Leben in Zeiten der Bilder

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Ohne Bilder kommen Medien heutzutage nicht aus. Sie bedienen aber oft nicht Aufklärung, sondern Archaik. Anmerkungen zur Ikonografie der Medien nach den Todesbildern von Muammar Gaddafi.

Der FURCHE-Redakteur wurde letzten Donnerstag mit seltsamem Jubel behelligt: "Weltweiter Scoop: Agence France-Presse (AFP) verbreitet als erste Nachrichtenagentur Foto des toten Machthabers Gaddafi.“ Allein die Tatsache, dass eine Nachrichtenagentur solche Meldung verbreitet, gibt zu denken. Zusätzlich handelte es sich, wie die AFP enthüllte, um ein Foto aus zweiter Hand: Ein an der Verfolgung Gaddafis Beteiligter hatte es mit dem Handy aufgenommen, der AFP-Mann fotografierte dessen Display dann ab.

Die globale Display-Verbreitung blieb nicht die einzige. Ähnliche Bilder oder Screenshots verwackelter Videos schafften es auf die Titelseiten - und lösten in nachdenklicheren Medien die Diskussion darüber aus, ob man die Bilder des toten Diktators überhaupt zeigen dürfe. Es handle sich ums Dokument eines geschichtlichen Vorgangs, so die eine Argumentation; ob dieser Tod nun Lynchjustiz war oder Gefechtsfolge, dokumentiert gehöre er allemal. Ein Toter habe eine letzte Würde - selbst wenn er seinerseits für viele Tode verantwortlich war: Daher verbiete sich seine Abbildung, lautete die gegenläufige These. Dokumentieren könne man den Tod auch durchs geschriebene wie gesprochene Wort.

In ikonografischen Zeiten

"Wir leben in ikonografischen, nicht mehr primär in intellektuellen Zeiten.“ So das ernüchterte Resümee des Kommentators in der Süddeutschen Zeitung, die sich der Bilder des toten Gaddafi enthalten hatte: "Was da also bedient wird, ist nicht Aufklärung, sondern Archaik.“

Das trifft den wunden Punkt: Öffentliche Wahrnehmung ist im 21. Jahrhundert ohne das Bild nicht zu haben. Aber dieser Befund birgt eine grundsätzliche Problematik in sich: Wenn es keine Bilder gibt, schafft es eine Nachricht oder selbst ein historisches Ereignis kaum in die Öffentlichkeit. Auch daher glauben die Verfechter der Veröffentlichung Gaddafi’scher Totenbilder, ihr gutes Argument zu haben.

Aber das Bild ist längst nicht unschuldig. Denn es erzählt eine vermeintliche Geschichte: Und die Wahrnehmungspsychologie hat längst klar gemacht, wie wirkmächtig Bilder sind.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Die Redensart ist nicht nur richtig, sondern deutet für den oben beschriebenen Zusammenhang auf Prekäres hin: Ein Bild kann Desinformation enthalten - es sagt nichts über den Kontext aus, in dem es gemacht wurde, man weiß nichts über die Geschichte seiner Entstehung. Und oft genug sehen Betrachter darin das, was sie sehen wollen (oder was Medienmacher damit suggerieren wollen).

Die 2004 verstorbene Kulturkritikerin Susan Sontag hat diese Fragen zeitlebens aufgeworfen - gerade ihr Essay über die Folgen der Kriegsfotografie, "Das Leiden anderer betrachten“ (2003), ist in dieser Diskussion über Bilder wieder zu lesen: Sontags Plädoyer für ein Bedenken der Konsequenzen dessen, was die Bilder von Leid und Tod beim Betrachter auslösen, bleibt brennend aktuell.

Wenn die Welt Rache übt

In dieser Auseinandersetzung sind gerade auch die Boulevardmedien in die Pflicht zu nehmen: Der rasende Reporter des heimischen Hardcore-Boulevards war natürlich zum toten Gaddafi geeilt. Ein offensichtliches Handy-Foto in der improvisierten Leichenhalle sollte dokumentieren, dass Österreich wieder einmal überall dabei war. Und besagter Reporter kommentierte das Gesehene mit Sätzen wie: "Möglicherweise braucht dieses Land diese archaische Rache, um die Geißel der Vergangenheit loszuwerden.“

Solcher Zugang ist verräterisch - nicht zuletzt im Verbund mit den Bildern: Es geht nicht um Tatsachen, sondern um Gefühle. Muammar Gaddafi kam ums Leben, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Und die Welt übt Rache mit den Bildern seiner Entwürdigung.

Vielleicht konstatieren Sozialpsychologen hier modernen Atavismus. Eine aufgeklärte Gesellschaft sollte sich damit nicht abfinden. Denn die Folgen könnten verheerend sein.

* otto.friedrich@furche.at |

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