Das Grauen der Bilder

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Die "Folter"-Bilder amerikanischer und britischer Soldaten im Irak schockieren die eigene und die globale Öffentlichkeit.

In der auch im ORF laufenden Krimi-Serie "24" ließ vor einigen Folgen der amerikanische Präsident seinen Geheimdienstchef wegen vermuteter Verschwörung festsetzen. Ganz selbstverständlich wurde der Beschuldigte mit den "üblichen" Methoden behandelt, das heißt: mittels Stromschlägen gefoltert - so lange, bis er das preisgab, was der Präsident wissen wollte.

Nun sind die US-Drehbuchschreiber von den Fakten eingeholt (oder schreiben amerikanische Politserien-Autoren ohnehin nur das, was sie für möglich halten oder wovon sie selbst schon wissen?): Die TV-Fiktion ist Wirklichkeit geworden - und US-Militär wie -Geheimdiensten wird in vielen Weltgegenden alles, ja wirklich alles zugetraut.

Auch wenn es Tage dauerte, bis es in der von der Irak-Propaganda paralysierten US-Medienlandschaft wirklich brodelte: Die "Folter"-Bilder aus dem Irak sind der erwartete Schock für die eigene und die globale Öffentlichkeit.

Keine Frage - die Bilder durch US-Soldaten gedemütigter irakischer Gefangener werden weiter politische und moralische Verheerungen anrichten: Bilder verändern die Welt(geschichte). Diese Erkenntnis ist nicht neu, und es dürfte kaum jemanden wundern, sollten die Schandbilder einen Wendepunkt im Irak-Nachkrieg bedeuten - eine Wende noch mehr in Richtung US-Desaster.

Man erinnert sich, was Fotos im Vietnamkrieg auslösten - etwa das Bild vom südvietnamesischen Polizeichef, der einen angeblichen Vietcong-Kämpfer vor der Kamera exekutiert, oder die Kinder, die aus einem mit US-Napalm angegriffenen Dorf vor Schmerz schreiend weglaufen: das verhasste südvietnamesische Regime wurde so noch ein wenig verhasster, in den und über die USA gab es noch ein wenig mehr moralische Entrüstung - wie das alles endete, ist bekannt. Gut möglich, dass diesmal die Mechanismen ähnlich greifen.

In der globalen Mediengesellschaft wird mit Bildern Politik gemacht - und Bilder erzählen nicht immer die Wirklichkeit: Die US-Administration scheint sich der "Gefahr" der Bilder ja bewusst zu sein - es wurden (und werden) unangenehme Irak-Fotos von der Öffentlichkeit tunlichst fern gehalten. Erst vor wenigen Tagen gelangten unterdrückte Aufnahmen von der Rückkehr der Särge US-amerikanischer Soldaten aus dem Irak via Internet an die Öffentlichkeit. Gott sei Dank ist die Zensur - um nichts anderes handelt es sich hier - à la longue doch nicht mächtig genug.

Dennoch ist im Bewusstsein zu halten, dass Bilder zwar etwas abbilden, aber: Was weiß der Betrachter dann tatsächlich? Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag hat vor einigen Monaten in ihrem Essay über die Kriegsfotografie auf diese Desinformation, die einzelne Bilder verbreiten können, hingewiesen: Was weiß man über den Kontext, die Geschichte der Bilder? Zeigen sie das, was sie zeigen? Oder sehen die Betrachter darin bloß das, was sie sehen wollen?

Dass derartige Überlegungen keine Hirngespinste sind, zeigt die absurde Diskussion über die jetzt aufgetauchten "Folter"-Fotos aus dem Irak, die im Dunstkreis der britischen Armee aufgetaucht sind: In Großbritannien spekulieren auch die Qualitätsmedien darüber, ob diese Bilder echt sind, oder ob sie von Ihrer Majestät Geheimdiensten stammen - wobei da noch zu klären wäre, was ein Geheimdienst davon hat, wenn er derartige Falschfotos in Umlauf setzt.

Die Bilder aus dem Irak sind schockierend - und sollen schockieren. Aber ohne ihre Geschichte führen sie zu einer verzerrten Wahrheit. Wer sind diese "Folterer"? Was ist die Geschichte der "Misshandelten"? Was zeigen die Bilder eigentlich? Kurz gesagt: Die Bilder reichen nicht aus.

Nach der Veröffentlichung der Bilder beginnt die journalistische Herausforderung erst recht - nämlich ihre Geschichte aufzuspüren und sie via Medien der Welt zu erzählen. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel etwa geht in seiner jüngsten Ausgabe in diesem Sinn den Bildern nach: Heraus kommt dabei der beklemmende Bericht von der "Privatisierung" des Krieges im Irak und darüber, wie eine Mischung aus Imperialismus und Wildwest sich breitmacht - bar aller hehren Ziele.

Warum das alles nicht vor der Veröffentlichung der "Folter"-Fotos erschienen ist? Vielleicht waren die Bilder auch notwendig, damit diese Geschichte endlich erzählt wird.

otto.friedrich@furche.at

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