IlluS4 - © Illustration: Rainer Messerklinger (unter Vewendung eines Bildes von iStock/titoOnz

Wie uns Spin-Diktatoren manipulieren

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Sie eifern – zunächst – nicht Hitler, Stalin oder Mao nach, sondern kommen auf den leiseren Pfoten ihrer Lügengespinste daher. Und sie leben von Desinformation, auch via seriöse Medien.

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Sie eifern – zunächst – nicht Hitler, Stalin oder Mao nach, sondern kommen auf den leiseren Pfoten ihrer Lügengespinste daher. Und sie leben von Desinformation, auch via seriöse Medien.

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Wladimir Putin liefert tagtäglich neue Beweise, wie sich mit dreisten Lügen Einfluss gewinnen lässt – nicht nur im eigenen Land, wo sein Regime inzwischen alle relevanten Nachrichtenkanäle kontrolliert und zensiert, sondern auch im Rest der Welt. Insofern ist der Zeitpunkt für diese Buchpublikation perfekt: Mit „Spin Dictators“ spüren der russische Ökonom Sergej Gurijew, der an der Science Po in Paris lehrt, und sein Kollege Daniel Treisman, der an der University of California in Los Angeles als Politologe tätig ist, einem neuen, geschmeidigen Typ des autoritären Herrschers nach.

Sein Ziel bleibe zwar das gleiche: politische Macht zu monopolisieren. Aber der neue Machthaber, eben der Spin-­Diktator, realisiere, dass „Gewalt nicht immer nötig oder hilfreich“ sei, um die eigene Position abzusichern. Statt die Landsleute zu terrorisieren, ließen sich diese auch kon­trollieren, indem man fernsteuere, was diese „über die Welt zu wissen glauben“. Mit Lug und Trug lassen sich Mitläufer gewinnen, ja sogar glühende Zustimmung erzeugen. Statt harscher Repression manipuliert der Spin-Diktator seine Mitmenschen, indem er Information manipuliert.

Die Autoren spüren Lügengespinsten nach, die solche autoritären Herrscher um des eigenen Machterhalts willen in Umlauf bringen. Damit das gelingt, beschäftigen diese Heerscharen von sogenannten Spin-Doktoren, die auf allen verfügbaren Kanälen im Dienste ihrer Herren Propaganda verbreiten. Dabei sind auch Heerscharen von „Robotern“ im Einsatz, also Social Bots, die in den sozialen Netzwerken die jeweiligen Botschaften verviel-fältigen. Westliche Länder, die Presse- und Meinungsfreiheit hochhalten, sind hier verwundbar.

Pressefreiheit weltweit zurückgedrängt

Die Spin-Diktatoren weiten jedenfalls ihre Einflusssphären seit Jahren erfolgreich aus und drängen damit auch weltweit die Pressefreiheit zurück – immerhin Jahr für Jahr registriert von „Reporter ohne Grenzen“ oder „Human Freedom Index“, der zuletzt konstatierte, dass 83 Prozent der Weltbevölkerung in Staaten leben, in denen seit 2008 persönliche Freiheit schrumpft, während nur 17 Prozent in Ländern beheimatet sind, wo die Freiheit zugenommen hat.

Andererseits ist es eigentlich zu spät, wenn die Medien Diktatoren, um die es in der Neuerscheinung geht, erst dann hinreichend Aufmerksamkeit zollen, wenn diese mit aller Brutalität Nachbarländer überfallen und – diesmal zumindest, in der Ukraine – den Rest der Welt an den Rand eines dritten Weltkriegs führen. Dass die westlichen Medien Jahre zuvor Putins bestialische Kriegsführung in Tschetschenien, in Georgien und in Syrien eher marginalisierten, rächt sich derzeit bitter.

Die Leitmedien erwecken ja nicht nur hierzulande gerne den Eindruck, Desinformation sei vor allem ein Problem der Boulevardpresse und der sozialen Medien, während sie selbst „alles im Griff“ hätten. Das stimmt seit Jahren nicht mehr, weil es an Auslandskorrespondenten und in schrumpfenden Redaktionen auch zunehmend an Domänenkompetenz fehlt.

Dass somit Halbwahrheiten und Fake News inzwischen wohl eher öfter als vor zwanzig oder dreißig Jahren unfreiwillig auch von seriösen Medien verbreitet werden, um diese beängstigende Einsicht rankt sich das Buch ebenso wie ein neuer Forschungsbericht des amerikanischen PEN-Clubs, der auf der Befragung von 1000 Journalisten beruht. Er bestätigt einmal mehr, dass zwar mehr als vier Fünftel der Befragten (81 Prozent) inzwischen Desinformation für ein „sehr ernstes Problem“ halten. Aber 99 Prozent von ihnen vertrauen weiterhin ihrer Fähigkeit, diese erkennen zu können. Vielleicht ist das ja doch ein Fall von Selbstüberschätzung?

Gurijew und Treisman legen dies jedenfalls nahe. Sie fokussieren ihr Buch auf all jene Autokraten, die nicht als „Angstdiktatoren“ direkt Hitler, Stalin und Mao nacheifern, sondern mit einer „Light“-Version der kommunikativen und sozialen Kontrolle ihre Herrschaft festigen und damit auch in freien Gesellschaften punkten, in denen die Pressefreiheit leidlich funktioniert.

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