Die neue Art des Fernsehens

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Internet-Serien lassen das Fernsehen alt aussehen: Die Zukunft der Unterhaltung spielt sich im Web ab. Vor allem die Werbewirtschaft reibt sich hocherfreut die Hände, denn hier lauert großes Potenzial für die Vermarktung von Produkten.

Sie heißen Bulbul, Nicola, Yaa, Sheriff, Kasia, Schurli, Daria und Omid, und sie alle sind Wiener. „Neue Wiener“ nämlich. Migranten-Kids, die sich selbst spielen und so ein öffentliches Ventil für ihre Befindlichkeiten schaffen. Ab September soll die österreichische Web-TV-Serie „Neue Wiener“ online gehen. Hinter dem (vom Wiener Filmfonds geförderten) Projekt steht Arman T. Riahi, der Bruder von Regisseur Arash T. Riahi („Exile Family Movie“). Die heimische Filmszene betritt damit Neuland, doch international ist das Genre der Web-Serie längst ein Hit.

Fernsehen war gestern, und Kino ist sowieso passé. Eine von den Buchhandelsverbänden in Deutschland, Österreich und der Schweiz in Auftrag gegebene Studie bestätigt nun: Das Internet ist jenes Medium, auf das die Menschen am wenigsten verzichten wollen. Fernsehen und Bücher rangieren weit dahinter. Die Zukunft der Unterhaltung – sie findet also im Internet statt. Die trendigen „Webisodes“ könnten in dieser Entwicklung vor allem fürs Fernsehen zur scharfen Konkurrenz werden: Kurze, extra fürs Web produzierte Serien, die gratis angesehen werden können, vor allem junge User ansprechen sollen und sich dementsprechend auch vorwiegend in Teenager-Welten abspielen.

Allerweltsprobleme

Der Trend kommt aus den USA, wo sich Internet-Serien wie „Dorm Life“ oder „Quarterlife“ in den Lebenswelten von jungen Menschen bewegen und Millionen Zuschauer erreichen. Im Fall von „Dorm Life“ taten sich sieben Abgänger der Universität UCLA zusammen und verfilmten in wöchentlichen, zwischen fünf und 14 Minuten langen Episoden das bunte, chaotische College-Leben. Unbekannte Schauspieler spielen fiktive Alltagsszenarien, zusätzlich hat jede der Figuren einen Videoblog, in dem er mehr oder weniger interessante Geständnisse über sich und andere ablegt. Bei „Quarterlife“, jener Serie, die für sich reklamiert, den Webserien-Boom ausgelöst zu haben, sind es Mittzwanziger aus Chicago, die versuchen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Hübsche Menschen mit Allerweltsproblemen zwischen Jobsuche und Liebeschaos.

Die Fakten sprechen für das Genre: Eine aktuelle Studie zeigt, dass die 150 Millionen US-Internet-Nutzer monatlich 14,5 Milliarden Videos anschauen. Die Veränderung liegt im Detail: Früher waren Clips mit einer Länge von mehr als 90 Sekunden nicht gefragt, mittlerweile liegt die Durchschnittslänge eines geklickten Videos schon bei 3,4 Minuten. Die Website blip.tv, die Webserien-Content anbietet, bestätigt die Entwicklung: Noch 2008 waren die meisten Serien-Episoden auf der Seite kürzer als fünf Minuten, heute liegt der Durchschnitt bei elf Minuten. Viele Filmfirmen produzieren heute lieber zehn- bis 20-minütige Internet-Shows, anstatt sich von Fernsehanstalten abhängig zu machen. Soaps und Filme am PC, das ist der neue Hit. Aber statt kreativer und künstlerischer Anarchie zählt auch hier das Grundgesetz des Marktes: Nur was viele Klicks erreicht, bleibt am Leben. Die Werbewirtschaft hat das Potenzial der Webisodes längst erkannt: Häufig sind es sogar die großen Konzerne, die Web-Serien finanzieren, um darin ihre Werbebotschaften unterzubringen. Im Web gilt nämlich, anders als im Fernsehen: Das Product Placement kann gar nicht auffällig genug sein. Und so fährt die Heldin der aufwändig gedrehten US-Webserie „Puppy Love“ mit einem nagelneuen Lexus durch alle Folgen. Der Autohersteller ist der Sponsor der Serie und postet die Folgen auf seiner Seite lstudio.com. Auch in Deutschland ist man längst auf den Zug aufgesprungen: Ford sponsert die Webserie „Candygirls“, in der drei junge It-Girls in einem Ford von einer Party zur nächsten rauschen und Sätze wie „Die Goldene Kreditkarte ist das beste Antidepressivum“ absondern. Die Message ans junge Publikum: konsumieren, konsumieren, konsumieren, dann kommt der Spaß von alleine. Auch die Deutsche Telekom ist schon ins Webserien-Business eingestiegen und hat das Portal 3min.de gelauncht. Dort sieht man Serienfolgen mit Titeln wie „Süper Tiger Show“ oder „Making of Süße Stuten 7“. Bevor die Videos beginnen, muss sich der User zwingend einen Werbespot ansehen. Der Medienkonzern Axel Springer ist ebenfalls aktiv: Seit Anfang 2009 läuft auf bild.de die Webserie „Deer Lucy“, in der sich alles um die hippe 20-jährige Lucy dreht, die Berlin mit ihrer Musik erobern will. Eine seichte Seifenoper, mit dem Otto-Versand als Sponsoring-Partner: Das T-Shirt, das Lucy im Film trägt, die Ohrringe oder der Schal – all das taucht zeitgleich neben dem Videofenster in einer Otto-Werbung auf und kann via Klick sofort bestellt werden. Totaler Kommerzdruck für eine Jugend, die ihre kritische Haltung zugunsten ihrer Multitaskingfähigkeit längst aufgegeben hat. Und: Eine Vermarktungsform, die das monodirektionale Fernsehen so niemals leisten könnte.

Anarcho-Werbefernsehen

Für die kommende österreichische Webserie „Neue Wiener“ ist – schon allein wegen der öffentlichen Förderung – wohl keine derartige Verkaufsstrategie zu erwarten. Gut möglich, dass sie sich in die bislang noch kleine Gruppe jener Serien einreihen wird, die nicht aus kommerziellen Gründen online gehen: Wie etwa die „erste politische Webisode der Welt“, die aus Berlin stammt: Die „Prenzlbasher“ setzen sich gegen „die neue Spießigkeit im Prenzlauer Berg“ zur Wehr und veranstalten Anarcho-Webfernsehen, frei von politischer Korrektheit. In der jüngsten Folge verkünden sie die Namensänderung ihrer Serie in „Prenzl-Banger“, verbunden mit der Eröffnung, fortan Pornofilme drehen zu wollen. Ein Sponsor wird sich für dieses Vorhaben wohl nicht finden. Doch so bleiben wenigstens einige Teile des Internet auch künftig werbefrei.

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