6709842-1964_15_14.jpg
Digital In Arbeit

POLITIK IST BELIEBT!

Werbung
Werbung
Werbung

Man erinnert sich noch an den berühmten Zeitungsstreik in New York. Zwei Monate hindurch war der Betrieb in den Druckereien lahmgelegt. Kein Buchstabe wurde gedruckt. Die Schriftsetzerverbände forderten Lohnerhöhungen und führten deswegen mit den Zeitungskonzernen einen erbitterten Kampf. — Wer aber dem Streik amüsiert oder gleichgültig zusah, wer weder der einen noch der anderen Partei zu Hilfe kam, war der Käufer, war die breite Masse der Zeitungsleser. Sie kümmerten sich nicht darum.

Viele New Yorker kamen damals zu der Einsicht, daß „Zeitungen überhaupt überflüssig seien“, daß man sich über das Weltgeschehen besser und billiger durch die Television informieren könne. Tatsächlich haben die amerikanischen Zeitungen seit dem Aufkommen des Fernsehens an Niveau und Bedeutung außerordentlich verloren. Mit wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel der „New York Times“, dem „Wall Street Journal“, dem „Christian Science Monitor“ und anderen international bekannten Blättern haben sich die Zeitungen dem Boulevardjournalismus verschrieben. Sie begnügen sich fast ausschließlich damit, Gesellschaftsklatsch, „Comicstrips“ und Berichte über Unglücksfälle und Verbrechen zu drucken. — Heute will nämlich die amerikanische Öffentlichkeit nicht mehr lesen, was in der Welt geschieht, sie will es sehen.

Keine Kriminalserie, kein Komiker, keine Rätselsendung, kein Held und kein Bösewicht des Fernsehens hat das Publikum je so vor den Bildschirm gebannt wie das politische Geschehen. Die Wahlkampagne im Jahr 1960, die Kubakrise, die Sitzungen in den Vereinten Nationen, die Pressekonferenzen Präsident Kennedys usw. waren die größten Televisionserfolge der vergangenen Jahre. Die Wirklichkeit ist fast immer faszinierender als jede noch so gut erfundene Geschichte. Vor dem Fernsehapparat gerät der Zuschauer scheinbar in einen unmittelbaren Kontakt mit den politischen Ereignissen. — Scheinbar schiebt sich nichts mehr zwischen ihn und das Weltgeschehen. Vor seinen Augen werden die Debatten ausgetragen, werden Entscheidungen gefällt, wird die Weltgeschichte geschmiedet.

Je greifbarer, je lebendiger das politische Drama, das menschliche Drama von der Kamera eingefangen werden kann, desto mehr ist das Publikum gebannt und gefesselt. — Wenn ein Wahlkandidat im Scheinwerferlicht vor Aufregung zittert, die Hände nicht mehr ruhig halten kann, wenn das Blut in seinen Schläfen pocht, eine Träne im Augenwinkel glitzert, wenn vor Nervosität seine Kinnmuskeln zucken, dann ist die höchste Wirkung erzielt. Die Emotion überträgt sich auf die Zuschauer. Die Nerven sind zum Zerreißeri gespannt^Die,,Identifikation .zwischen Red- “ ner und Zuhörer wird vollkommen. Kein genialer Schauspieler vermag sein Publikum so mitzureißen wie die Akteure auf der Bühne der politischen Wirklichkeit. Das Leben ist zum Schauspiel geworden. — Die politischen Drahtzieher in den USA sind sich dieser Tatsache wohl bewußt. Sie scheuen weder Kosten noch Mühe, um ihre Kandidaten ins „richtige Licht“ zu rücken. Ganze Stäbe von Technikern werden aufgeboten, damit die gewünschte Wirkung erzielt werden kann.

Schon vor zehn Jahren erklärte Richard Nixon, daß den entscheidenden Faktor für den Erfolg einer politischen Kampagne nicht das Parteiprogramm, sondern die Persönlichkeit des Kandidaten darstellt.

1960 wurde die „Convention“ der Demokratischen Partei von den Fernsehsendern ausgestrahlt. Mehr als 120 Techniker wurden dazu aufgeboten, 26 Kameras wurden eingesetzt und 37.000 Kilogramm an technischem Material aufgewandt. Die Republikaner überboten diesen Aufwand noch. Für ihre „Show“ wurden 150 Techniker beansprucht, 32 Kameras und 45.000 Kilogramm an technischem Material mußten herbeigeführt werden; ganz zu schweigen von den Regisseuren, Autoren und Produzenten, die mithalfen, das politische Drama zu gestalten. Denn der Stoff dazu war ja gegeben, er mußte nur „geformt“ werden.

Manchmal wird die Television ganz in den Dienst der politischen Propaganda gestellt. An Stelle eines wirtschaftlichen „Commercials“ (Reklamesendung) wird ein politisches gesendet. Vor einiger Zeit kauften die Republikaner 15 Minuten Programm, um am Bildschirm das friedliche und sorgenfreie Leben einer amerikanischen Durchschnittsfamilie während der republikanischen Regierungsperiode zu schildern: Die besagte Familie lebte glücklich in einem durchschnittlichen amerikanischen Haus, das aber, wohlgemerkt, mit dem modernsten Komfort ausgestattet war. Aus dem Radio im Hintergrund ertönte leise eine schmachtende Musik und am Schluß der Sendung sah man den Präsidenten und seine Frau zusammen vor dem Sternenbanner die Nationalhymne singen. Nichts hatte 'rührseliger sein können.

Es gehört wohl zu den vornehmsten Aufgaben des Fernsehens, die Bürger einer freien Nation über Ereignisse von innen- oder außenpolitischer Bedeutung zu informieren. Oft aber wird diese Aufgabe nicht ernst genug genommen, denn vor dem Bildschirm sitzt meist nicht ein verantwortungsbewußter Bürger, sondern ein sensationslüsterner Zuschauer. Er will unterhalten, nicht belehrt werden. — Die gefilmte Wirklichkeit ist aufregender, packender, fesselnder als Kriminal- oder Cowboygeschichten. Sie bietet eine exquisitere Form von Unterhaltung, von „Thrill“. — Es ist angenehm, im bequemen Lehnstuhl zu erschauern, wenn in dem magischen kleinen Kasten Bilder über die ungeheure Armut Asiens auftauchen oder wenn Einheiten der amerikanischen Flotte in Key West (Florida) Richtung Kuba auslaufen.

Dies alles scheint nah und wirklich genug zu sein. Es ist aber nur so nah, wie es der Zuschauer erlaubt, denn durch eine Drehung am Knopf des Televisionsapparates können die Geschehnisse wieder ausgelöscht werden. — So bleibt die Beschäftigung mit der Politik letzten Endes doch nur Spiel, das die amerikanische Öffentlichkeit zwar aufzuwühlen vermag, über das sie aber nicht ernsthaft nachdenken will.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung