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War die Luftbrücke ein Rückzug?

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Gerade Berlin gibt ein Beispiel dafür ab, wie die Furchtsamkeit früherer — und allerdings erst recht alliierter — Regierungen die Beweiskraft des Risikos entwertet hat. Seinerzeit wagte man nicht, die Blockade mit Gewalt zu brechen. Statt dessen verfiel man auf den Ausweg der Luftbrücke. Die gewaltigen Dimensionen dieses Unternehmens, das die Phantasie beschwingte, verschleierten die Tatsache, daß es sich um eine Art Rückzug handelte. Die öffentliche Meinung billigte diesen Ausweg. Heute fragt sie sich, ob sich die Vereinigten Staaten damals ins Bockshorn jagen ließen, und macht sich mehr und rehardafür

Man denke in diesem Zusammenhang auch daran, daß die öffentliche Meinung in bezug auf Kuba der Regierung an Aggressivität weit voraus war. Nicht nur die Einstellung des Volkes hat sich verhärtet, sondern Berlin hat auch eine besondere Macht über seine Emotionen. Dabei haben die meisten Amerikaner von Berlin und seinen Problemen eine sehr unbestimmte Vorstellung, die noch dadurch erschwert wird, daß es ihrem praktischen Sinn schwerfällt, den Status der Stadt zu begreifen.

Es ist eben nicht die physische Stadt, der sie sich so sehr verbunden fühlen, daß sie bereit sind, notfalls für sie zu sterben, sondern es ist Berlin als Vorposten des amerikanischen Reiches. Ein Vorposten, dessen Bedeutung einzig und allein in seinem Symbolismus liegt, der aber dadurch zum Gradmesser der Lebensfähigkeit dieses Reiches geworden ist. Daß es gelang, das Volk mit dieser Überzeugung zu erfüllen, beweist die Fähigkeit amerikanischer Regierungen zur Meinungsbeeinflussung. Vielleicht wurde aber etwas zuviel des Guten getan.

Daß die Amerikaner bereit sind, nötigenfalls für Berlin zu sterben, wird nicht nur durch eine Umfrage der Zeitschrift „Newsweek“ bestätigt. Gespräche mit dem Mann auf der Straße beweisen es. Gestern sagte mir ein Landwirt, Vater von vier Kindern, der politisch nur wenig mehr als der Durchschnitt interessiert ist, er beabsichtige, einen Luftschutzkeller zu bauen, denn man habe kein Recht, seine Kinder der Gefahr des Atomtodes auszusetzen. Als ich fragte, ob es ihm nicht besser schiene, gegebenenfalls in Berlin nachzugeben, schüttelte er den Kopf: „Ich sehe nicht, wie wir das können.“ Am Tag vorher hatte mir ein Autohändler seine Sorge über die Berlin-Situation geklagt. Dann hatte er hinzugefügt: „Wenn ein Krieg über Berlin kommen sollte, muß es eben sein. Einmal müssen wir einen Punkt machen.“

Gefährliches Spiel zwischen Ost und West

Der Slogan „Lieber rot als tot" spricht die Amerikaner nicht an. Wei! noch nie Bomben auf amerikanisch

Städte gefallen sind, reicht die Phantasie nicht aus, um sich die Folgen eines nuklearen Krieges vorzustellen. Gerade der vorher erwähnte Landwirt hatte bisher gezögert, einen Keller zu bauen, weil er Angst hatte, von seinen Nachbarn ausgelacht zu werden.

Es kommt hinzu, daß, ebenso wie das Kind im Mann, der Grenzer noch im Amerikaner steckt. Darauf machte neulich James Reston, einer der führenden Journalisten, aufmerksam. Die Amerikaner, meinte er, seien im Grunde ihres Herzens noch Grenzer, die emotionell, aber nicht logisch dächten, bedenkenlos sich auf Wagnisse einließen, nhfltt bereit, eine Be- sie nie begreifen.

Es paßt in dieses Bild, daß ein Redakteur der „New York Times“ die Handlungen der Amerikaner und Russen mit dem „Spiel“ der amerikanischen Jugend: „Are you chicken?"(auf Deutsch: „Bist du der Angsthase?“), verglich. In dieser Belustigung fahren zwei Autos so schnell wie möglich aufeinander zu. Der Fahrer der ausweicht, um eine Kollision zt vermeiden, ist das Karnickel.

Ein Gegner der Vereinigten Staaten der etwa glaubte, dies alles sei nur eir gigantischer Bluff, hätte zwar nicht ganz unrecht. Er hätte aber auch nicht genügend recht, um eine katastrophal Fehlkalkulation zu vermeiden.

Der Grenzer war immer ein gutei Bluffer. Wahrscheinlich hätte er auch selbst wenn ihm der Colt sehr locket im Halfter steckte, angesichts solche: „odds“ wie die, denen sich die Ver einigten Staaten gegenübersehen, sich zweimal überlegt. Die öffentliche Meinung nimmt diese „odds“ aber ungenügend wahr, einerseits, weil der angeborene Glaube an die amerikanische Überlegenheit auf allen Gebieten zwar erschüttert, aber nicht ausgestorben ist, anderseits, weil sie sich nicht genügend Rechenschaft darüber abgibt, daß wir in die kritischen Jahre der Lücke in der amerikanischen Raketentechnik eingetreten sind. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß ein auf mangelnder Einsicht basierender Wille zu einem entschlossenen Widerstand unter Umständen das Überleben einer Nation sichert, während Zaghaftigkeit infolge zu großer Einsicht es in Frage stellt.

„Unwesentliche Konzessionen“

William S. White, ein Journalist, der an sich kein Freund einer Nachgiebigkeit gegenüber der Sowjetunion ist, schrieb, es sei höchste Zeit, daß die

Regierung das Volk psychologisch auf die Notwendigkeit „unwesentlicher tiejtjjibe,r i3d?&;ChiIiMsbits iIhpwi iflhbmifc solchen zufrieden gibt? Ware anderseits zum Beispiel die Anerkennung der ostdeutschen Regierung eine „unwesentliche Konzession“?

Im Hinblick auf die Notwendigkeit, die öffentliche Meinung zu präparieren, ist der Mansfield-Plan interessant. Propagandistisch gesehen, erscheint er gewissermaßen als das Gegenstück zur Luftbrücke, womit aber nichts über seine realpolitische Basis gesagt werden soll.

Es wäre jedenfalls kurzsichtig, wenn die Sowjetunion versuchen wollte, der Kennedy-Regierung Konzessionen abzutrotzen, die diese der öffentlichen Meinung nicht schmackhaft machen könnte. Selbst wenn Kennedy sich darauf einließe — was wohl bezweifelt werden darf —, wäre das Endergebnis eine weitere Stärkung jener reaktionären Kräfte, die gerade in diesen Tagen von der sowjetischen Presse beschuldigt wurden, einen Krieg anzustreben.

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