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Digital In Arbeit

Wieso Bestseller?

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Da sah ich neulich im Schweizerischen Fernsehen eine Art zeitkritische Studie über den Bestsellerbetrieb. Die Redakteure hatten »ich die Mühe- gemacht, die Bestsellerlisten einiger schweizerischer (nicht deutscher, nicht österreichischer) Publikationen unter die Lupe zu nehmen. Dabei kam etwas heraus, von dem diese Publikationen wohl angenommen hatten, es würde hie herauskommen.

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Da sah ich neulich im Schweizerischen Fernsehen eine Art zeitkritische Studie über den Bestsellerbetrieb. Die Redakteure hatten »ich die Mühe- gemacht, die Bestsellerlisten einiger schweizerischer (nicht deutscher, nicht österreichischer) Publikationen unter die Lupe zu nehmen. Dabei kam etwas heraus, von dem diese Publikationen wohl angenommen hatten, es würde hie herauskommen.

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Zum Beispiel: Die Wochenzeitschrift „Sonntags-Journal“ hatte ein auch in der Schweiz weithin unbekanntes Buch sehr nach vorn gerückt, indes Hans Habes Bericht über Israel, vermutlich das in der Schweiz am besten gehende Buch, ziemlich weit nach hinten. Irgendjemand in der Redaktion wurde gefragt, wie das zu erklären sei. Die Antwort, die Auskünfte stammten von Buchhandlungen, entsprach wohl nicht der Wahrheit.

Ein anderes Beispiel: Die Gratiszeitung „Züri-Leu“, die in mehreren hunderttausend Exemplaren allwöchentlich verteilt wird, hat in ihrer Bestsellerliste ein Buch aufgeführt, das im ganzen bis zur Sendung überhaupt nur acht Exemplare verkauft hatte, also sicher nicht einmal im letzten Dorf ein Bestseller gewesen sein kann. Der Verlag hatte auch bedauernd festgestellt, daß keine einzige Buchhandlung mehr als ein Exemplar angefordert habe. Die befragte junge Dame, eine Redakteurin, die wohl überhaupt nichts von Journalismus weiß und deren einziges hervorstechendes . Merkmal ihre Haare waren, die das Gesicht, um nicht zu sagen die Kamera, fast völlig verdeckten, wußte auch keine rechte Erklärung für diesen Unfug.

Es ist nicht schwierig, Bestseller

listen herzustellen. Die Quellen sind, natürlich, Buchhandlungen. Man kann nicht alle befragen, aber doch wohl die repräsentativen. Es gibt in jedem Land, in jeder Stadt repräsentative Buchhandlungen, sagen wir: für Belletristik, für Sachbücher, für technische Bücher, für Kunstbücher usw. Es ist nicht nur einfach, die Buchhandlungen zu befragen und sich so ein rechtes Bild zu machen — ich schätze, daß die Telephongespräche etwa zwei bis drei Stunden dauern würden.

Es ist aber auch einfach, Bestsellerlisten zu fälschen. Da braucht man erst gar nicht zu telephonieren, da kann man die Liste gleich am Schreibtisch machen.

Eine andere Frage ist, warum so etwas gemacht wird? Da sprechen sicher persönliche Motive mit. Vielleicht mag der Hersteller oder die Herstellerin von Bestsellerlisten den einen oder anderen Autor, vielleicht bestehen sogar persönliche Beziehungen oder aber persönliche Feindschaften. Unterstellungen? Wer fälscht, muß sich wohl gefallen lassen, daß man nach seinen Motiven Ausschau hält.

Ich habe die beiden Schweizer Organe erwähnt, aber natürlich hat der Bestsellerunfug viel größere Ausmaße angenommen. Man könnte

zufrieden sein, wenn Bestsellerlisten nur gefälscht würden im „Sonntags-Journal“, das eine minimale Auflage hat, oder in einer Gratiszeitung, die von den Hausfrauen zum Verpacken von Heringen benutzt wird. Aber auch bedeutende Publikationen oder solche, die bedeutend sein wollen, sind von dem Vorwurf der Fälschung durchaus nicht reinzuwaschen. Ich denke da etwa an ein bezauberndes Buch von Müller- Marein, der, als er es schrieb, Chefredakteur der „Zeit“ war. Das Buch ging nicht, konnte nicht gehen, es war eine Angelegenheit für Feinschmek- ker. Trotzdem stand es monatelang auf der Bestsellerliste des „Spiegel“ — eines Organs, Jas mit der „Zeit" engstens befreundet ist (in der Zwischenzeit erscheinen die beiden Blätter auch in derselben Verlagskombination).

