Das Leiden in der Fotogalerie

Werbung
Werbung
Werbung

In Wien werden die spektakulären Fotos des "World Press Photo 08"-Wettbewerbs gezeigt: Die darin gezeigte "Ästhetik des Leides" bleibt problematisch.

Quälende Fotos von Leiden anderer Menschen in einer Kunstgalerie zu betrachten, scheint deplatziert." Auf diesen Punkt hat es die US-amerikanische Kulturkritikerin Susan Sontag 2003 in ihrem Essay "Das Leiden anderer betrachten" gebracht: Das ist eine der Problematiken von fotografischer Wiedergabe schrecklicher Ereignisse. Alle Jahre wieder kann man sich diesem Vorwurf aufs Neue aussetzen: Die Wiener Fotogalerie WestLicht stellt die Preisträgerfotos von "World Press Photo 08" aus, die Gewinner des weltweit renommiertesten Wettbewerbs für Pressefotografie.

Die Fotos sind als (Kunst-) Werke in sich beeindruckend - und es ist nicht zu leugnen, dass ihnen auch eine gesellschaftspolitische Botschaft implizit innewohnt: Die Fotoserie der Amerikanerin Erika Larsen etwa, die unter den Preisträgern der Kategorie "Sports Feature" firmiert, zeigt Kinder, die in manchen US-Gegenden in Begleitung Erwachsener auf die Jagd gehen dürfen: Achtjährige und Jüngere mit Gewehr in der Hand und im Tarnanzug, die Fasane oder Hasen erlegen - dazu der lapidare Kommentar, die Freigabe der Jagd für Kinder sei propagiert worden, um den Kids eine "alternative Freizeitbeschäftigung zu Computerspielen" bieten zu können.

Die Krisenherde der Welt

Am spektakulärsten bleiben aber die Bilder aus den Krisenregionen der Welt: Ein US-amerikanischer Soldat lehnt sich erschöpft in einem Unterstand in Afghanistan zurück. Dieses Bild des britischen Fotografen Tim Hetherington wurde zum "World Press Photo 2007" gekürt und gibt mehr als Worte wieder, was für eine Art Leben dieses Soldatsein darstellt. Hetherington war übrigens ein sogenannter "embedded journalist", also ein Reporter, der von der US-Army betreut wurde: Das Bild zeigt, wie auch im problematischen "eingebetteten Journalismus" Bilder entstehen, die für keinerlei Propaganda "geeignet" sind.

Geradezu welthistorische Beklemmung rufen die Bilder des US-Fotojournalisten John Moore hervor, der den Anschlag auf Benazir Bhutto in Pakistan in die Kamera bannte: Das Bild der Wahlkämpfenden Sekunden vor dem Attentat, dem sie zum Opfer fiel, und das explodierende Auto selbst - mit den dieses umgebenden Menschen nur schemenhaft erkennbar.

Dann die "Idylle" des Ungarn Balazs Gardi, wiederum aus Afghanistan. Doch diese Idylle trügt: Männer eines Dorfes müssen in angemessener Entfernung stehen und zuschauen, wie US-Soldaten ihr Dorf nach Mudschaheddin durchsuchen (Bild ganz oben). Oder eine Fratze der Weltgeschichte: Ein wütender, fuchtelnder Kenianer bei Protesten gegen Präsident Mwai Kibaki (kleines Bild links). Das Antlitz eines Wütenden - zweifelsohne wirklich aufgenommen und doch entstellend: Menschengesichter abzubilden gehört zu den problematischsten Facetten nicht nur der Kriegsfotografie. Das Gesicht dieses Demonstranten in der Galerie betrachten, einen Augenblick seines Lebens, für eine Ewigkeit gebannt auf ein Foto und in die Welt gestellt. Die Bilder der (angeblich) jubelnden Massen in Nahost ob der Anschläge von 9/11 kommen in Erinnerung und die Berichte, dass viele dieser Bilder "gestellt" gewesen wären …

"Stillleben" des Krieges

Zum Schluss ein "Stillleben" des Krieges: Das Bild des US-Fotografen Stanley Greene zeigt eine Skizze, die ein Flüchtling im Tschad in den Sand gezeichnet hat: So war sein Dorf im benachbarten Darfur zerstört worden. Auch diese Darstellung sagt mehr als Worte - und ist dennoch wie die anderen Bilder bloß eine Momentaufnahme: Der Betrachter weiß nichts oder nicht viel über die Umstände, unter denen es entstanden ist, er kann nicht beurteilen, ob das, was es zeigt, auch das ist, was tatsächlich geschehen ist.

Vieschichtig sind die Konsequenzen, die das fotografierte Leid bei den Betrachtern auslöst, hat Susan Sontag im oben angeführten Essay gemeint. Eine ausführliche Reflexion darüber sei notwendig. Auch für die letztjährigen preisgekrönten Pressebilder gilt das nicht minder.

Bis 28.9. - INFOS: www.westlicht.at

Katalog: WORLD PRESS PHOTO 08 Edition Braus, Heidelberg 2008 162 Seiten, zahlr. Farb-Abb., kt. € 24,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung