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Verkauf von Visionen

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Das Verhältnis zwischen Buchhändler und Bücherschreiber ist zuweilen sonderbar und vielleicht immer paradox. Lassen sich Visionen verkaufen?

Die junge Dame, der ich vor sechs oder sieben Jahren begegnete, auf einem Fest, das ich nur einem Engländer zuliebe besuchte, der das bunte Treiben mancher Wiener Künstler unbedingt hatte beobachten wollen, mit dem Ergebnis, daß er die Lokalität im waagrechten Zustand verließ, gegen Morgen, die Beine voraus -denn so trugen wir den Betrunkenen ins Taxi -, die junge Dame also erinnerte an ein Mädchen, das ich mit neun Jahren dreimal gesehen und dann mehrere Monate lang inbrünstig geliebt hatte. Ein wenig bete ich es heute noch an, obwohl es nach unserer dritten Begegnung für immer verschwand hinter einem Holunderbusch (aber vielleicht war es auch ein Himbeerstrauch). Die Ähnlichkeit der beiden weiblichen Wesen war verblüffend. Dieser Umstand, nebst anderen Tatsachen geistiger und körperlicher Art, hatte verheerende Folgen. Nicht nur eine Romanze mußte ins Werk gesetzt werden, sondern auch ein Roman, denn die junge Dame begnügte sich keineswegs mit irdischer Liebe, sondern verwandelte sich unverschämterweise in eine Vision. Im Roman „Der Mann im Sattel oder Ein langer Sonntag“ geistert das dreiste Geschöpf, Charlotte Berry mit Namen, durch die Szenerie.

Kaum war das Manuskript, nach drei weiteren Jahren, beendet und das Buch vom Verleger angekündigt, traf ich einen Buchhändler alter Schule, einen feinen und kultivierten Mann, Doktor mehrerer Wissenschaften und Freund der schönen Künste. , -

Wie umfangreich denn das neue Büch sei, fragte der“ Doktor. Etwa dreihundert Seiten, sagte ich, nicht ahnend, was ich heraufbeschwor. Die Augen des Doktors weiteten sich, wuchsen zu unheimlicher Größe und erstarrten. Der fassungslose Blick lag eine volle Minute auf meinem Gesicht. Endlich begannen die Augen-Uder zu flattern und die Augäpfel zu schrumpfen. Nun vollführte die rechte Hand ein nervöses Trommeln auf der Schreibtischplatte, dann fand der Doktor seine Stimme wieder und fragte vorwurfsvoll, fast traurig: „Nur dreihundert? Warum schreiben Sie nicht sechshundert Seiten? Mit kleinen Büchern haben wir die gleiche Arbeit, wo aber bleibt der Verdienst?“ Er seufzte. Ich stotterte irgend etwas von dem Plan einer Trilo-gie und erfand die Handlung eines Familienromans, in dem fünf Generationen (oder sechs?) die Glanzzeit und den Zerfall des alten Österreich-Ungarn genossen und verschuldeten; Gutsbesitzer erschossen sich in dämmerigen Chambres sepa-rees, Anarchisten sprengten die Eisenbahnlinie Triest-Fiume, arbeitslose Husarenoffiziere gründeten Seifenfabriken, ehrbare junge Mädchen berauschten sich am Opium grausamer Ideen, während ein reiner und kräftiger Menschenschlag einem neuen Leben entgegenstrebte. Für den Doktor war es ein schwacher Trost. Er beruhigte sich erst, nachdem ich versprochen hatte, die Figur eines Mannes einzuführen, der seine Nazi-Vergangenheit durch sexuelle Ausschweifungen zu bewältigen suchte.