Um einmal persönlich zu werden: An dem Tag, da mein Budi „Das gab’s nur einmal!“ ausgeliefert wurde, war die erste Auflage völlig vergriffen, das heißt, bereits von Buchhandlungen bestellt. Es handelte sich immerhin um 25.000 Exemplare. Dieses Buch erschien nie auf einer Bestsellerliste, obwohl es innerhalb von Wochen auch in den Buchhandlungen ausverkauft war.

Ähnliche Fälschungen begeht die Buchkritik, indem sie gewisse Bücher bespricht, andere nicht einmal erwähnt. Ich weiß, die Buchkritiker oder die verantwortlichen, wohl oft unverantwortlichen Redakteure werden behaupten, schließlich könne man nicht jedes Buch besprechen sondern nur die, auf die es ankäme. Worauf kommt es aber an? Darauf, daß den Buchkritikern gewisse Bücher gefallen oder daß sie gewisse Autoren bekämpfen wollen? Oder darauf, was das Publikum lesen will und schließlich auch liest?

Noch einmal der Fall Habe: Er erzählte mir neulich, daß in den rund dreitausend deutschen Zeitungen ganze sieben Kritiken seines Israel- Buches erschienen sind, davon vier in den Zeitungen des Verlages Springer, der ja sehr pro-Israel eingestellt ist. In der Schweiz — das Buch kam schließlich in einem Schweizer Verlag heraus — gab es nicht einmal sieben Kritiken. Und schließlich handelt es sich nicht nur um einen recht bekannten Autor (daß er umstritten ist, wäre eher ein zusätzlicher Grund, sein Buch zu besprechen), sondern auch um ein brennend aktuelles Thema.

Trotzdem ist das Buch, wie gesagt, ein Bestseller geworden.

Freilich nicht ein Bestseller solchen Ausmaßes wie Habes Roman von vor zwei Jahren „Das Netz“. Der war einer der großen Bestseller der letzten fünf Jahre. Und das Buch wurde auch in der Beilage zur „Welt“, der „Welt der Literatur“, kritisiert. Aber, wie der „Spiegel“, der wohl in allen Redaktionen seine Spione sitzen hat, zu vermelden wußte, gegen den Wunsch der Redakteure, sondern auf Anregung oder sogar Befehl des Verlegers. Dazu kann man nur sagen: wenn dem so ist, was ich bezweifle,

geht daraus nur hervor, daß der Verleger gescheiter war als seine Redakteure. Er wußte, daß das große Publikum, das einen Roman kaufte, wohl auch eine Kritik dieses Romans lesen wollte — die Redakteure wußten das nicht

Buchkritik kann natürlich, wie man heute so schön sagt, „Manipulation“ sein. Man kann ein Buch, wenn einem danach ist, verreißen oder man kann es hochloben.. Man kann es auch totschweigen, wie es z. B. die meist linksgerichteten Kritiker tun, wenn es sich um ein Werk handelt, das ihnen politisch oder kunstpolitisch nicht in den Kram paßt. Was aber meist keine Wirkung hat, weil die Buchkritik längst nicht mehr so ernst genommen wird wie früher.

Um auf die Bestsellerlisten zurückzukommen. Die bewußt falsch hergestellten oder unbewußt geschluderten Listen sind Betrug. Es handelt sich hier — man kann es gar nicht scharf genug sagen — um die Lancierung von falschen Nachrichten, oft um die bewußte Lancierung von falschen Nachrichten. Es handelt sich um den Versuch, das Publikum unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Kauf oder zur Lektüre anzuregen.

Damit kein Mißverständnis aufkommt: Man kann und soll, wo es wichtig ist, erfolglose Bücher oder solche, die wenig Erfolg versprechen, propagieren. Es gibt aus den letzten hundert Jahren unzählige Beispiele von Büchern, die kein Interesse erweckten und denen von einer verantwortungsbewußten Kritik schließlich doch noch zum Erfolg verholten wurde. Die Kritiker, die hier am Werk waren, versuchten, die Meriten eines Buches darzutun — und schwammen damit oft gegen den Strom. Es war ihr gutes Recht. Diejenigen, die von einem Buch, das niemand gekauft hat, behaupten, es sei ein Bestseller, sind Fälscher und sollten als solche vor Gericht kommen.

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