Kampf der West-Kulturen

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Abu Ghraib, Guantánamo, Folter gegen Terror, "24": Gräben zwischen West und West.

Hans Ulrich Joerges, stellvertretender Chefredakteur des Stern, brachte letzten Sonntag beim ARD-Talk "Sabine Christiansen" ein entscheidendes Argument: "Wir reden von einem Kampf der Kulturen. Ich warne sehr davor diesen nur einseitig zu führen." Denn in den derzeitigen globalen Auseinandersetzungen geht es beileibe nicht nur um islamistische Angriffe und Bedrohungen: "Ich hafte sehr gerne für die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, für die Freiheit von Karikaturen und Kunst. Aber", so Joerges weiter, "ich möchte nicht für Dinge haften, die nicht zu unserer Kultur gehören, die aber im Westen passieren: dass Menschen für vogelfrei erklärt werden in Guantánamo, dass sie keine Rechte haben. Ich hafte nicht dafür, dass gefoltert wird." Der Stern-Obere will dies "genauso auf die Tagesordnung des Kampfs der Kulturen" gesetzt haben.

Abu Ghraib, Guantánamo

Die neuen Folterbilder aus dem berüchtigten Abu-Ghraib-Gefängnis bei Bagdad, obwohl es sich bei ihnen bloß um widerliche Variationen der altbekannten Vorkommnisse handelt, schicken sich an, die unsäglichen Auseinandersetzungen um die dänischen Mohammed-Karikaturen zu toppen. Und der - unter anderem vom österreichischen Experten Manfred Nowak mitverfasste - UN-Bericht über die jahrelange Internierung von Terror-Bezichtigten auf dem US-Stützpunkt Guantánamo ohne rechtsstaatliches Verfahren tut erneut eine - auch kulturelle - Kluft quer durch den Westen auf.

Dieser "westliche" Kampf der Kulturen findet mit ungleich subtileren Mitteln statt wie die gewalttätigen antiwestlichen Vorkommnisse in der islamischen Welt. Doch von gegenseitigem Verstehen ist man in dieser Auseinandersetzung gleichermaßen weit entfernt. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfelds ebenso schlichter wie rabiater Wortwahl (wer die Guantánamo-Schließung fordere, liege einfach falsch: "Wir haben mehrere hundert Terroristen, schlechte Leute, die versuchen würden, Amerikaner zu töten, wenn sie freigelassen würden") setzt ohnehin kaum jemand etwas entgegen.

Aber auch Stimmen des offiziellen Amerika, die zu argumentieren vorgeben, kann man - intellektuell - nicht folgen: So schrieb Wiens US-Botschafterin Susan McCaw im Standard, die "Terroristen" von Guantánamo könnten nicht frei gelassen werden; sie vor ein ziviles Gericht zu stellen, würde "die Bestimmungen des internationalen Rechts auf den Kopf" stellen, weil es sich "um Kämpfer, die sich an keine Regeln halten" handelte. In der Sache ähnlich äußerte sich im Spiegel Außenamts-Staatssekretärin Karen Hughes, die die Politik der Bush-Administration in möglichst leuchtenden Farben malt.

Der kulturelle Graben, der sich hier auftut, wird durch die Diskussionen über die Zulässigkeit von Folter im Kampf gegen den Terror zusätzlich verbreitert. Der renommierte Strafrechtler und Bürgerrechtsanwalt (!) Alan Dershowitz hat 2002 mit seinem Überlegungen, gegen Terrorverdächtige im Bedarfsfall auch Folter einzusetzen, da Schleusen geöffnet, die kaum mehr zu schließen waren.

Folter in der Populärkultur

Das zeigt sich nicht nur in der Rhetorik mancher Politiker der Bush-Administration, sondern auch in der Populärkultur. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist die - zuerst vom Bush-freundlichen tv-Sender Fox ausgestrahlte - Echtzeit-Serie "24" rund um den Antiterroragenten Jack Bauer: Die vierte Staffel der Serie ist soeben auf ATVplus zu Ende gegangen, bei RTL2 sind die letzten Episoden noch zu sehen; in den USA läuft bereits die fünfte Staffel (auf der Internetseite von Fox kann dazu das Publikum zu Fragen voten wie: "Würden Sie unschuldige Menschen in einem Einkaufszentrum opfern, um Verluste durch einen Nervengasangriff weit größerer Dimension abzuwehren?").

In besagter vierter Staffel war Folter längst mehr kein Thema langen Fackelns, bei Freund wie bei Feind: Als der Schwiegersohn des Verteidigungsministers (fälschlich, stellt sich später heraus) in Verdacht gerät, etwas über die Terroristen zu wissen, welche die Atomkraftwerke der USA in die Luft jagen, zögert Jack Bauer keine Sekunde, ihn mit Folter zu traktieren. Auch als in der Antiterrorzentrale eine Computerspezialistin der Konspiration mit den Terroristen verdächtigt wird, kommen alle Mittel, die ein moderner Folterknecht zur Verfügung hat stante pede zum Einsatz. Es ist ja für einen humanen Zweck: Weil es bei "24" um 24 Stunden geht, die in "Echtzeit" heruntergespult werden, müssen Informationen in kürzester Zeit beschafft werden, denn in diesen 24 Stunden geht es darum, Amerika zu retten.

Zizek: Himmlers Dilemma

Die Informationsbeschaffung ist daher eine Frage der Zeit - und gerade die haben Agent Bauer und Genossen nicht. Daher: Folter. Folter. Folter. Gab es in der wirklichen Welt kürzlich nicht Berichte aus den berüchtigten Gefängnissen im Irak, die Besatzer hätten Jugendliche misshandelt, um deren Väter zum Reden zu bringen? Derartige Aktionen fänden im Plot von "24" jederzeit Platz. Die Serie ist in den USA ein Quotenhit, im deutschen Sprachraum läuft sie gleichfalls nicht schlecht, auch wenn das Feuilleton sie pflichtschuldig verrissem hat (Frankfurter Allgemeine: "Rechtsstaat war gestern").

Eine exzeptionelle Analyse der TV-Serie, die also als Prototyp für den kulturellen Graben zwischen dem Westen und dem Westen gelten kann, hat der slowenische Philosoph Slavoj Zizek im Jänner in der britischen Tageszeitung Guardian veröffentlicht. Unter dem Titel "Die verkommenen Helden von ,24' sind die Himmlers von Hollywood" richtet Zizek sein Augenmerk unter anderem auf ethische Dimensionen, die er als "Himmlers Dilemma" bezeichnet (vgl. Zitat oben): Irgendjemand muss den schmutzigen Job tun - um höherer Werte willen. Es mag verwegen sein, die Ideologie hinter dem "Krieg gegen den Terror" mit den SS-Barbareien in einem Atemzug zu nennen, aber man kann nicht umhin, Zizeks Argumenten, die er auch mit Hannah Arendts "Eichmann in Jerusalem" untermauert, zu folgen: "Was ist, wenn Menschen in ihrem Job ganz Schreckliches tun, während sie liebende Eheleute, gute Eltern und nahe Freunde bleiben? Nach Hannah Arendt", so Zizek "ist die Tatsache, dass sie fähig sind, die Normalität zu bewahren, während sie diese Taten begehen, die endgültige Bestätigung der moralischen Verwerflichkeit."

Zweck heiligt alle Mittel...

Eine tv-Serie als Hinweis auf den zitierten Kampf der West-Kulturen? Wer Aussagen jenseits des Atlantiks über die Notwendigkeit der Folter hört (etwa Vizepräsident Dick Cheney), wird sich nicht mehr wundern: "24" zeigt auch dem Medienkonsumenten hierzulande, wie sehr eine Ideologie vom "Zweck, der alle, wirklich alle Mittel heiligt" sich der amerikanischen (Alltags-)Kultur bemächtigt.

FILM

Er ist der Pop-Star unter den Philosophen, hat entkoffeinierten Kaffee, Cola ohne Koffein und Zucker als "Nichts" gebrandmarkt. Dabei ist es, in wohlwollender Annäherung, Slavoj ÇZiÇzek, psychoanalytischer Philosoph in der Tradition Jacques Lacans, darum zu tun, die Alltagskultur zum Gegenstand seines Denken zu machen. Kein elfenbeinerner Gelehrtenturm also, sondern ein ungestümer Redner, dessen englisch als Eruption den Mund verlässt: Weniger den Inhalt seiner Philosophie (den sollte man weiter tunlichst seinen Büchern entnehmen), sondern ÇZiÇzeks Attitüde und seinem Publikum - von Buenos Aires bis New York - kann man im hektischen, und daher durch und durch gelungenen Film-Porträt "ÇÇZiÇzek!" von Astra Taylor näher kommen. Zwar nur auf Englisch, aber dies mit slowenischem Akzent. ofri

ZIZEK!

USA/CDN 2005. Regie: Astra Taylor

Mit Slavoj Zizek.

Verleih: Top Kino, Englisch, 71 Min.

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