Die dritte Revolution

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Die digitale Technik ist aus der - kleinen privaten wie der großen - Welt des dritten Jahrtausends nicht mehr wegzudenken. Das Dossier beleuchtet neben "Gedankensplittern" zum Thema vor allem Bereiche, wo die Digitalisierung zur Zeit besonders auf dem Vormarsch ist: Fernsehen soll hierzulande noch in diesem Jahrzehnt nur mehr digital übertragen werden, beim Film bahnen sich ebenfalls Revolutionen an. Weitere Beiträge: Auch das Buch wurde digital, nur beim Radio stockt die Entwicklung. Redaktionelle Gestaltung: Otto Friedrich, Matthias Greuling Von der "digitalen Autobiografie" über das Null-Eins-System bis zu Marshall McLuhans "Global village": Gedankensplitter rund ums Zauberwort "digital".

Es begann, wenn ich mich recht erinnere, in der dritten Klasse Gymnasium, als der technologische Vorreiter der Klasse - sprich: jener Kommilitone, dessen Eltern ihr Geld in die neueste Technik-Ausstattung des Sohnes zu investieren gewillt waren - uns Halbwüchsige ins digitale Zeitalter katapultierte: An jenem Tag prangte an des Mitschülers Hand erstmals ein Chronometer mit schwarzroter Scheibe, wo die Uhrzeit in Ziffern mittels roter Leuchtdioden dargestellt war - eine Digitaluhr also, wie das neue Gerät bald landläufig heißen sollte.

Dies war - anno 1973- meine erste Begegnung mit jenem Zauberwort, das fortan nicht nur Technik-Freaks, sondern den Alltag jedes Industriestaaten-Haushaltes durchdringen sollte. Besagter Kommilitone war nach Jahresfrist auch derjenige, der uns Staunenden den ersten Taschenrechner präsentierte. Nur wenige Jahre später war unsere Klasse die erste in der Schule, die Logarithmentafeln und Rechenschieber beiseite legen und bei Mathematik-Schularbeiten die erste Generation "wissenschaftlicher" Taschenrechner einsetzen durfte, um mit der Zahl Pi, Logarithmen, Wurzeln und Sinus & Co zu hantieren.

Auf der Universität gab es dann einen Großrechner, der von uns Studenten umständlich mittels dezimeterhoher Lochkarten-Stapel programmiert wurde; lang musste man sich beim Drucker anstellen, bis man - wegen eines Programmierfehlers - einen mit Unsinn bedruckten Packen Endlospapier zurückbekam, um dann von neuem, den Fehler auszumerzen versuchend, einen Stapel Lochkarten stanzte...

Dann brach das Zeitalter der Personal Computer an: Auch hier unversehens Vorreiter war ich der erste, der meinem Professor die Diplomarbeit auf einem 8086er geschrieben präsentierte - noch mauslos, aber via Microsoft Word 1.0 in Textform gebracht und auf einem 8-Nadel-Printer ausgedruckt. Der erste eigene PC war ein "286er", dass diesem später ein 486er, dann die Pentiums folgten, war dann nur mehr der Lauf der Geschichte.

Inzwischen aber waren längst nicht nur Uhren, Rechner, PCs "digital". Die CD und der dazugehörige Player verdrängten auch in den eigenen vier Wänden die Schallplatte, danach kam das Handy, dann das Internet, die DVDs, schließlich die Digitalkamera.

Ein Blick auf den Alltag - digital, wohin man schaut. Die Küchenwaage, der Thermostat, das Blutdruckmessgerät, der Bankomat, der Barcode, der Anrufbeantworter, der Wecker, der mich mit Kuh-Gebrüll und Englisch mit japanischem Akzent: "Wake up, don't sleep your life away!" aufscheucht.

Das manichäische System

Was aber ist digital? Der Ausdruck stammt vom englischen "digits" und meint "Ziffern" - es handelt sich um Rechner, die mit Ziffern bzw. diskreten Zahlen arbeiten - im Gegensatz von "analogen" Systemen, bei denen Zahlen durch physikalische oder geometrische Größen dargestellt werden.

Ein einfaches Schaltprinzip ist die Grundlage digitaler Systeme: Ein elektrischer Schalter etwa kann zwei Zustände einnehmen - er ist entweder geschlossen oder offen. Dementsprechend gibt es zwei Möglichkeiten - wie immer man diese bezeichnet: Ein oder Aus. Eins oder Null. In solcher Weise werden Zahlen, wird Information auf eine einfachste Ebene, auf ein binäres System gebracht. Informatiker mögen diese arge Simplifizierung verzeihen, aber die großartige Leistung der "Digitalisierung" ist diese Zerlegung bis auf diese einfache Zweiheit - und dann der Aufbau eines wieder komplexen Systems daraus. Ein geradezu "manichäisches" Unterfangen: Alles wird auf zwei Entscheidungen - Eins-Null, Ja-Nein, Schwarz-Weiß, Licht-Dunkel - zurückgeführt. Auch kontinuierliche Prozesse können bis in solch kleine (Entscheidungs-)Einheiten zerlegt werden. Alles, so würde ein Prophet des digitalen Zeitalters argumentieren, kann "digital" erfasst werden; der diesbezügliche Aufbau von Information(en) stößt dann an seine Grenze, wenn die Massen an (binären) Einzeldaten übermächtig werden - letztlich handle es sich nur um die Handhabbarkeit immer größerer Datenmengen, die von den Datenverarbeitungssystemen bewältigt werden müssen.

Keine Frage, diese Fertigkeit ist enorm ausgebaut worden, die mathematische Vorsilbe für die Größe der Datenmengen ist nach Kilo, und Mega mittlerweile bei "Giga" angelangt - und kein Ende in Sicht. Die Möglichkeiten der "Digitalisierung", der Ausbreitung digitaler Technologien, erreichen unvorstellbare Dimensionen. Nach der physikalischen (Quantenmechanik, Kernspaltung) und der mikrobiologischen (Gentechnik) ist die digitale Revolution das dritte technologische Großprojekt, das den Übergang zwischen zweitem und drittem Jahrtausend kennzeichnet.

Wirbelnd wohin ziellos

Wie alle Revolutionen hinterlässt auch die digitale zwiespältige Diagnosen. Denn die Vervielfachung der Datenmengen geht mit der enormen Vergrößerung der Information, mit der die Menschen auch fertig werden müssen, einher. Im Bereich des Internets - nur ein Beispiel unter vielen - ist das besonders augenfällig: Die Daten, die Informationen nehmen so überhand, dass sie unbewältigbar scheinen.

Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan (1911-80), von dem auch der Begriff "Global village" stammt, hat viele Dimensionen dieser Entwicklung vorausgesehen; er hat aber auch die je eigene Verantwortung des Einzelnen angemahnt: "Was immer von den Werten des mechanischen Zeitalters übrig geblieben ist, es könnte von einem Informations-Overload verschluckt werden. Ein Determinismus der Medien, also der Zwang, der von neuen kulturellen Formen von Grund durch die Wirkung neuer Technologien ausgeht, existiert nur dann, wenn die Benutzer schön angepasst sind, mit anderen Worten vor sich hinschnarchen. James Joyce fand für den Wirbelstrom der Nebenwirkungen folgende Worte: willed without witting, whorled without aimed' (willig wenig wissend, wirbelnd wohin ziellos'). Es gibt keine Ausweglosigkeit, solange man bereit ist, aufmerksam zu bleiben." (Aus: "Das resonierende Intervall", zitiert lt. "absolute Marshall McLuhan", orange-press, Freiburg 2002).

Auch das "Global village" spielt in diese Frage direkt hinein: Die Digitalisierung hat die Welt tatsächlich in ein Dorf verwandelt. Aber die ganze Welt kann dennoch nicht an den digitalen Segnungen teilhaben. Der Nord-Süd-Konflikt macht auch hier aus der theoretischen Gleichheit eine faktische Ungleichheit. Die Erste und die Dritten Welt trennt ein "Digital gap".

Und nicht alles Digitale kommt ohne Wenn und Aber. Obige, in der "digitalen Autobiografie" geschilderte Digitaluhr als erster Bote des neuen Zeitalters hat sich nur teilweise durchgesetzt, denn auch der Zeitgenosse im dritten Jahrtausend mag das aus der Analog-Zeit stammende althergebrachte Ziffernblatt nicht missen: Selbst wenn die Zeitmessung heute fast ausschließlich digital erfolgt - der Schein der guten alten Zeit will gewahrt bleiben.

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