Ein anderer Freund, ebenfalls Fachmann des Buchgewerbes, las den Roman, hatte die Höflichkeit, einige Passagen zu loben, zeigte sich jedoch ebenfalls unzufrieden, zwar nicht mit dem Umfang, doch mit dem Thema. Denn - so sagt er - über Liebe, Altern, Sichgehenlassen, Einsamkeit, Schwärmen und so weiter sei bereits alles Wesentliche formuliert worden, während ein Schriftsteller von heute keine schönere Aufgabe habe als die Heimatdichtung mit den Mitteln der modernen Psychologie zu neuem Leben zu erwecken. „Wären

Sie ein reicher Fürst, der nebenbei Bücher schreibt, dann würde ich zu Ihnen sagen: Fürst, Sie sind nicht ohne Begabung. Da Sie aber kein Fürst sind, muß ich die Frage stellen: Wieso denken Sie eigentlich nicht an den Bedarf der Buchgemeinschaften?“ Mit dieser Bemerkung begann der gutwillige Ratgeber den eben erst fertiggestellten Roman umzudich-ten. In einem Wald, den ich irgendwo kurz erwähnt und bereits vergessen hatte, wohnte plötzlich unter rauschenden Baumkronen ein Frauenarzt; der-verwitweter Schwiegersohn des alten Försters - sämtliche Bauers-

frauen der Gegend in jeder Hinsicht versorgte. So kam er mit einem Burschen in Konflikt, der zur Winterszeit sein Brot als Schilehrer verdiente. Auf einer einsamen Lichtung, bei Mondenschein, wurde dann der entscheidende Kampf ausgetragen, aber nicht mit der Faust, sondern mit Waffen des Geistes ... (Die häufige Verwendung von drei Punkten wurde mir bei dieser Gelegenheit ebenfalls empfohlen.)

Tröstlicher verlief eine dritte Begegnung. In einer fremden Stadt, im nördlichen Deutschland, lernte ich einen Buchhändler kennen, der den Roman weder umdichten wollte noch bereichern mit gewesenen Nazis und Frauenärzten und liederlichen Jungfrauen und Ganoven und Krüppeln - denn auch einen Krüppel hatte man mir anhängen wollen, einmal, in einem Gespräch nach dem Mittagessen, zwischen Kaffee und Cognac - nein, diesem biederen Mann im kleinen Bücherladen war alles recht wie es war. Er hatte viele Exemplare des Buches verkauft, allerdings bloß die billige Taschenbuchausgabe, doch nicht aufs Geld

komme es an, sondern auf die Verbreitung guter Literatur. Und darum handele es sich ja in diesem Fall -sprach der Gute weiter-, denn dieses Buch hier sei endlich gehobene Literatur und zugleich doch ein Geschäft.

Ich war gerührt. Und ich schüttelte dem Manne dankbar die Hand, nachdem er bekannt hatte, daß auch er das Buch gelesen habe und entzückt sei als Literaturfreund sowohl wie als Kaufmann. Da stand endlich ein Mensch, der die Vision mit empfindsamer Seele in sich aufgenommen, den die Hitze und die Qual einer Jugendliebe gestreift und die Poesie ei-

niger geglückter Stellen erfreut hatte. „Nicht war, Charlotte, dieses Wesen aus Licht?“, fragte ich. (Vielleicht fragte ich auch etwas anders, doch war es gewiß nicht minder idiotisch.) Der Mann nickte ein paar Mal nachdenklich, so als wollte er jene Köstlichkeit aus dem Gedächtnis herbeiholen und sie nochmals genießen. „Wissen Sie, was mir an Ihrem Buch am meisten gefällt?“, fragte er endlich. „Es kommen immer wieder Mopeds vor.“ Damit entließ er mich.

So weit die Beispiele. Ich glaube, ganz unrecht hatten alle diese Freunde nicht. Sie vermittelten nur die Gedanken ihrer Kunden, waren und sind also Vertreter der Vox popu-li, die sich nicht gerade im Flüsterton zu den Dingen der Literatur äußert, durch jene Abstimmung auch, die täglich in jedem Buchgeschäft stattfindet, einfach durch den Kauf des einen und durch die Ablehnung des anderen Buches. Ich glaube, der Autor wird seiner Sache - und auch seinem Verhältnis zum Buchhandel -nur gerecht, wenn er ein Paradoxon erfüllt: für das Publikum zu schreiben, ohne auf das Publikum zu hören.

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