TikTok Handy Jugendliche - © Foto: iStock/urbazon

Ukraine: Der erste Tiktok-Krieg

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Der Krieg opfert die Wahrheit, heißt es – aber Politik und Medien sind es, die sie verdrehen. Wie der Ukraine-Konflikt aus einer Jugendapp eine Kriegspostille macht.

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Der Krieg opfert die Wahrheit, heißt es – aber Politik und Medien sind es, die sie verdrehen. Wie der Ukraine-Konflikt aus einer Jugendapp eine Kriegspostille macht.

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Der Ukraine-Krieg war noch keine paar Stunden alt, da tauchten schon die ersten verwackelten Handy-Videos auf Tiktok auf. Der populäre Social-Media-Dienst ist mittlerweile voll von verstörenden, kuriosen und teils auch berührenden Kriegsmomenten – und eine der wichtigsten Quellen für traditionelle Medien wie Print und Fernsehen. Man sieht Frauen, die sich aus Solidarität mit der Ukraine die Haare gelb und blau färben.

Ukrainische Bürger, die sich mutig vor russische Panzer stellen und Lieder singen. Und Jagdflugzeuge, die Wohnhäuser unter Beschuss nehmen. Vieles von dem lässt sich nicht verifizieren, in die Bilderflut mischen sich Propaganda und Fakes. Wie zum Beispiel das ein Jahr alte Video, in dem eine Automechanikerin erklärt, wie man einen russischen Panzer fährt. Nachdem das russische Parlament ein neues Mediengesetz beschlossen hat, das Haftstrafen und Geldbußen für die Verbreitung von angeblichen Falschinformationen über die Armee vorsieht, hat Tiktok grundlegende Funktionen wie Livestreams oder den Upload neuer Videos in seiner App in Russland eingeschränkt. Zuvor hatte die Videoplattform – wie auch der Facebook-Konzern Meta – russische Staatsmedien in Europa blockiert. Geoblocking hier, (Netz-)Zensur dort – der Krieg wird nicht nur auf den Schlachtfeldern der Ukraine ausgetragen, sondern auch im Netz.

Design kriegerisch?

Gewiss, es ist nicht der erste „Social Media-Krieg“. Twitter und Facebook spielten beim 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg in Syrien eine entscheidende Rolle; Berichte über den Einsatz von Giftgas wurden zuerst in sozialen Medien verbreitet. Doch die zusammengeschnittenen, mit Musik und Emojis unterlegten Tiktok-Clips sind von ganz anderer Qualität und Machart als die ungefilterten Facebook-Livestreams. Sie sind lärmiger, emotionaler, subjektiver – und haben in ihrer cinematographisch anmutenden Dramaturgie fast schon den Charakter eines Mini-Blockbusters. Die Kommentatoren sprechen bereits vom „ersten Tiktok-Krieg“; das Technik-Magazin „Wired“ schrieb, dass Tiktok mit seiner algorithmischen Mechanik „für den Krieg designt“ worden sei. Jeder Krieg hat sein Medium. Der amerikanische Bürgerkrieg gebar die Kriegsfotografie. Im Zweiten Weltkrieg schlug die Stunde des Radios und Kinos. Und der Vietnam-Krieg gilt als erster Fernsehkrieg der Geschichte.

Anders als im Korea-Krieg, wo eine strikte Zensur galt, konnten die Reporter relativ frei von der Front berichten und den Schrecken live in die Wohnzimmer der Amerikaner senden. Der Medientheoretiker Marshall McLuhan hat das Fernsehen mal als „kaltes Medium“ bezeichnet. Im Gegensatz zu „heißen Medien“ wie Film oder Zeitung vermitteln kalte Medien wenig Informationen – und verlangen daher ein höheres Engagement beim Zuschauer. Die Auflösung beim Fernsehapparat ist geringer, beim Telefon fehlt jegliches Bild. Der Empfänger ergänzt daher die fehlenden Informationen.

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