessen auf den TV-Konsum. Als Gegenstrategie haben jetzt Fernsehstationen spezielle Internet-Ableger von einzelnen Sendungen lanciert. So bietet der deutsche Privatsender SAT.1 auf seiner Homepage (www.sat1.de) während der Kontakt-Show "Nur die Liebe zählt" einen moderierten Chat, bei dem sich die Zuschauer am Computer sozusagen live über das unterhalten können, was sie gerade im TV sehen. "Wenn Internet und Fernsehen in einem Gerät verschmelzen, werden wir zu jeder Sendung eigene Web-Inhalte anbieten", kündigt Fred Kogel, SAT.1-Programmchef, an.

Flimmerndes Internet Die technische Vermählung der beiden Medien wird aber noch eine Weile auf sich warten lassen. Erste Ansätze sind die seit einem Jahr um 6.990 Schilling erhältlichen Web-Boxen (der Marken Grundig, Philips und Thompson). Sie eignen sich aber bloß für PC-Muffel, die nur sporadisch den Datenhighway nutzen. Die Geräte haben die Größe eines Videorecorders und werden ohne umständliche Technik zwischen Flimmerkiste und Telefonsteckdose angeschlossen. Ist der Benutzer bei einem Internet-Provider angemeldet, wird er über das eingebaute Modem direkt mit dem Netz verbunden. Die Navigation erfolgt über eine eigene Fernbedienung, die über vier Cursorpfeile und eine Bestätigungstaste verfügt, oder per drahtloser Tastatur.

Allerdings läßt die Qualität der auf der Mattscheibe dargestellten Web-Seiten stark zu wünschen übrig. Die meisten Bilder und Grafiken sind schwer zu entziffern. "Wer sich länger im Netz aufhält, bekommt Augenschmerzen. Selbst die neuen Flachbildschirme haben eine viel zu schlechte Auflösung für Web-Inhalte", warnt Franz Manola, Leiter von ORF-Online. In dieselbe Kerbe schlägt Roland Kissling, Marketing-Manager vom Internet-Provider magnet. Er hält die Web-Boxen für "nicht marktreife Ladenhüter". Kein Wunder, daß sich bislang nur wenige auf das Surfvergnügen am Pantoffelkino eingelassen haben. Den High-Tech-Firmen bleibt daher nichts anderes übrig, als mit Hochdruck an einer Weiterentwicklung der Web-Boxen zu arbeiten.

Wann gelingt der Durchbruch? Martin Wilfing, Sprecher der Wiener Telekabel, ist zuversichtlich, daß es schon im Herbst 2000 so weit sein wird. So bastelt das zweitgrößte europäische Kabelunternehmen "United Pan-Europe Communications" (UPC), dem die Wiener Telekabel zu 100 Prozent gehört, gemeinsam mit Philips an Web-Boxen, die Internet, digitales Fernsehen und weitere Features wie Video-on-demand (Videos auf Bestellung) sowie Web-Telefonie ermöglichen sollen. Die Telekabel will ihren Kunden die Geräte möglichst billig verkaufen. Wilfing: "Denn die Massentauglichkeit hängt nicht nur von der Qualität, sondern auch vom Preis ab. Schließlich wird kaum jemand dafür 7.000 Schilling ausgeben, denn zu diesem Preis kann man sich fast einen kleinen PC kaufen."

Trotz der neuen Technik wird der Fernseher nicht den Computer ersetzen. Franz Manola, Leiter von ORF-Online, kann über die Vorstellung von einem Wunderding, in dem alle Medien zusammenlaufen, nur lachen. "Immer wieder ist von der Verschmelzung von Fernsehen, Computer und Telekommunikation zu einem neuen Universalmedium zu hören. Doch das Gegenteil tritt ein." Denn es werde ja, so Manola, auch keine Haushaltsmaschine gebaut, die alles erledigt: waschen, spülen, saugen und vielleicht auch noch den Rasen mähen. "Eine solche Supermaschine würde niemand brauchen. Denn wenn sie kaputt wird, ist man aufgeschmissen."

Web & TV verknüpfen Und so werde es auch im Multimedia-Bereich bei der klassischen Arbeitsteilung bleiben: Actionfilm im TV und Briefeschreiben am PC. "Jedes Gerät ist für andere Bedürfnisse ausgerichtet. Ein internettauglicher Fernseher eignet sich für das schnelle Verschicken von E-Mails während der Werbepause oder für das Abrufen von Zusatzinfos zu den Sendungen. Doch niemand wird vom Sofa aus stundenlang im Internet surfen. Und umgekehrt wird sich keiner einen zweistündigen Spielfilm im Büro vor dem Computer ansehen", ist Manola überzeugt. Der Trend gehe in die Richtung, immer mehr Medien mit Internetdiensten zu verknüpfen. So seien auch die neusten Handys mit Web-Terminals zum Empfang von E-Mails, Aktienkursen und anderen Infos ausgestattet. Manola: "Auch wenn sich die Medienplattformen kreuzen, heißt das noch lange nicht, daß es ein All-in-one-Gerät geben wird."

Parallel zu den Bestrebungen, die Flimmerkiste internettauglich zu machen, tüftelt die High-Tech-Industrie an einer weiteren Innovation: Filmschauen am Computer. Wer beispielsweise die jüngste ARD-Nachrichtensendung "Tagesschau" versäumt hat, kann sie im Internet kostenlos (www.tagesschau.de) ansehen. Voraussetzung dafür ist ein leistungsfähiger Computer mit Videokarte und die Software "Real Player", die man sich kostenlos aus dem Internet herunterladen kann (www.realplayer. com). Bereits Dutzende Fernsehstationen (CNN, BBC, n-tv) haben ihre Nachrichtensendungen ins Netz gestellt. Aber auch Aktionärsversammlungen, Pressekonferenzen oder andere Events aus Politik, Wirtschaft und Kultur sind via Real-Player am Datenhighway abrufbar.

Doch leider hat die Technik ihre Tücken. Die Ladezeiten der Videoclips am PC dauern viel zu lang. Das Bild ist unscharf und ruckelig, eingeblendete Texte oder Grafiken sind kaum zu lesen, auch der Ton ist von Hifi-Qualität weit entfernt. "Mehr ist derzeit bei herkömmlichen Telefonleitungen technisch nicht drin. Für eine schnellere Übertragungsrate braucht man einen ISDN-Anschluß. Und demnächst wird die ISDN-Nachfolgetechnik namens ADSL auf den Markt kommen", erklärt Roland Kissling, Marketing-Manager vom Internet-Provider magnet. Eine zehnmal schnellere Verbindung als ISDN bietet derzeit nur das TV-Kabelnetz. Seit einem Jahr können Kunden der Wiener Telekabel gegen eine monatliche Grundgebühr von 590 Schilling Daten aus dem Netz mit einer Geschwindigkeit von bis zu 2,000.000 Bit pro Sekunde übertragen. Ein Datenpaket von einem Megabyte Größe, das per Telefonleitung bisher zehn Minuten unterwegs war, braucht übers Kabel bloß eine Minute.

Der Autor ist freier Journalist in Wien.

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